Koalitionsverhandlungen stocken ÖVP-Insider: Österreich droht "eine Filiale Russlands" zu werden
05.02.2025, 11:57 Uhr Artikel anhören
Wenig überraschend: Kickl erhebt Anspruch auf das Amt des Kanzlers.
(Foto: AP Photo/Andreea Alexandru)
Die Gespräche der potenziellen Koalitionspartner in Österreich werden ernster. Ein Verhandlungsführer schätzt die Wahrscheinlichkeit einer Regierungsbildung als "fifty-fifty" ein. Die Vergabe der Ministerposten sorgt allerdings für großen Streit. Die FPÖ glaube, sie sei Trump, heißt es aus ÖVP-Kreisen.
In Österreich pausieren die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP vorübergehend. Die Konservativen zogen sich am Dienstagabend für interne Beratungen aus dem Sechser-Gespräch beider Parteispitzen zurück. Laut Medienberichten legte die mit der Regierungsbildung beauftragte FPÖ bereits eine Liste vor, mit der die Vergabe der Ministerien geregelt werden soll. Das sorgte für Kritik bei der ÖVP, die sich eine vorzeitige Besprechung der Ämter gewünscht habe.
"Die Regierungsverhandlungen befinden sich in einer schwierigen Phase", hieß es vonseiten der Volkspartei in einer Mitteilung. Die Zeitung "Standard" berichtete unter Berufung auf Teilnehmeraussagen von einer "sehr kritischen" Stimmung unter den Gesprächspartnern. "Die vorgelegte Liste beinhaltet alles, was es braucht, um Österreich zu einer Filiale Russlands zu machen. Nicht in diesem Leben, nicht auf diesem Planeten, wird Dr. Christian Stocker dem jemals zustimmen", sagte eine Quelle aus dem ÖVP-Umfeld gegenüber "Heute".
In der "Kronen Zeitung" verglich ein ÖVP-Insider die Verhandlungspartner deutlich: "Sie glauben, sie sind Trump", hieß es über die FPÖ. Weiter handle es sich bei den rechtspopulistischen Politikern angesichts der Forderungen sinnbildlich um "Testosteron-Raser", die bei zulässigem Tempo 150 mit 250 Kilometern pro Stunde auf der Autobahn unterwegs seien.
So sollen Ministerien aufgeteilt werden
Den Informationen der "Heute"-Zeitung zufolge erhob die FPÖ Anspruch auf den Posten des Bundeskanzlers, will zudem die Minister für das Kanzleramt sowie für Gesundheit/Sport, Soziales/Integration, Finanzen und Inneres stellen. Die ÖVP-Politiker störten sich den Zeitungen zufolge daran, dass die Zuständigkeiten für die Verfassung, EU- und Medien-Agenden im Kanzleramt bleiben und die Rechtspopulisten somit die Kontrolle darüber hätten.
Die FPÖ-Verhandler boten der ÖVP derweil an, den Vizekanzler zu stellen sowie die Ministerien für Äußeres, Frauen/Familie/Jugend, Landwirtschaft/Umwelt, Wirtschaft/Energie/Arbeit, Bildung/Wissenschaft/Forschung, Infrastruktur und Landesverteidigung zu leiten. Damit hätten die Konservativen zwar einen Posten mehr, doch angesichts der Verantwortlichkeiten weniger Macht.
Dem ORF zufolge verständigten sich beide Seiten einvernehmlich darauf, dass eine "parteifreie Person" das Justizministerium führen soll.
ÖVP prangert weitere FPÖ-Forderungen an
Für Kritik der Volkspartei sorgte darüber hinaus, dass die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) einen Staatssekretär bekommen soll. Derzeit obliegt die Kontrolle der Direktion einer "Unabhängigen Kontrollkommission Verfassungsschutz", die im Innenministerium angesiedelt ist. Die Kommissionsmitglieder werden vom Nationalrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt. Künftig hätte der Staatssekretär die Kontrolle über die DSN.
Die ÖVP störte sich auch an weiteren Punkten, die die FPÖ fordert und formuliert. Beispielsweise ging es um die im Programm festgeschriebene "Remigration": "Es ist ein rechtsextremistischer Begriff und es beinhaltet auch, dass österreichische Staatsbürger mit Migrationshintergrund Österreich verlassen sollen", monierte ein Volkspartei-Politiker bei der "Kronen Zeitung". Prinzipiell sei die Partei jedoch bereit, die Begriffe "Zurückweisungen" und "Außer-Landes-Bringungen" zu akzeptieren, weil sie nicht auf Österreicher abzielen, sondern auf Geflüchtete.
Der Streit über die Verteilung der Ministerämter führte zu einer Verhandlungspause, die im Land teilweise mit einem Abbruch gleichgesetzt wurde. FPÖ-Chef Herbert Kickl, der nach den Verhandlungen Bundeskanzler werden soll, äußerte sich dazu in den sozialen Netzwerken und erklärte die Pause als normalen Vorgang in Verhandlungen. "Wir stimmen uns auch immer wieder intern ab", betonte Kickl.
"Fifty-fifty-Chance" für Koalition
Den Angaben der Parteien zufolge soll es bereits im Tagesverlauf mit den Gesprächen weitergehen. Ob die Ministerienvergabe geklärt wird, bleibt abzuwarten. Die Verhandlungen dürften noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Über große Themen wie etwa die EU-Politik, den Umgang mit dem Krieg in der Ukraine und eine Bankenabgabe wurde bisher nicht gesprochen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende zu einer FPÖ-ÖVP-Koalition kommt, schätzte Volkspartei-Verhandler Wolfgang Hattmannsdorfer in den "Salzburger Nachrichten" als "fifty-fifty" ein, "weil natürlich noch Verhandlungspunkte offen sind, die geklärt werden müssen", sagte er. "Sonst hätten wir schon eine Einigung."
Quelle: ntv.de, mpa