Grausame Kriegsverbrechen Psychologin berichtet von Kastration ukrainischer Soldaten
19.06.2023, 15:09 Uhr
Ein ukrainischer Kämpfer im Feld (Symbolbild).
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Kastration gehört zu den grausamsten Kriegsverbrechen. Eine ukrainische Psychologin berichtet nun von ihrer Behandlung zweier betroffener Männer. Sie glaubt, dass es noch viel mehr Opfer gibt. Dass Kiew selbst sich bedeckt hält, könnte einen Grund haben.
Kastration gehört zu den Kriegsverbrechen, über die am wenigsten gesprochen wird. Im Juli 2022 geriet ein Video an die Öffentlichkeit, das zeigt, wie ein ukrainischer Gefangener von einem Mann in russischer Uniform offenbar kastriert wird. Nun lässt ein weiterer Bericht vermuten, dass es sich bei derartiger Folter durch russische Truppen nicht um Einzelfälle handelt.
In der englischen Zeitung "The Times" berichtet die Psychologin Anzhelika Yatsenko vom Leid zweier ukrainischer Männer, die als Kriegsgefangene erst von betrunkenen russischen Soldaten geschlagen und schließlich kastriert worden seien. "Einer von ihnen sagte mir: 'Ich weiß nicht, wie ich noch am Leben bin, es war so viel Blut, ich dachte, ich würde an einer Blutvergiftung sterben'", erklärt die Psychologin.
Ihr Bericht fokussiert sich auf den psychologischen Zustand der 25 und 28 Jahre alten Männer nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft durch einen Gefangenenaustausch. Beide seien suizidal gewesen, einer habe sich versucht umzubringen. Einer sei zurück an der Front. Die russischen Soldaten hätten den Männern zufolge gesagt, sie täten dies, damit sie keine Kinder in die Welt setzten könnten. "Für mich ist das Genozid", erklärt die Therapeutin aus Poltawa in der Zentralukraine.
Reisner: Kein neues Element der Kriegsführung
Berichte wie dieser sind schwer zu verifizieren, die englische "Times" liefert keine weitere Quelle. Offizielle Berichte wie etwa einer des US-Außenministeriums zur Menschenrechtslage in der Ukraine äußern nur grobe Schätzungen zu Opfern sexueller Gewalt, schlüsseln die Zahlen aber nicht weiter auf, etwa nach Vergewaltigung, Drohung einer Kastration, Genitalverstümmelung oder etwa sexueller Belästigung. Schon vor dem Einmarsch Russlands im vergangenen Jahr geht der Bericht von einer niedrigen dreistelligen Zahl von Opfern sexueller Gewalt in russischer Gefangenschaft aus.
Markus Reisner, Oberst des österreichischen Bundesheers, hält Berichte wie den der Psychologin für glaubwürdig. "Das ist leider die traurige Wahrheit", sagt er im Gespräch mit ntv.de. Das sei kein neues Element der Kriegsführung. "Wir haben das schon 2014 gesehen." Damals hätten beide Seiten dies als Methode der Einschüchterung angewandt.
Beweise für solche Taten durch ukrainische Soldaten sind bislang nicht aufgetaucht. Jedoch schockierte wenige Wochen nach Beginn der russischen Invasion ein ukrainischer Arzt mit der Aussage, er habe seine Angestellten angewiesen, gefangenen russische Soldaten zu kastrieren. Später ruderte er mit seiner Aussage zurück und sagte, er sei sehr emotional gewesen.
Die ukrainische Regierung hat sich bisher selbst zu Opfern dieser Art von Folter in den eigenen Reihen so gut wie gar nicht geäußert. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach das Thema allerdings im September in einer Rede vor der UN-Vollversammlung an, nachdem das Kastrations-Video des ukrainischen Gefangenen zirkuliert war: "Es gibt einen Mann, der kastriert wurde, bevor er ermordet wurde. Und das ist nicht der erste Fall", sagte Selenskyj. "Fragen Sie bitte die Vertreter Russlands, warum das russische Militär so besessen von Kastration ist."
Kastration als Element psychologischer Kriegsführung
Selenskyjs Antwort lässt vermuten, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Auch die Psychologin Yatskenko schlussfolgert Ähnliches nach ihren Gesprächen mit Patienten wie Kollegen. "Sie erzählten mir, dass die Russen die Kastration sehr geschickt durchgeführt hätten, als ob sie wüssten, wie es geht. Und ich habe von vielen Fällen von Kollegen gehört, die andere behandelt haben."
Auf Twitter kommentiert zudem der britische Sicherheitsanalyst und Journalist Jimmy Rushton, dass er den Bericht der "Times" bestätigen könne. Vergangenes Jahr seien "Hunderte" ukrainische Gefangene lebendig, aber kastriert zurückgekommen, erklärt er unter Berufung auf Quellen in der ukrainischen Regierung.
Kastration ist nicht nur Folter gegen die Betroffenen und ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, sondern laut Oberst Reisner auch ein Element der psychologischen Kriegsverführung und des Kampfs im Informationsraum. "Sie dürfen nicht vergessen: Wenn der Soldat, der kastriert worden ist, aus der Gefangenschaft zurückkehrt, spricht sich das natürlich herum. Das ist die Absicht dahinter." Die Seite der Verursacher wolle damit Druck auf die zukünftigen Rekruten des Gegners ausüben, damit diese befürchten, dass ihnen ähnlich Schlimmes geschehe und sie deswegen nicht an die Front wollen.
Dass Kiew selbst sich nicht ausufernd zu Fällen von Kastration äußert, könnte in der Schlussfolgerung also auch damit zusammenhängen, dass der psychologische Effekt der Berichte auf mögliche Rekruten als so verheerend eingeschätzt wird, dass man das Thema eher im Stillen belässt. Auch Rushton betont die psychologische Komponente der Taten: Man habe das Thema bisher nicht aufgegriffen, "da man davon ausging, dass es das Trauma, das die Männer erlitten hatten, verstärken könnte."
Quelle: ntv.de