Politik

"Noch ein Shooting" an US-College Obama: Beten allein hilft nicht mehr

Ein mutmaßlicher Amokläufer hat an einem College in Roseburg im US-Bundesstaat Portland mehrere Menschen getötet.

Ein mutmaßlicher Amokläufer hat an einem College in Roseburg im US-Bundesstaat Portland mehrere Menschen getötet.

(Foto: AP)

Stundenlang geht die Angst um, nachdem ein Schütze in Roseburg das Feuer eröffnet. Im Internet soll er mit Usern über seine Pläne diskutiert haben. Kann die US-Politik sich nach zehn Toten eines weiteren Shootings zu schärfen Gesetzen durchringen?

Schießereien und Amokläufe in den USA

2. April 2012: Ein 43-Jähriger tötet in einer religiösen Universität im Bundesstaat Kalifornien sieben Menschen und verletzt drei weitere. Anschließend stellt er sich der Polizei. Die Opfer mussten sich in einer Reihe vor einer Mauer aufstellen, bevor sie erschossen wurden.

20. Juli 2012: In einem Kino in Aurora im Bundesstaat Colorado eröffnet ein Mann während der Premiere des neues "Batman"-Films das Feuer. Zwölf Menschen sterben, 58 weitere werden verletzt. Der Amokläufer wird festgenommen.

14. Dezember 2012: Ein junger Mann dringt in die Sandy-Hook-Grundschule in Newtown im Bundesstaat Connecticut ein und erschießt dort 20 kleine Kinder und sechs Erwachsene. Zuvor hatte er zu Hause bereits seine Mutter getötet. Nach der Tat nimmt sich der 20-jährige Todesschütze das Leben.

16. September 2013: Ein Mann, der für einen Subunternehmer des Verteidigungsministeriums arbeitet, eröffnet in Washington das Feuer in den Büros der US-Marine. Er erschießt zwölf Menschen, bevor er selbst von der Polizei erschossen wird.

17. Juni 2015: Ein junger Weißer, offenbar ein Rassist, erschießt in einer Kirche in Charleston im Bundesstaat South Carolina neun Schwarze.

1. Oktober 2015: Mindestens zehn Menschen werden am Umpqua Community College in der Kleinstadt Roseburg im Bundesstaat Oregon erschossen. Der Täter, der später von der Polizei getötet wird, verletzt zudem sieben weitere Menschen. Augenzeugenberichten zufolge erschoss der 26-jährige Täter gezielt Christen.

Die Stimme des Feuerwehrmanns zittert. Man hört Ray Schoufler an, dass er gerade etwas Schreckliches gesehen haben muss: blutende Studenten am Boden, Tote in Klassenzimmern, nackte Angst. Live soll er dem TV-Sender CNN nun am Telefon erklären, was genau sich am College in Roseburg gerade abgespielt hat. Doch Schouflers Stimme stockt, er muss Luft holen. Die Toten und Verletzten im US-Staat Oregon wühlen den Fire Marshal innerlich auf.

Von "mehreren Patienten in mehreren Unterrichtsräumen", spricht der Feuerwehrmann, der Tausenden Zuschauern nicht im Detail erklären will, was der mutmaßliche Amoklauf am Umpqua Community College (UCC) soeben hinterlassen hat. Von einem "gewaltigen Polizeiaufgebot" spricht er, fast klingt er verwirrt. "Sind Sie okay?", fragt die landesweit bekannte CNN-Moderatorin Brooke Baldwin schließlich. "Ja", sagt Schoufler, "hier ist gerade einfach eine ganze Menge los."

Dabei ist in Roseburg überhaupt nichts okay. Mindestens zehn Menschen sind nach Polizeiangaben tot, sieben sind verletzt. Bei der Staatsanwaltschaft ist gar von 13 Toten die Rede. Ein 26-Jähriger soll das Blutbad angerichtet haben. Wie so oft bei den tragisch wiederkehrenden Shootings ist die Lage zunächst sehr unübersichtlich, Berichte von Zeitungen und TV-Sendern sind teilweise widersprüchlich. Fest steht: Die 22.000 Einwohner zählende Gemeinde steht unter Schock, jeder kennt hier jeden.

Obama: Gebete sind nicht genug

US-Präsident Barack Obama beklagte, dass derlei Schießereien mittlerweile "zu einer Art Routine" geworden seien und forderte eindringlich einen neuen Anlauf für schärfere Waffengesetze in den USA. Er sei verärgert und betrübt zugleich. "Wir stumpfen ab", warnte er angesichts der Häufigkeit solcher Tragödien. "Wir können durchaus etwas dagegen tun, aber dafür müssen wir unsere Gesetze ändern", fuhr er fort. Er könne das freilich nicht im Alleingang durchsetzen. Er "brauche einen Kongress", der zur Zusammenarbeit bereit sei.

