Der 8. Kriegstag im Überblick Russland nimmt Großstädte ins Visier - Macron erwartet Schlimmes
03.03.2022, 21:32 Uhr
Ein mehrstöckiges Gebäude brennt.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Am achten Tag des Ukraine-Krieges wird wieder miteinander gesprochen. In Belarus treffen sich die Delegationen der Ukraine und Russlands, Macron telefoniert mit Putin. Das Gespräch ernüchtert den französischen Präsidenten jedoch. Unterdessen geht Moskau zunehmend gegen Großstädte vor.
Russland nimmt Großstädte ins Visier
Eine Woche nach Beginn der Invasion in der Ukraine geht Russland mit immer größerer Härte gegen die Großstädte des Landes vor. Derzeit wird in mehreren Regionen erbittert gekämpft, die heftigsten Gefechte werden nordwestlich der Hauptstadt Kiew gemeldet sowie nahe der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw und der Hafenstadt Mariupol im Süden. Bei einem Luftangriff in der nordukrainischen Großstadt Tschernihiw sind nach Angaben der Rettungskräfte 33 Menschen getötet worden. Russische Streitkräfte hätten Wohngebiete, darunter Schulen und ein Hochhaus beschossen, teilte der Notdienst mit. Der riesige Militärkonvoi vor Kiew stockt nach wie vor.
Von der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim aus rückten russische Panzer-Kolonnen weiter in die südukrainische Region Cherson vor. Die gleichnamige Regionalhauptstadt gilt als erste Großstadt, die gefallen ist. Dramatisch ist die Lage mittlerweile in der Hafenstadt Mariupol im Süden des Landes. Die 400.000 Einwohner sind von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten. Der Bürgermeister Wadym Boitschenko warnte davor, dass die Stadt noch monatelang belagert werde - so wie Leningrad 1941.
Unterdessen meldete das ukrainische Militär, dass der bedeutende Generalmajor Andrey Sukhovetskiy, der eine Speznas-Spezialeinheit befehligen soll, getötet worden sei. Nordwestlich der Hauptstadt Kiew sei zudem ein russischer Kampfjet abgeschossen worden.
Auch der Kampf um das größte Atomkraftwerk der Ukraine, Saporischschja, geht weiter. Moskau meldete gestern, die Anlange unter Kontrolle gebracht zu haben, der Betreiber Energoatom dementierte das heute. Zudem zeigen Videos, dass sich eine Menschenmenge den russischen Truppen entgegenstellt.
Macron spricht mit Putin - Ukraine und Russland verhandeln erneut
Am Nachmittag telefonierte der französische Präsident Emmanuel Macron mit dem Kreml-Chef Wladimir Putin. Nach dem etwa 90-minütigen Gespräch sei sich der Élysée-Palast inzwischen sicher, dass Putin die komplette Ukraine einnehmen wolle, hieß es anschließend aus Paris. Macron warf Putin vor, sich selbst zu belügen und geht davon aus, dass "das Schlimmste noch bevorsteht".
Im polnisch-belarussischen Grenzgebiet haben sich zum zweiten Mal russische und ukrainische Delegationen getroffen. Nach dem erfolglosen Gespräch am Montag gab es diesmal eine Verständigung in einem Punkt: Moskau und Kiew einigten sich auf die Schaffung humanitärer Korridore in besonders umkämpften Gebieten in der Ukraine - und auf eine dritte Gesprächsrunde.
Unterdessen hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Putin zu direkten Gesprächen aufgefordert. "Wenn Du nicht (mit Deinen Truppen aus der Ukraine) abhauen willst, setz Dich zu mir an den Verhandlungstisch, ich habe Zeit", sagte Selenskyj. Dagegen sprach der Kreml-Chef im Staatsfernsehen weiter davon, dass Russlands "Militär-Operation", so wie Moskau den Krieg nennt, nach Plan verlaufe.
Immer mehr suchen Zuflucht
Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine können ein einjähriges Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union bekommen. Die EU-Staaten einigten sich darauf, die Flüchtenden schnell und unkompliziert aufzunehmen. Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser können die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst entscheiden, in welchem EU-Staat sie Zuflucht suchen.
Auch deutsche Städte bereiten sich auf die Schutzsuchenden vor. "Das, was auf uns zukommt, wird enorm", sagte Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping. Der Berliner Senat wolle mehr Möglichkeiten zur Unterbringung der Menschen schaffen, erwarte aber auch eine schnelle Entscheidung der Bundesregierung zur weiteren Koordinierung der Aufnahme von Geflüchteten. "Die Dimension ist unfassbar. Es ist wahrscheinlich die größte Flüchtlingsbewegung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg - mit einer ganz eigenen und schnellen Dynamik", erklärte die Linken-Politikerin.
Seit Beginn des Krieges meldete der polnische Grenzschutz mehr als 604.000 Menschen, die auf der Flucht seien. Allein am heutigen Donnerstag hätten bis zum Nachmittag 56.400 Geflüchtete die Grenze überquert, teilten die polnischen Grenzschützer per Twitter mit.
Der Dax findet keinen Halt - Weitere Waffen aus Deutschland
Die Unsicherheit im Ukraine-Krieg ist auch für die Wirtschaft ein Problem. Der Dax landete bei Handelsschluss bei 13.698 Punkten - dem tiefsten Wert seit fast einem Jahr. Auch der Volkswagen-Konzern entschloss sich dazu, alle Geschäfte mit Russland zu stoppen, hieß es aus Wolfsburg. Dagegen warnte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck davor, ein Import-Verbot für Öl, Gas oder Kohle aus Russland zu verhängen. "Ich sage es mit großem Bedauern, dass Deutschland von russischen Importen abhängig ist", erklärte der Grünen-Politiker bei einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern.
Habecks Ministerium gab erneut grünes Licht für deutsche Waffenlieferungen. Deutschland kündigte an, weitere Waffen zu liefern. Nachdem 1000 Panzerabwehrwaffen und 500 "Stinger"-Raketen schon unterwegs sind, hat das Wirtschaftsministerium 2700 Flugabwehrraketen des Typs "Strela" genehmigt.
Der Altkanzler wird immer einsamer - Kehrtwende bei Paralympics
Um Altkanzler Gerhard Schröder wird es immer einsamer. Mit seinen Verbindungen nach Russland sei Schröder in der SPD mittlerweile "komplett isoliert", sagte der Parteivorsitzende Lars Klingbeil. Die Antwort des Altkanzlers auf die Aufforderung, seine Mandate bei russischen Konzernen niederzulegen, sei bislang unbeantwortet geblieben. Der Vorstand wolle "zeitnahe" über den weiteren Umgang mit Schröder entscheiden.
Im Ukraine-Krieg hat China bisher versucht, sich weitestgehend herauszuhalten. Nun dementierte es einen Bericht aus der "New York Times". China hat Russland nach eigenen Angaben nicht darum gebeten, mit der Invasion der Ukraine bis nach dem Ende der Olympischen Winterspiele zu warten. Bei den morgen in Peking startenden Paralympics werden russische und belarussische Athletinnen und Athleten aber dennoch ausgeschlossen sein, das IPC revidierte seine Entscheidung vom Vortag.
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Quelle: ntv.de, ses/dpa/rts/AFP