Politik

Kein Aufstand in Leipzig SPD kuschelt sich in die Große Koalition

Sigmar Gabriel und die seinen Vorstandskollegen bleiben Attacken seitens der Delegierten erspart.

Sigmar Gabriel und die seinen Vorstandskollegen bleiben Attacken seitens der Delegierten erspart.

(Foto: dpa)

Nach dem ersten Tag des SPD-Parteitags sind die wichtigsten Beschlüsse gefasst und die wichtigsten Reden gehalten. Eine Abrechnung mit den Wahlverlierern bleibt allerdings aus. Eine Zwischenbilanz.

Um 19.10 Uhr kommt es auf dem SPD-Parteitag dann doch noch zu einer Abstimmung, bei der zuerst nicht klar ist, wie sie ausgehen wird. Der Antrag des Bezirks Hessen-Süd bezieht sich auf die Abschaffung der Winterzeit. Das Thema kommt immer mal wieder bei Parteitagen und politischen Veranstaltungen aller Art auf die Tagesordnung, weil sich jemand in seinem Biorhythmus gestört fühlt. Zu einer Aussprache kommt es zwar nicht, aber erstaunlich viele Delegierte stimmen dem Vorschlag zu, so dass die Sitzungsleitung sich etwas Zeit nehmen muss, um das Abstimmungsergebnis zu erfassen. Der Antrag wird knapp abgelehnt.

Es war die kontroverseste Abstimmung, die am Donnerstag in der Messe Leipzig stattfand. Ansonsten herrschte kuscheliger Konsens, die Basis folgte dem Vorstand in seinen Vorschlägen und bestätigte den Vorsitzenden Sigmar Gabriel im Amt. Diese Wahl hatte ursprünglich am Freitag stattfinden sollen, wurde dann aber vorgezogen. Damit sind die meisten wichtigen Tagesordnungspunkte bereits erledigt.

Keine Steinbrück-Spitzen gegen Gabriel

Am Anfang stand eine Rede von Peer Steinbrüc

Peer Steinbrück gibt sich zahm.

Peer Steinbrück gibt sich zahm.

(Foto: imago stock&people)

k. Der erfolglose Kanzlerkandidat bedankte sich artig bei der Partei für die Unterstützung seines Wahlkampfs. Spitzen gegen Gabriel, der ihm mehrfach den Wahlkampf schwer gemacht hatte, konnte sich Steinbrück verkneifen. Er kündigte auch an, wie es mit ihm weitergehen würde: "Die Pferde meiner Kavallerie bleiben gesattelt", sagte er. Auch als einfacher Bundestagsabgeordneter wird Steinbrück also seine gewohnt scharfzüngige Politik machen. Und: Er stützte seinen Parteichef damit, dass er ihn von der Verantwortung für die Wahlniederlage freisprach. "Der Hauptteil der Verantwortung jedweder Wahlniederlage liegt beim Spitzenkandidaten, also bei mir", so Steinbrück.

Gabriel musste aber natürlich trotzdem für die mageren 25,7 Prozent büßen: "Die politische Gesamtverantwortung für ein Wahlergebnis - auch für das am 22. September - trägt immer der Vorsitzende der Partei, in diesem Falle ich." Überhaupt war seine Rede eine untypische: Er versuchte gar nicht erst, Euphorie und Aufbruchsstimmung zu verbreiten. In der aktuellen Situation der Partei - nach einem schlechten Wahlergebnis und vor einer ungeliebten Großen Koalition - wäre das auch nicht angemessen gewesen.

Gabriels Wahlergebnis tut nicht weh

Der Parteivorsitzende wartet mit einer nachdenklichen Rede auf.

Der Parteivorsitzende wartet mit einer nachdenklichen Rede auf.

