Mays schwarzer Freitag "Neuwahlen sind nicht auszuschließen"
09.06.2017, 08:50 Uhr
Ein Anti-May-Wahlplakat in Bristol.
(Foto: imago/ZUMA Press)
Das Wahlergebnis ist für die britische Premierministerin May ein Desaster. Ihr politisches Überleben dürfte schwierig werden, sagt Politikwissenschaftler Stefan Schieren im Interview mit n-tv.de. Und die Brexit-Verhandlungen werden deutlich komplizierter.
n-tv.de: Vor zwei Monaten schien ihr der Sieg noch gewiss, nun hat die britische Premierministerin Theresa May mit ihren Tories die absolute Mehrheit verloren. Muss sie zurücktreten?
Stefan Schieren: Verfassungsrechtlich gesehen muss sie nicht zurücktreten. Politisch dürfte ihr Überleben schwer möglich sein, weil sie extrem angeschlagen ist. Schließlich hat sie einen hohen Preis ausgesetzt und konnte ihn nicht gewinnen. Sie ist verantwortlich dafür, dass viele auch verdiente konservative Abgeordnete ihren Sitz verloren haben. Die Wut in der Partei dürfte groß sein.
Wer könnte ihr möglicher Nachfolger werden?
Das ist jetzt die entscheidende Frage. Wenn sich die Partei für einen weiterhin harten Brexit-Kurs entscheiden würde, dann läuft es möglicherweise auf den Brexit-Minister David Davis hinaus.
Wie konnte sich May so verzocken?
Wie viele Wahlbeobachter und Wahlforscher hat May die Bedeutung der ganzen Brexit-Angelegenheit zu hoch eingeschätzt und die Bedeutung sozial- und wirtschaftspolitischer Fragen unterschätzt. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat dagegen eisern die Linie durchgehalten: Es geht um den National Health Service, es geht um Sozialpolitik, um Pensionen, um Alterssicherung. Mit dieser klaren Haltung hat er jetzt Erfolg gehabt. Niemand hätte auch nur im Ansatz vermutet, dass die Labour Party 40 Prozent erreichen würde. Das sind Werte, die Tony Blair 2001 und 2005 errungen hat. Aber Corbyn hat offenbar den richtigen Riecher gehabt und vor allem bei jungen Wählern große Erfolge erzielt.
Normalerweise sind Regierungsparteien in Zeiten von Terror im Vorteil. Wieso konnte May das nicht nutzen?
Hier gibt es einen Hinweis aus dem Wahlergebnis von Innenministerin Amber Rudd, die nur knapp ihren Sitz halten konnte. Die konservative Partei, die sonst immer als Partei von Law und Order Vorteile aus solchen Sicherheitslagen ziehen kann, wurde dafür verantwortlich gemacht, dass in den letzten Jahren die Innenministerinnen, also Rudd und May, nicht für Sicherheit sorgen konnten.
Nun droht ein "Hung Parliament" in Großbritannien. Was bedeutet das?
Das bedeutet enorm große Unsicherheit. Das "Hung Parliament" wird ja auch durch eine Koalition mit der irischen DUP nicht unbedingt zu einer stabilen Regierung führen. Die Situation ist so wackelig, dass Neuwahlen nicht auszuschließen sind. Das wäre natürlich im Rahmen dessen, dass in den nächsten Tagen die Brexit-Verhandlungen beginnen sollten und nur zwei Jahre Zeit sind – die ersten zwei Monate sind schon ereignislos verstrichen - schlicht und einfach die Garantie dafür, dass das Ganze überhaupt nicht gelingen kann.
Was bedeutet das Ergebnis noch für die Brexit-Verhandlungen?
Die Brexit-Verhandlungen werden in jedem Fall schwieriger. Diejenigen, die wie David Davis, einen harten Brexit wollen, haben bei einer solch knappen Mehrheit ein Erpressungspotenzial. Das gleiche gilt für diejenigen, die einen weicheren Brexit haben wollen. Das heißt: Was May eigentlich angestrebt hat, durch eine deutliche Mehrheit klare Verhältnisse bei den Brexit-Verhandlungen zu schaffen, ist komplett gescheitert. Das wird sich auf jeden Fall in Unsicherheit ausdrücken. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die zwei Jahre für die Brexit-Verhandlungen bei Weitem nicht ausreichen werden. Wenn die europäische Seite sich sehr hart und steif zeigen wird, dann wird man möglicherweise ohne Einigung auseinandergehen und das wäre für beide Seiten katastrophal.
Der Schriftsteller Robert Harris twitterte nach der Wahl in Anspielung auf das Brexit-Referendum im vergangenen Jahr: "Es wird immer klarer, dass dieses Land durch das dumme verdammte Referendum komplett vor die Wand gefahren ist." Ist das so?
Schon Tory-Chef David Cameron ist bei seinem Spiel mit den Wählern, als er das Brexit-Referendum aus parteipolitischen Gründen ansetzte, gescheitert. Jetzt hat sich das Ausrufen der Neuwahlen bei einem deutlich komfortablen Umfrage-Vorsprung für May ebenfalls als falsch herausgestellt. Es zeigt sich, dass der Wähler diese Art der Politik nicht mehr möchte und jemand, der wie Corbyn - ob nun tatsächlich oder vermeintlich – eine klare Haltung zeigt, große Zustimmung bekommt.
Mit Stefan Schieren sprach Gudula Hörr
Quelle: ntv.de