Politik

"Entscheidender Moment für den Rest seiner Amtszeit" Obamas Syrien-Poker

Obama sendet in seiner Rede klare Signale an den Kongress.

Obama sendet in seiner Rede klare Signale an den Kongress.

(Foto: imago stock&people)

Schwach, unentschlossen, chaotisch: Die meisten Medien bescheinigen US-Präsident Obama in der Syrienkrise eine miserable Leistung. Russlands Kreml scheucht das Weiße Haus, wie peinlich. Dabei bekommt Obama bisher alles, was er will.

Gut möglich, dass Barack Obama inzwischen einen zusätzlichen Kalender bei sich trägt. Einer, in dem jedes Datum, an dem er als US-Präsident eine "historische" Rede gehalten hat und noch halten soll, rot markiert ist. Zuletzt war es der 28. August, der 50. Jahrestag von Martin Luther Kings berühmter Rede in Washington D.C. Und auch den gestrigen Tag hätte Obama wohl wieder ankreuzen müssen: Schließlich wartete die ganze Welt – oder zumindest die vielen atemlosen Krisenberichterstatter – auf sein Statement zur Zukunft des syrischen Regimes. Ein "entscheidender Moment für den Rest seiner Amtszeit", schrieb der Boston Globe, schließlich "hänge daran laut vieler Analysten seine Glaubwürdigkeit in innenpolitischen Fragen und seine Macht auf dem internationalen Parkett".

Es wird die vielen Analysten wohl etwas geärgert haben, dass die Entwicklung der vergangenen Tage Obama den historischen Wind aus den Segeln nahm. Russland ist jetzt der neue Diplomatie-Star: Wladimir Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow wollen mit einem eigenen Plan dafür sorgen, dass Baschar al-Assad seine Chemiewaffen unter UN-Kontrolle stellt und sie schlussendlich zerstören lässt. Ganz ohne Militärschlag, wie ihn die amerikanische Regierung nun forciert.

Friedenstauben aus dem Kreml gegen Kriegsgeschrei aus dem Weißen Haus: Was blieb Obama da noch zu sagen? Genug, um in nur 15 Minuten mit eindringlichen Worten seine aggressive Strategie moralisch zu untermauern, klare Signale an den Kongress zu senden, den russischen Partner in die Verantwortung zu nehmen und sich sogar noch in eine Reihe mit einem berühmten Amtsvorgänger zu stellen. Auf den ersten Blick mag Obama in diesen Tagen schwach und isoliert wirken. Doch seine Rede am Dienstagabend machte klar, wie stark der US-Präsident sein Blatt in diesem Machtpoker tatsächlich einschätzt.

Obama: Kein US-Soldat betritt syrischen Boden

Dass dieser Konflikt nicht in seine politische Agenda passt, das machte Obama gleich zu Beginn klar. Zwei Jahre lang habe er "den Rufen nach militärischem Eingreifen widerstanden", sagte er, "vor allem nach einem Jahrzehnt Krieg im Irak und in Afghanistan." Das eine Schlachtfeld habe seine Regierung schließlich gerade erst geräumt, vom zweiten kommen die Truppen ebenfalls nach Hause. Mit Blick auf die kriegsmüden Bürger im eigenen Land fiel ihm folgendes Versprechen deswegen nicht schwer: Kein amerikanischer Soldat werde syrischen Boden betreten, so Obama.

Doch er erinnerte die Zuhörer auch daran, mit welchen Bildern der Krieg in Syrien zur weltweit beachteten Katastrophe wurde: "Männer, Frauen, Kinder, einige aufgereiht am Boden liegend, getötet von Giftgas, andere mit Schaum vor dem Mund und nach Luft ringend, ein Vater, der seine toten Kinder an sich drückt, sie anfleht aufzustehen und zu gehen." An diesem Tag habe man gesehen, warum "eine überwältigende Mehrheit der Menschheit" ein Chemiewaffenverbot beschlossen hat. Dass die in Syrien eingesetzt wurden, daran "zweifelt niemand", so Obama, die Menge an Beweisen sei überwältigend. "Die Frage ist nun, was die Vereinigten Staaten und die internationale Gemeinschaft dagegen tun wollen."

