Klimaretter oder Kunstschmierer Pro & Contra: Sind Attacken auf Gemälde legitim?
28.10.2022, 19:30 Uhr
Tomatensuppe kann auch Kunst sein: Andy Warhols "Campbell's Soup Cans" im New Yorker MOMA sind noch nicht Gegenstand von aktivistischer Aufmerksamkeit geworden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Drei berühmte Gemälde werden in kurzem Abstand Ziel von Attacken selbsternannter Klimaaktivisten. Aber ist es legitim, Tomatensuppe auf ein Gemälde von van Gogh zu schütten? Hilft Kartoffelbrei auf einem Monet dem Klima? Oder ist das dämlich? Ein Pro & Contra.
Es geht ums Überleben
Ein Pro von Kai Stoppel
Der Komiker Louis C.K. fragt während seines Bühnenprogramms: Warum sind Proteste von Abtreibungsgegnern so "schrill und furchterregend"? Die Antwort liefert er mit: Weil in ihren Augen Babys ermordet werden. "Was erwarten Sie von denen? Sollen Sie sagen: Ok, es ist nicht cool, aber ich will ihnen nicht den Tag versauen, während sie mehrere Babys ermorden."
Genau so ist es bei den Gemälde-Schmierern. Viele Menschen empfinden den Protest als überzogen, nervig, unangebracht. Doch aus Sicht der Aktivisten, und das kann man auf der Webseite der britischen Kampagne "Just Stop Oil" nachlesen, geht es um Leben und Tod. Denn in ihren Augen soll mit dem - von ihnen geforderten - Verzicht auf fossile Energieträger "unser Überleben" gesichert werden.
Was erwartet man also von den Aktivisten? Dass sie sagen: "Gut, das Überleben der gesamten Menschheit steht auf dem Spiel, aber ich will Ihnen nicht den Nachmittag im Museum ruinieren?" Denn das ist eigentlich alles, da die bisher attackierten berühmten Gemälde durch Glas geschützt waren. Aber selbst wenn nicht: Was wäre der Erhalt eines Gemäldes im Vergleich zur Rettung der gesamten Menschheit?
Natürlich muss man sich nicht die Sichtweise von jedermann zu eigen machen. Der Protest wäre aber ein guter Anlass, sich zu fragen: Ist die Sichtweise dieser schrillen Protestler vielleicht berechtigt? Könnte nicht tatsächlich das Überleben der Menschheit oder zumindest der Zivilisation auf dem Spiel stehen?
Auch wenn sich die meisten noch genervt abwenden, besteht die Chance, dass der schrille Protest einige Menschen bereits zum Nachdenken anregt. Das wäre der Anfang allen Wandels, den sich gleichzeitig viele wünschen. Und dass dringend mehr unternommen werden müsste, um den Klimawandel zu stoppen, wird ja kaum einer leugnen wollen.
Aber Gemälde haben doch nichts mit dem Klimawandel zu tun? Nein, aber der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel. Denn es geht nur darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Es ist so, also würde man sagen, die Melodie meines Weckers hat ja nichts mit meiner Arbeit zu tun - daher brauche ich morgens auch nicht aufzustehen.
Viele regen sich über diese Art des Protests auf. Und das ist gut so. Denn sie regen sich auf, ohne erstmal zu wissen, warum eigentlich. Aber irgendwann werden sie sich genau diese Frage stellen. Und es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sie dann die Sichtweise der Aktivisten zumindest im Ansatz nachvollziehen können.
Selbst wenn das nicht eintritt: Den Versuch war es wert. Denn wie wenig wird durch die beschmierten Gemälde verloren - und wie viel gibt es zu gewinnen, wenn sie zu einem Umdenken beitragen. Denn am Ende geht es (vielleicht) tatsächlich ums Überleben.
Wenig Wirkung, großer Lärm
Ein Contra von Barbara Mauersberg
Bekennende Autohasser der vor- und vorvorletzten Generation machten sich in Berlin jahrelang einen Spaß daraus, die Frontscheiben dicker SUV, die gerne auch auf dem Gehweg parkten, bei Nacht und Nebel mit Hundescheiße einzureiben. Häufig wurde das Schloss der Fahrertür besonders gründlich imprägniert. Widerlich? Keine Frage. Wirkungsvoll? Unbedingt. Die verbesserten Parkmanieren konnten die "Aktivisten" überdies an Ort und Stelle kontrollieren. Bei ausbleibendem Lernerfolg wurde die Prozedur wiederholt. Ein Bericht über die Tat in der Lokalpresse gehörte nicht zum Programm.
Bei den "Klimaaktivisten" der selbsternannten letzten Generation scheint das umgekehrte Kalkül zu herrschen: Viel Aufmerksamkeit, wenig Wirkung. Großer Lärm, Mangel an Logik. Warum ein Angriff auf museale Ölgemälde aus vorindustrieller Fertigung ein treffendes Symbol für den Protest gegen die schleppende Klimapolitik der westlichen Industriestaaten sein soll? Das erschließt sich auch dem wohlmeinenden Beobachter nicht. Dass weltweite Berichterstattung bei minimalem persönlichem Einsatz garantiert ist, wirft überdies den Verdacht auf, dass Wichtigtuerei der wahre Motor ist.
Unbekannte Täter, die keiner jemals "Flüchtlingsaktivisten" nennen würde, haben in der Nacht zum Freitag einen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Ukrainer in Sachsen verübt. Der sächsische Innenminister wartete die Ermittlungen gar nicht ab, um die Motive zu benennen und zu verurteilen: "Aus Hass Häuser anzuzünden, weil man Geflüchtete nicht in seiner Nähe haben möchte, ist zutiefst primitiv und menschenverachtend." Entsprechende Reflexe auf die Taten der "Klimaaktivisten" sind weniger geläufig. Warum eigentlich? Weil es gute und schlechte Sachbeschädigung gibt, je nach Zielsetzung?
Allerdings würde auch der Verweis auf gute Ziele und berechtigte Sorgen die Umwelt nicht retten. Um den Klimawandel zu begrenzen, braucht es nicht noch mehr Meinung. Erst recht keine unintelligente Besserwisserei. Stattdessen: Den höchstpersönlichen Verzicht auf Auto und Führerschein, ein Nein zu Städtetrips im Flieger oder Zurückhaltung beim Sommerschlussverkauf. Diese Rezepte kannten schon Alt-Aktivisten der ersten Stunde. In einem Punkt dürfte die "letzte Generation" der Klima-Kunstschmierer aber wohl Recht behalten: Sie hat Druck erzeugt, Druck auf die Putzteams der Museen.
Quelle: ntv.de