(Foto: Reuters)

Stattdessen setzte sich Gabriel kritisch mit der Lage seiner Partei auseinander. Es gebe eine "kulturelle Kluft" zwischen der SPD und den Wählern, die es zu überwinden gelte. In der traditionellen SPD-Wählerschicht sei der Eindruck entstanden, dass die Partei keinen Respekt mehr vor ihrem Leben habe. "Einen schwereren Vorwurf kann man einer sozialdemokratischen Partei nicht machen", so Gabriel. Die Demut in seiner Rede unterstrich Gabriel damit, dass er sich danach sofort setzte, anstatt sich von den Delegierten auf der Bühne feiern zu lassen. Gabriels Wahlergebnis von 83,6 Prozent ist ein Dämpfer, tut aber angesichts der Situation der Partei auch nicht wirklich weh.

Gefühlt ist damit die Aufarbeitung der Bundestagswahl abgeschlossen - obwohl auch in Gabriels Rede offen blieb, woran die SPD genau gescheitert war und was sie dagegen konkret unternehmen kann. Auf der Suche nach neuen Wählern schaute Gabriel in unterschiedliche Richtungen: zum einen zur Linken, mit der Koalitionen in Zukunft nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollen. Zum anderen blickt der SPD-Chef aber auch ins Lager der FDP. Der politische Liberalismus im Sinne von Bürgerrechtsfragen sei viel zu wichtig, "um ihn mit dieser seltsamen FDP untergehen zu lassen". "Sozial und, in diesem Wortsinn verstanden, liberal, das wäre ein gutes Profil für unseren Bundestagswahlkampf 2017."

Auch das Thema Große Koalition spielte eine Rolle, der Kurs der Parteispitze wurde aber kaum hinterfragt. Eine einzige Rednerin fand sich, die einen Antrag gegen eine solche Koalition verteidigte. Den Wählern sei nicht zu vermitteln, dass sie Steinbrück gewählt hätten und nun Merkel bekämen, sagte die Delegierte aus Nordrhein-Westfalen. Die Sprecherin der Antragskommission bezeichnete das als "kleinmütig". Der Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.

Pflegen des Bildes von der Mitmach-Partei

Die Öffnung zur Linkspartei wurde dann noch in einen offiziellen Beschluss gegossen. Man werde keine Koalitionen, außer solche mit rechtsextremen Parteien, mehr ausschließen, heißt es darin, wenn bestimmte Bedingungen gegeben seien. Dazu zählt auch, dass "eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen gewährleistet" ist. Das ist so schwammig, dass Gabriel in seiner Rede behaupten konnte, an der Ablehnung der Linken mit ihrem jetzigen Programm habe sich gar nichts geändert und andere von einer Kehrtwende sprechen konnten.

Wichtiger als das Verhältnis zur Linkspartei ist Gabriel das Bild der SPD als Mitmach-Partei. Wichtigstes Element dafür ist der Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag, wegen dem derzeit angeblich 2500 statt sonst 1000 Menschen pro Monat in die SPD eintreten. Außerdem will die SPD mehr Bürgerkonvente veranstalten und Ideen wie den Tür-zu-Tür-Wahlkampf ausbauen. Im Leitantrag findet sich auch die interessante Forderung nach einem "digitalen Mitgliederentscheid", also einer verbindlichen Abstimmung der SPD-Mitglieder über das Internet - ein Projekt, an dem die Piratenpartei trotz großen Aufwandes bislang gescheitert ist.

Am heutigen Freitag und am Samstag sollen zwei weitere Leitanträge - einer zu Europa, einer zu Kommunalpolitik -beraten werden. Außerdem muss sich Generalsekretärin Andrea Nahles im Amt bestätigen lassen. Da es keine Gegenkandidaten gibt, darf ihre Wiederwahl als sicher gelten, mit einem schlechten Ergebnis können die Delegierten aber ein weiteres kleines Signal gegen die Parteispitze setzen. Dass es nach dem konfliktarmen ersten Tag nun noch zu hitzigeren Debatten kommt, ist nicht zu erwarten.

Quelle: ntv.de

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