Fragen wie diese haben amerikanische Präsidenten der Welt schon öfter gestellt, zuletzt George W. Bush in Bezug auf Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen. Sechsmal erwähnt Obama Syriens östlichen Nachbarn – vor allem, um darauf hinzuweisen, was er anders machen wolle als Bush. "Ich glaube nicht, dass wir einen weiteren Diktator stürzen sollten", so Obama. Gezielte Luftschläge statt Invasion oder Bombenteppiche. Kritikern, die dies als Strategie der sinnlosen Nadelstiche bezeichnen, antwortete Obama: "Das Militär der Vereinigten Staaten macht nicht in Nadelstichen." Belegen muss er das nicht, die Beweise dafür finden sich unter anderem: im Irak.

Obamas eindringlicher Appell

Dass ihm der Kongress die Zusage für diese Luftschläge im Ernstfall erteilen wird, daran glaubte Obama zuletzt selbst nicht mehr. Der Senat hat seine Abstimmung schon verschoben, nun bat der Präsident das Abgeordnetenhaus, dies auch zu tun. Doch dabei beließ es Obama nicht: Er gab Demokraten und Republikanern eine freundliche Bitte mit auf den Weg, die zugleich als Warnung verstanden werden sollte. Seine "Freunde auf der Rechten" bat er, "ihre Hingabe für Amerikas Militär mit der Redlichkeit dieser Aufgabe" zu versöhnen, und seine "Freunde auf der Linken" erinnerte Obama an deren "Glauben an die Würde aller Menschen" im Angesicht von "schmerzgepeinigten und sterbenden Kindern" überein zu bringen. "Manchmal sind Resolutionen und Verurteilungen einfach nicht genug."

Und fast im Vorbeigehen beschwert Obama noch den Stein der moralischen Last, indem er die US-Verfassung oben drauflegt. Denn die erlaube ihm zwar, im Alleingang einen Militärschlag anzuordnen. "Doch ich glaube, dass unsere Demokratie stärker ist, wenn der Präsident mit der Zustimmung des Kongresses handelt." Selbst die Anhänger der radikalen Tea Party dürften es schwer haben, ihn dafür in die populistische Mangel zu nehmen.

Auch in Moskau wird man der Rede Obamas genau zugehört haben. Schließlich sprach er der nun von Russland gestarteten Initiative die Fähigkeit zu, "die Gefahr durch chemische Waffen zu beseitigen, ohne Gewalt anzuwenden, besonders weil Russland Assads stärkster Verbündeter ist". Mancher mag das als Eingeständnis amerikanischer Unfähigkeit sehen, sogar als Verbeugung vor Russlands Einfluss in Syrien. Obama meint jedoch etwas anderes: die Bringschuld, in der Putin nun steht. Versagt Russland bei der Sicherung und Zerstörung von Assads Chemiewaffenarsenal, dessen Existenz die Russen selbst noch vor Kurzem infrage stellten, hat Obama das wohl beste Argument für eine amerikanische Intervention. Geht der russische Plan auf, erinnert Obama einfach daran, wie wenig in Syrien getan wurde, bevor Amerika demonstrativ mit den Säbeln gerasselt hat.

"Franklin Roosevelt sagte einmal," bemüht Obama zum Schluss seiner Rede den 32. US-Präsidenten, "dass uns unser nationales Interesse, nicht in fremde Kriege hineingezogen zu werden, nicht davon abhalten darf, tiefes Mitgefühl zu verspüren, wenn Ideale und Prinzipien verletzt werden, die wir selbst hochhalten." Historiker Michael Beschloss twitterte sogleich die historische Einordnung des Zitats: Roosevelt habe das 1935 gesagt, und zwar in Richtung des damals isolationistischen Kongresses "und einer Öffentlichkeit, die absolut gegen einen weiteren Krieg war."

Geschichte, die sich nun zu wiederholen scheint. Der Nummer 32  im Weißen Haus blieben damals nur noch wenige Jahre ohne Krieg. Die Nummer 44 kann es allerdings noch schaffen, die Krise zu bewältigen, ohne dass Bomben fallen müssen. Das wäre in der Tat eine historische Leistung, die selbst für einen US-Präsidenten ziemlich selten wäre.

Quelle: ntv.de

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