Koalitionspartner gesucht Rechtspopulist Wilders siegt bei Wahl in den Niederlanden
22.11.2023, 21:04 Uhr
Die Partei des Rechtspopulisten Wilders liegt bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden vorn - und das unerwartet deutlich. Jetzt will er an die Macht. Doch eine Regierungsbildung dürfte nicht ganz einfach werden.
Der Rechtspopulist Geert Wilders ist der große Wahlsieger der Parlamentswahl in den Niederlanden. Nach Auszählung von knapp 78 Prozent der Stimmen kommen Wilders und seine Partei für die Freiheit (PVV) mit 23,6 Prozent auf 37 der 150 Sitze in der Zweiten Kammer des Parlaments. Das wären mehr als doppelt so viele Mandate wie bei der vorigen Wahl 2021. Für eine Mehrheit braucht Wilders allerdings mindestens zwei Parteien - und es ist fraglich, ob er tatsächlich Partner für eine Koalition finden kann.
Wilders bekräftigte seine Entschlossenheit zur Übernahme der Regierung. "Die Niederlande haben gesprochen und das muss - was mich betrifft - auch umgesetzt werden." Die PVV wolle mit anderen Parteien zusammenarbeiten, "und das bedeutet, dass alle Parteien - auch die unsere - über ihren Schatten springen müssen", sagte Wilders in Den Haag. "Wir wollen regieren." Wilders war darum bemüht, Ängste vor einem zu radikalen Vorgehen seiner PVV zu zerstreuen. Die von ihm angestrebte Zwangsschließung von Moscheen sei aktuell kein Thema, versicherte er. Priorität habe jetzt, den "Asyl-Tsunami" zu begrenzen.
Der Spitzenkandidat des rot-grünen Bündnisses, Frans Timmermans, rief in einer ersten Reaktion zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat auf. "Jetzt bricht die Stunde an, dass wir die Demokratie verteidigen", sagte der Sozialdemokrat bei einer Wahlparty der Sozialdemokraten und Grünen.
Das Land war die vergangenen 13 Jahre vom rechtsliberalen Premier Mark Rutte regiert worden. Neben den Rechtspopulisten galten das erste rot-grüne Bündnis sowie Ruttes Partei VVD als Favoriten. In den Umfragen hatte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Parteien mit jeweils 15 bis 19 Prozent der Stimmen abgezeichnet. Die PVV von Wilders war in den vergangenen Wochen in den Umfragen aber immer weiter gestiegen.
Die Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), Dilan Yesilgöz, hatte eine Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen Wilders nicht ausgeschlossen. Anders als ihr Parteifreund, der scheidende Ministerpräsident Rutte. Im niederländischen Fernsehen wurde deshalb am Abend sofort die Frage aufgeworfen, ob Yesilgöz Wilders mit ihrer Annäherung salonfähig gemacht habe. Nach dem Ausgang der Wahl schloss sie eine Zusammenarbeit erneut ausdrücklich nicht aus, sagte aber, sie wolle nicht unter Wilders als Ministerpräsident in eine Regierung eintreten.
Regierungsbildung wird schwierig
Die VVD von Yesilgöz und Rutte kommt mit 15,2 Prozent auf 24 Sitze, ein Minus von zehn Mandaten. Das von Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans angeführte Bündnis aus Grünen und Sozialdemokraten schafft mit 15,6 Prozent 25 Sitze, ein Plus von acht. Die erst vor wenigen Wochen gegründete Partei des ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt, der Neue Soziale Vertrag (NSC), kann mit 12,9 Prozent mit 20 Sitzen rechnen. Omtzigt hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders im Wahlkampf ausgeschlossen, da dieser verfassungsfeindliche Positionen vertrete. Ob Wilders tatsächlich die nächste Regierung bilden kann, ist damit völlig offen.
Die Wahl stand im Zeichen einer großen Vertrauenskrise. Weniger als die Hälfte der Niederländer hat noch Vertrauen in die Politik, ergab eine Studie des renommierten Sozialkulturellen Forschungsinstitutes. Über 60 Prozent sind unzufrieden damit, wie ihr Land geführt wird. Viele Bürger bescheinigen dem Staat und der Politik Versagen bei Migration, Gesundheitssystem, Wohnungsbau und sozialer Sicherheit.
Nach der vorigen Wahl, im März 2021, hatte es fast zehn Monate gedauert, bis der Rechtsliberale Mark Rutte sein viertes Kabinett präsentieren konnte. Doch nach nur knapp 18 Monaten war die Mitte-Rechts-Koalition im Sommer am Streit um die Migrationspolitik zerbrochen. Rutte kündigte dann auch seinen Abschied aus der nationalen Politik an. Er ist jetzt etwa 13 Jahre Premier im Königreich, solange wie kein anderer vor ihm. Er will im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet wurde.
Rechte Parolen und linke Forderungen
In den Niederlanden hat sich der Rechtspopulismus schon vor mehr als 20 Jahren als fester Bestandteil der politischen Landschaft etabliert. Der erste erfolgreiche Rechtspopulist Pim Fortuyn war 2002 wenige Tage vor der Parlamentswahl von einem militanten Tierschutzaktivisten ermordet worden. Sein Erbe trat Wilders an, der noch viel radikalere Forderungen erhob, etwa die nach einem Verbot des Korans. Der Politologe und Wilders-Biograf Meindert Fennema warnte 2017 in einem Interview: "Er ist jemand, der auf demokratischem Weg den Rechtsstaat abschaffen will."
Umfragen haben mehrfach ergeben, dass Wilders-Wähler ihre Zukunft tendenziell pessimistisch einschätzen und Angst vor Veränderungen haben. Sie wohnen häufig in stagnierenden Industriegebieten oder auf dem Land, wo die Jungen wegziehen. Zu Wilders Parolen gehört deshalb nicht nur "Der Islam gehört nicht zu den Niederlanden", sondern auch "Mehr Personal in der Pflege" und "Niedrigere Mieten und Steuern". Diese Mischung aus rechten Parolen und klassisch linken Forderungen betrachten Politologen als sein Erfolgsrezept. Eine weitere Besonderheit: Wilders' Partei hat nur ein einziges Mitglied - ihn selbst. So will er verhindern, dass ihn andere überstimmen und selbst das Zepter übernehmen könnten.
Quelle: ntv.de, jwu/uzh/ino/dpa