Sprengt die FDP Schwarz-Gelb? Opposition fordert Neuwahlen
19.09.2011, 08:05 Uhr
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(Foto: dpa)
Die FDP, die bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl mit 1,8 Prozent der Stimmen fast noch hinter der Tierschutzpartei zum Stillstand kam, ist für die Opposition auch im Bund nicht mehr regierungsfähig. SPD und Grüne fordern Neuwahlen. FDP-Chef Rösler und Generalsekretär Lindner lehnen persönliche Konsequenzen nach dem Debakel ab.
Die SPD hat die Abgeordnetenhauswahl in Berlin klar gewonnen und kann nun mit Grünen oder CDU eine Koalition bilden. Der zum dritten Mal erfolgreiche Regierungschef Klaus Wowereit will mit beiden Parteien Sondierungsgespräche führen. Das seit fast zehn Jahren regierende rot-rote Bündnis hat keine Mehrheit mehr. Zunächst beraten heute die Parteigremien in Berlin auf Bundes- und Landesebene über den Wahlausgang.

Wowereit kann in Berlin weiter regieren, muss allerdings einen neuen Koalitionspartner suchen.
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Die SPD blieb in der Hauptstadt trotz leichter Verluste stärkste politische Kraft. Hinter ihr landete die CDU, die sich im Vergleich zur Wahl 2006 etwas verbesserte. Die FDP flog bereits zum fünften Mal in diesem Jahr aus einem Landesparlament. Die Piratenpartei zog dagegen erstmals ein. Die bislang mitregierende Linke verschlechterte sich leicht. Die Grünen legten deutlich zu, Sie holten ihr bisher bestes Ergebnis in Berlin, blieben aber hinter ihren Erwartungen zurück.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kommt die SPD auf 28,3 Prozent (minus 2,5). Die CDU wird zweitstärkste Kraft mit 23,4 Prozent (plus 2,1). Dahinter liegen die Grünen mit 17,6 Prozent (plus 4,5) und die Linke mit 11,7 (minus 1,7). Die FDP verliert 5,8 Punkte und landet mit 1,8 Prozent in der Kategorie "Sonstige" - zusammen mit Parteien wie der Tierschutzpartei, die 1,5 Prozent erreicht. Die Piratenpartei kommt mit 8,9 Prozent aus dem Stand heraus sicher über die Fünf-Prozent-Hürde. Dies ergibt folgende Sitzverteilung im Berliner Abgeordnetenhaus: SPD 48, CDU 39, Grüne 30, Linke 20 und Piratenpartei 15.
Die Wahlbeteiligung lag mit 60,2 Prozent über dem Wert von 2006 (58,0). Zur Wahl aufgerufen waren 2,47 Millionen Bürger. Parallel zum Landesparlament wurden auch die Kommunalvertretungen neu bestimmt.
Damit setzte sich auch in Berlin der Trend gegen die im Bund regierende schwarz-gelbe Koalition fort, den vor allem die FDP mit ihren desaströsen Wahlergebnissen zu verantworten hat. Für sie hat sich bislang weder die Ablösung von Guido Westerwelle als Parteichef durch Philipp Rösler ausgezahlt noch die eurokritische Debatte, die auch beim Koalitionspartner CDU auf Ablehnung stieß.
Opposition in der Koalition?
Rösler lehnt allerdings persönliche Konsequenzen ab. "Für mich war klar, das wird ein schwerer Weg werden", sagte Rösler in der ARD. Die Liberalen hätten 2009 hohe Erwartungen geweckt, sich aber fälschlicherweise auf ein einziges Thema der Steuerentlastung konzentriert. Die FDP müsse mehr Themen besetzen und die Botschaften besser vermitteln. Dies sei eine Aufgabe für ihn und seine Partei.
"Wir führen keine Personaldiskussion", sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner ebenfalls in der ARD mit Blick auf seine eigene Verantwortung. Zugleich nahm er seinen Parteivorsitzenden vor Kritik in der Euro-Debatte in Schutz: "Rösler hat die richtigen Vorschläge für ein Europa der Stabilität gemacht." Das sehen nicht alle so. Außen-Staatsministerin Cornelia Pieper, die Mitglied des FDP-Bundesvorstands ist, hält die Gedankenspiele ihres Parteichefs für einen "Fehler". Die Europapartei FDP in Richtung Europa-Skeptiker zu profilieren "ist und bleibt unglaubwürdig", sagte Pieper der "Mitteldeutschen Zeitung".
FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer machte die Bundespolitik für den Absturz der Liberalen verantwortlich. Auch FDP-Vizebundeschef Holger Zastrow sah in der Politik der Bundespartei den Grund für die jüngsten Wahlpleiten. "Die schlechten Wahlergebnisse der letzten Monate sind die Quittung für den Verlust der Glaubwürdigkeit in zwei Jahren Regierungsbeteiligung auf Bundesebene."
Baden-Württembergs FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Mitschuld an den Wahlpleiten des liberalen Koalitionspartners. "Es ist offensichtlich so, dass Frau Merkel wenig Interesse daran hat, diese Koalition zum Erfolg zu führen", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Der sächsische FDP-Landesvorsitzende Holger Zastrow forderte gar eine härtere Gangart der Liberalen in der Koalition. Die FDP müsse "wieder mal Kante zeigen", sagte Zastrow im ZDF. "Wir müssen anfangen, uns zu wehren."
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach warnte die FDP vor einer Fortsetzung ihres Konfliktkurses in der Regierung. "Opposition in der Koalition funktioniert nicht", sagte er den "Stuttgarter Nachrichten". CDU-Vize Norbert Röttgen glaubt dagegen fest an den Erfolg der schwarz-gelben Koalition. "Wir haben eine Regierung, die in dieser Pflicht steht", sagte der Bundesumweltminister in der ARD. "Wir haben eine Verantwortung, und der werden wir in dieser Regierung nach unseren besten Kräften gerecht werden." Er habe keine Sehnsucht nach der Großen Koalition, so Röttgen.
Opposition sieht Schwarz-Gelb am Ende
SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel sieht nach dem Wahlsieg auch für die Bundesebene die Signale klar auf Rot-Grün. Das Ergebnis in Berlin zeige, dass die SPD dafür die führende strategische Kraft sei. Die schwarz-gelbe Koalition habe völlig abgewirtschaftet. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Für die FDP gibt es eigentlich nur die Chance, endlich einzusehen, dass sie nicht regierungsfähig ist, und die Regierung zu verlassen und damit den Weg für Neuwahlen frei zu machen." Der Berliner Wahlsieger Wowereit betonte, die Bundesregierung sei am Ende.
Ähnlich äußerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Sollte der von FDP-Parlamentariern angestrebte Mitgliederentscheid einen europakritischen Kurs besiegeln, müssten die Liberalen sich aus der Regierung verabschieden, sagte er "Handelsblatt". "Und die Koalition muss den Weg für Neuwahlen freimachen."
Union und FDP haben die Forderungen nach Neuwahlen umgehend zurückgewiesen. Über einen solchen Schritt werde er "nicht einmal diskutieren", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder in der ARD. habe "für solche Kaspereien kein Verständnis". Die Koalition werde zusammenbleiben, und sie werde auch bei den anstehenden Entscheidungen zur Euro-Rettung "einen gemeinsamen Weg gehen".
Auch FDP-Generalsekretär Lindner schloss einen Bruch der Koalition aus. Im Deutschlandfunk räumte Lindner allerdings eine "schwere Vertrauenskrise" der Bundesregierung ein.
Zeichen stehen auf Rot-Grün
Oppermann machte deutlich, dass er weder in Berlin noch im Bund eine Perspektive für eine Große Koalition sehe. Er rechne für Berlin mit Rot-Grün, sagte Oppermann. Auch Wowereit sagte mit Blick auf die künftige Koalition: "Es gibt die meisten Schnittmengen zur Partei der Grünen, nicht zur CDU." Man müsse aber auch berücksichtigen, wie komfortabel eine Mehrheit wäre. "Man muss fünf Jahre regieren können, da darf es keine Wackelei geben." Die Grünen forderten eine Regierungsbeteiligung. "Wir wollen die Zukunft Berlins organisieren", sagte ihre Spitzenkandidatin Künast. Auch Grünen-Bundeschef Cem Özdemir plädierte für Rot-Grün: "Wowereit muss entscheiden: Will er Veränderung oder will er Stillstand haben?"
Piraten mit Wasser unterm Kiel
Linke-Spitzenkandidat Harald Wolf räumte ein, dass seine Partei ihr Ziel verfehlt habe. "Wir sind auch gut als Oppositionspartei", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi. Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Sebastian Nerz, sagte: "Das ist ein historischer Tag für die Piratenpartei und für Deutschland." Die Neulinge können nicht nur Kandidaten ins Abgeordnetenhaus entsenden, sondern auch in alle zwölf Bezirksparlamente. Von einem bundespolitischen Erfolg gehen die Piraten jedoch noch nicht aus. "Das ist noch zu weit weg, und ich glaube, es gibt in Berlin erstmal genügend zu tun und genügend für uns zu lernen", sagte ihr Spitzenkandidat Martin Delius bei n-tv.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP