Russlands Tag der Abrechnung Putin will es wieder wissen
03.03.2012, 07:17 Uhr
Allerortens: Das Konterfei Putins.
(Foto: AP)
Irgendetwas ist schiefgelaufen in den vergangenen Monaten. Das russische Volk entfremdet sich von seinem Herrscher. Putin, einst der unangefochten starke Mann Russlands, ist immer mehr dem Hohn und Spott ausgesetzt. Am Sonntag nun will er zum drittten Mal zum Präsidenten gewählt werden - und es dürfte deutlich schwerer werden als bei den letzten Wahlen.
hat viel zu tun. Seit Wochen zieht der Noch-Regierungschef durch die Weiten Russlands und erstrahlt auf allen Kanälen. Ob vor zusammengestürzten Hochhäusern, vor Arbeitern, Soldaten oder Kirchenführern, überall ist er zu sehen und verkündet seine Botschaft: An ihm führt in Russland kein Weg vorbei. Wenn das Land am Sonntag einen neuen Präsidenten wählt, muss er wieder als der starke Mann in den Kreml ziehen. Zum dritten Mal seit 2000.
Glaubt man Putin und seiner Gefolgschaft, ist die Wahl eigentlich schon gelaufen. Auch die staatsnahen Umfrageinstitute prognostizieren Putin eine Zweidrittelmehrheit im ersten Wahlgang. Der Russlandexperte Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht solche Zahlen skeptisch und hält eine Überraschung noch durchaus für möglich.
Jeder von Putins vier Mitbewerbern um das Amt des Präsidenten, der Kommunist Gennadi Sjuganow, der Chef der Ultranationalisten, Wladimir Schirinowski, der Vorsitzende der Oppositionspartei "Gerechtes Russland", Sergej Mironow und der Oligarch scheine ein achtbares Ergebnis anzusteuern, "und das könnte für Putin in der ersten Wahlrunde tatsächlich sehr knapp werden", . Doch es ist auch klar: Spätestens bei einer möglichen Stichwahl wird sich Putin durchsetzen und für weitere sechs Jahre der starke Mann Russlands sein.
Allerdings wäre ein zweiter Wahlgang eine höchst unangenehme Schlappe für Putin. Zeigt dies doch in aller Öffentlichkeit, dass der ehemalige Geheimdienstchef den Zenit seiner Popularität längst überschritten hat. Vorbei sind jene glorreichen Zeiten, als er – wenngleich wohl mit Nachhilfe – mehr als 70 Prozent der Stimmen bei den Wahlen 2004 auf sich vereinigte. Als die Opposition ein versprengtes Häufchen war und er mit nacktem Oberkörper und markigen Sprüchen das Volk beeindruckte.
Irgendetwas ist schief gelaufen in der letzten Zeit. Spätestens mit jener gut gemeinten PR-Kampagne, als Putin im Taucheranzug angeblich antike Amphoren aus dem Schwarzen Meer fischte, begann der Abstieg des großen Selbstdarstellers. Noch am selben Abend witzelte das Internet über die glänzenden, patinafreien Funde. Hohn und Spott für den ehemaligen Geheimdienstler, welch ein Blamage.
Parodie eines Machtwechsels
Putins Ankündigung im September, mit Präsident Dmitriw Medwedew die Ämter zu tauschen, zeigte dann allzu offensichtlich den Zynismus der Macht und die Entfremdung Putins von seinem Volk. Selbst so manche bis dahin treue Anhänger verprellte diese Parodie eines Machtwechsels. Die Anfang Dezember brachten dann das Fass zum Überlaufen. Plötzlich erwachte das russische Volk, die rebelliert. Seit Monaten gehen Zehntausende in den großen Städten auf die Straße, um gegen die "Partei der Betrüger und Diebe" zu demonstrieren.
Grund zur Unzufriedenheit gibt es in der Tat genug. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung möchte dem Land den Rücken kehren. Putins große Versprechungen aus dem Jahr 2004, Russland zu modernisieren und den Lebensstandard zu verbessern, liefen ins Leere.
Nach zwölf Jahren Putinismus verschärft sich die Armut, die Gegensätze zwischen Arm und Reich sind enorm, das Sozial- und Gesundheitssystem ein Drama. Wer in ein russisches Krankenhaus kommt, sollte möglichst gesund sein und über gute Beziehungen verfügen. Überhaupt sind Beziehungen höchst nützlich in einem Rechtssystem, das diesen Namen kaum verdient. Die Vetternwirtschaft scheint noch der florierendste Wirtschaftszweig zu sein.
Auch wirtschaftlich steht Russland - immerhin der weltgrößte Energie-Produzent - vor einer immensen Herausforderung. Zwar ist das Riesenreich fast schuldenfrei und die Zentralbankreserven sind mit einer halben Billion Dollar die drittgrößten der Welt. Das Land profitiert vor allem von den Rohstoffreserven und den hohen Gas- und Ölpreisen. Doch durch die Finanzkrisen 2008 und 2011 ist die geschwächt, die Industrie muss dringend modernisiert werden. Deutsche Unternehmer beklagen zudem die hohen bürokratischen Hürden und die weitverbreitete Korruption. Auf dem Korruptionsindex von Transparency Internationel belegt Russland zusammen mit Nigeria Rang 143.
Nun im Wahlkampf geißelt plötzlich auch Putin die Probleme mit gewohnt markigen Worten. Energisch fordert er Reformen, als ob nicht er seit zwölf Jahren das Land regiert hätte. Und er verspricht seinen Wählern das Blaue vom Himmel. Dabei allerdings steht er vor einem kaum einzulösenden Dilemma: Sollte er tatsächlich Ernst machen mit Reformen, würde er einen großen Teil seiner Gefolgsleute verprellen, die von der Korruption und Vetternwirtschaft bestens profitieren. Ohne konsequente soziale und ökonomische Reformen wiederum entfremdet er sich weiter vom Großteil des Volkes.
Noch hat Putin eine Gnadenfrist. Sein Glück ist, dass die Opposition höchst heterogen ist und es "keine echte Alternative zu ihm" gibt, wie Russlandexperte Rahr im Gespräch mit n-tv.de sagt. Allerdings rechnet er nicht damit , dass Putin auch noch eine vierte Amtszeit und damit bis zum Jahr 2024 durchregieren wird. Eine Alternative könne sehr schnell kommen und immerhin sei Putin "kein Breschnew und auch kein Stalin", so Rahr. "Auch Putin wird irgendwann verstehen, dass die Zeit gegen ihn spielt."
Quelle: ntv.de