Obama: "Wir sind das einzige fortschrittliche Land der Erde, das diese Massen-Schießereien alle paar Monate erlebt."

Obama: "Wir sind das einzige fortschrittliche Land der Erde, das diese Massen-Schießereien alle paar Monate erlebt."

(Foto: dpa)

"Gebete sind nicht genug", sagte der US-Präsident. Es dürfe nicht sein, dass jemand, der anderen Menschen schaden wolle, in dem Land "so leicht" an Waffen gerate. "Wir sind das einzige fortschrittliche Land der Erde, das diese Massen-Schießereien alle paar Monate erlebt", sagte Obama. Sowohl die Berichterstattung über tödliche Shootings als auch die jeweils anschließende Debatte sei zur Routine geworden. In der Vergangenheit war Obama immer wieder am Widerstand der Republikaner mit Initiativen für ein schärferes Waffenrecht gescheitert.

"Erst dachte ich, es ist Feuerwerk"

Es ist gegen 10.30 Uhr morgens, als der Schütze einen Unterrichtsraum betritt und das Feuer eröffnet - mit einem "langen Gewehr", wie Zeugen berichten. Vorher hat er einen Dozenten durch das Fenster bereits mit einem Kopfschuss niedergestreckt. Im Raum fordert er seine Opfer einer Augenzeugin zufolge auf, sich hinzulegen, dann sollen sie aufstehen und ihre Religion nennen. Dann schießt er - offenbar wahllos - drauf los.

Der Schock sitzt tief.

Der Schock sitzt tief.

(Foto: REUTERS)

60 Sekunden lang habe sie Schüsse gehört, sagt Lorie Andrews, die gegenüber vom großen, auf 18 Gebäude verteilten Campus lebt und draußen auf der Veranda sitzt, als die ersten Streifenwagen unter Sirenengeheul zum Gebäude jagen. "Erst dachte ich, es ist Feuerwerk", sagt sie. Insgesamt vier Waffen soll er für die Tat zum Campus gebracht haben.

Kurz darauf folgt der sogenannte Lockdown, das College wird komplett abgeriegelt. Ein Professor habe erst gedacht, es sei eine Übung, erzählt eine in Sicherheit gebrachte Studentin CNN. Sie habe sich im Unterrichtsraum mit Kommilitonen verschanzt, rund 50 andere warten Berichten zufolge in der abgeriegelten Cafeteria. Während die Eingesperrten um ihr Leben und um das ihrer Freunde bangen, rücken Polizei und FBI vor.

Dann wird der Schütze "neutralisiert", wie Schoufler sagt. Er überlebt die Tat nicht. Zwei Stunden nach dem ersten Notruf gibt die Polizei Entwarnung, als Sprengstoff-Experten die Autos auf den riesigen Parkplätzen mit Hunden abgesucht haben.

"Ich bin so unbedeutend"

Während Studenten zum Wiedersehen mit Eltern und Angehörigen auf einem fernab gelegenen Festplatz gefahren werden, versuchen Ermittler bereits, den Motiven des Täters auf die Schliche zu kommen. Im teils anonymen Webforum "4chan" soll er die Tat am Mittwoch angedeutet haben. "Dies ist das einzige Mal, das ich in den Nachrichten sein werde", soll einer seiner Beiträge lauten. "Ich bin so unbedeutend."

Am ganz anderen Ende des Landes, im bald 4000 Kilometer entfernten Washington, tritt ein zutiefst erschütterter Präsident vor die Kameras. Seinem betrübten Blick, seinen langen Pausen, seinem Ringen nach den richtigen Worten merkt man an, wie sehr ihn die Nachrichten aus Roseburg treffen. Wieder und wieder hat Barack Obama eine Verschärfung der laxen Waffengesetze gefordert, etwa ein Verbot von der bei Amokläufen häufigen halbautomatischen Sturmgewehre und bessere Überprüfung bei Waffenkäufen. Vergeblich, er scheiterte an der harten Blockade der Republikaner im Kongress.

Und dann will er ermutigen, weil ein Präsident auch nach tragischen Vorfällen die Fassung bewahren und Trost spenden muss. Er hoffe, in seinen 15 verbleibenden Monaten Amtszeit sein Beileid nicht noch einmal ausdrücken zu müssen, sagt er. Aber seiner Erfahrung nach könne er das nicht garantieren. "Und es ist schrecklich, das zu sagen", weiß Obama - und fügt an: "Und es kann sich ändern." Doch an diesem dunklen Donnerstagabend glaubt man ihm diesen Satz nicht.

Quelle: ntv.de, Johannes Schmitt-Tegge, dpa

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