Nicht rechts, nicht links Israelis scheuen Schicksalswahl
21.01.2013, 16:28 Uhr
Ganze 34 Parteien und Listen treten zur Wahl an. Die Hälfte dürfte an der Zwei-Prozent-Sperrklausel scheitern.
(Foto: Ulrich W. Sahm)
Rechts unerwartete Allianzen, links neue Parteien, misslungene Kooperationen in der Mitte: Der Wahlkampf in Israel hatte es in sich. Und hinterlässt ratlose Israelis, die nicht wissen, wem sie nun ihre Stimme geben sollen.
Großer Wahltag: In Israel sind mehr als 5,6 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, am Dienstag 120 Abgeordnete für das Parlament, die Knesset, zu wählen. Doch kurz vor dem Urnengang ist noch jeder Fünfte unentschlossen, wen er wählen soll.
Ein Sieg des von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geschmiedeten rechten Bündnisses gilt zwar als sicher, doch wird das Ergebnis wahrscheinlich knapp ausfallen. Statt auf der erhofften breiten Unterstützung für seine Innen- und Außenpolitik wird Netanjahu seine Regierung wohl auf eine wacklige Koalition mit vielen kleinen Partnern bauen müssen.
Und das, wo die Agenda mit schwierigen Themen vollgepackt ist: Der stockende Friedensprozess, die auch in Israel umstrittene Siedlungspolitik und nicht zuletzt das unpopuläre, aber unvermeidliche Sparpaket müssen so schnell wie möglich angepackt werden. Wer das gemeinsam mit Netanjahu tun wird, wird wohl erst klar, wenn die letzten Stimmen ausgezählt und die Koalitionsverhandlungen aufgenommen sind.
Verloren in der Mitte
Umfragen zufolge sind die Wähler des rechten Flügels schon sicher in ihrer Entscheidung: Sowohl Netanjahus Likud-Israel Beitenu (Unser Haus Israel) -Allianz als auch die nationalreligiöse Siedler-Partei "Habait Hajehudi" (Das jüdische Haus) des 40-jährigen Shooting-Stars der Politik-Szene Naftali Bennett verzeichnen die wenigsten noch unentschlossenen potenziellen Wähler.

Stimmenfang in letzter Minute: Zipi Livni auf Wahlkampftour in einem Einkaufszentrum in Tel Aviv.
(Foto: REUTERS)
Doch wessen Herz in der Mitte bis Links schlägt, der tut sich bei dieser Wahl schwer. Denn hier fand eine Zersplitterung in neue Parteien und unversöhnlichen Standpunkte statt, die ihresgleichen sucht: Hätten sich Arbeitspartei-Chefin Shelly Jechimowitsch, Ex-Außenministerin Zipi Livni und TV-Star Jair Lapid doch nur zusammengetan, sie hätten Premier Netanjahu schlagen können, seufzen ihre Anhänger.
Stattdessen hat sich die Linke selbst demontiert. Anstatt sich der Sozialdemokratin Jechimowitsch anzuschließen, gründeten Lapid und Livni jeweils eigene Parteien. Anstatt sich hinter Livni zu stellen, gifteten Lapid und Jechimowitsch gegen die ehemalige Außenministerin, stellten ihren Beitrag zum Friedensprozess in Frage und betonten Lücken in ihrer sozio-ökonomischen Agenda.
Dabei hätten sie sich gegenseitig komplementieren können, meinen Beobachter. Jechimowitsch hätte wie geplant die sozialen Reformen vorantreiben können, Lapid die Militärpflicht auf alle Schultern verteilen und Livni ihre ganze Energie in Friedenverhandlungen mit den Palästinensern stecken können.
Livni und Lapid könnten ihre Ziele noch umsetzen, sie sind – anders als Jechimowitsch, die auf eine starke Opposition setzt – bereit, sich an der Regierung zu beteiligen.
Kopf oder Herz?
Dass die vorgezogenen Parlamentswahlen als Schicksalsentscheidung gelten, macht es für die Wähler nicht einfacher. "Israel befindet sich auf dem Scheideweg", mahnte Livni im Wahlkampf. Jetzt gelte es zwischen Großisrael, also Israel inklusive Palästina, und dem jüdischen demokratischen Staat, also einer Zwei-Staaten-Lösung, zu entscheiden. Zwischen einem Rechtsstaat oder einem Staat nach jüdisch-orthodoxen Recht.
Zuviel Entscheidung für das Gros der Israelis, die vom Kopf her eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt herbeisehnen, deren Herz aber immer wieder die vermeintliche Sicherheit wählt, die die rechten Parteien ihnen versprechen.
Dieser Konflikt zwischen Demokratie und Sicherheitsrisiken sei für die Israelis nicht mehr zu ertragen, schreibt Psychologie-Professor Carlo Strenger im Vorfeld des Wahltages in der "Taz". Und beruhigt doch alle, die einen weiteren Rechtsruck im Land befürchten, nachdem Netanjahu im Wahlkampf vom unerwartet populären Neu-Politiker Bennett immer weiter nach rechts getrieben wurde. Er sei langfristig optimistisch für die israelische Demokratie, so Strenger.
Andere können diesen Optimismus nicht teilen. Ein Rechtbündnis berge die Gefahr weitere Verhärtung vor allem in der Siedlungspolitik", warnt etwa Israels langjähriger Botschafter in Deutschland, Shimon Stein. "Lasst den rechten Flügel endlich gewinnen, wenn die israelischen Wähler dies wollten, ist es das, was sie verdienen", ätzte der Kolumnist der israelischen Tageszeitung "Haaretz", Gideon Levy, nur um Tage später die Wahl von Livnis Partei "HaTnua" (Die Bewegung) zu empfehlen, wenn man doch Links wählen wolle.
Livni als Hoffnungsträgerin für das ganze Land? Absurde Idee, findet dagegen der Schriftsteller Eshkol Nevo in einem Gastbeitrag in derselben Zeitung. "Livni hatte ihre Chance. In den vergangenen Jahren hat sie eine humpelnde Opposition angeführt und war an keiner wegweisenden Entscheidung beteiligt. Und als Außenministerin in Ehud Olmerts Zwei-Kriege-Regierung konnte sie keinen diplomatischen Prozess auf den Weg bringen." Nevo macht sich für Jechimowitsch stark. Sie hat für ihn das Potenzial fortzuführen, was mit den sozialen Protesten in den Straßen Tel Avivs begann.
Wie Livni und Jechimowitsch haben auch Jair Lapid und die anderen Spitzenkandidaten ihre prominenten Befürworter – auch wenn die Hoffnung schwindet, damit das Wahlergebnis noch drehen zu können. Wenn Links- und Zentrumsparteien gemeinsam gekämpft hätten, hätte er niemals ein solches Meinungsstück schreiben müssen, bedauert auch Nevo.
Doch nun sei es Zeit, den Frust hinter sich zu lassen und wählen zu gehen. "Wir brauchen eine starke Stimme. Es ist möglich, das Haushaltsbudget so zu kürzen, dass die Schwachen nicht weiter geschwächt werden. Es ist möglich, sich nicht in einen Krieg hineinziehen zu lassen. Und es ist möglich, die israelische Demokratie zu erhalten."
Aber dafür werden die Israelis aktiv zum Wahlzettel greifen müssen.
Quelle: ntv.de