AfD aus dem Stand über 24 Prozent Sachsen-Anhalt erlebt politisches Erdbeben
14.03.2016, 01:30 UhrNoch nie ist einer Partei der Neueinzug in einen Landtag mit einem solch hohen Ergebnis gelungen. Am Sonntagabend rauscht die AfD mit 24,2 Prozent in den Magdeburger Landtag, erhebt sich selbst zur "neuen Volkspartei" und ruft die neue Richtung aus: Bundestag.
Die rechtspopulistische AfD hat in Magdeburg ausgelassen ihren Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt bejubelt. Die Anhänger johlten auf der Wahlparty unter "AfD"-Rufen über letzte Hochrechnungen von 24 Prozent. Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, rief seine Partei angesichts des Ergebnisses zur "neuen Volkspartei" aus. Die Zustimmung sei gigantisch. "Die Altparteien haben heute von den Wählern, und unser Volk ist ein gutmütiges und duldsames Volk, die gelbe Karte bekommen", sagte Höcke. Seine Worte wurden begleitet von "Merkel muss weg"-Rufen. AfD-Chefin Frauke Petry sagte: "Wir befinden uns auf der Siegerstraße. Und die führt uns 2017 direkt in den Bundestag."
Die ausländerfeindliche Alternative für Deutschland hat auf Anhieb das zweitbeste Ergebnis nach der CDU erzielt. Sie erreichte nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 24,2 Prozent. Wahlsieger wird die CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff. Sie kommt auf 29,8 Prozent - muss sich allerdings einen neuen Koalitionspartner suchen. Die Linke kommt mit 16,3 Prozent auf den dritten Rang, gefolgt von der SPD, die mit nur noch 10,6 Prozent noch weiter abgestürzt ist, als in den Umfragen erwartet. Die Grünen erreichen 5,2 Prozent. Die FDP gehört nach dem aktuellen Stand wieder nicht dem Landtag an. Die Liberalen liegen bei 4,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung stieg deutlich von 51,2 Prozent im Jahr 2011 auf 63 Prozent.
Im neuen Landtag verfügt die CDU über 30 Sitze, die Linke kommt auf 17 Mandate. Die SPD ist mit 11 Abgeordneten vertreten, die AfD erhält 24 Sitze, die Grünen stellen 5 Vertreter. Damit haben CDU und SPD keine Mehrheit mehr im Parlament. Da die Liberalen es nicht ins Parlament geschafft haben, bleibt dem bisherigen Regierungsbündnis von CDU und SPD nur eine Koalition mit den Grünen zur Regierungsbildung. Bündnisse der beiden Parteien mit der Linken oder der AfD sind zwar rechnerisch möglich, aber aus politischen Gründen nicht denkbar.
Die rechtspopulistische AfD hat bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt aus dem Stand 15 Direktmandate geholt. Neben Spitzenkandidat und Parteichef André Poggenburg, der im Wahlkreis Zeitz gewann, konnte sich unter anderem auch Wahlkampfleiter Daniel Roi in Wolfen durchsetzen. Vor allem im Süden jagte die AfD der CDU viele Direktmandate ab. Aber auch in Magdeburg und Halle konnte sie jeweils einen der vier Wahlkreise für sich entscheiden. Die Rechtspopulisten, die auch bei den Zweitstimmen als zweitstärkste Kraft hinter der CDU landeten, waren in 37 der 43 Wahlkreise mit einem Direktkandidaten angetreten.
Haseloff muss neu rechnen
Haseloff zeigte sich vom Abschneiden der AfD betroffen. Gleichzeitig sieht er einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung: "Wir werden in Sachsen-Anhalt eine starke Regierung der Mitte bilden." Er wies darauf hin, dass in Deutschland das Spektrum für Regierungsbildungen durcheinander gekommen sei.
Für Sachsen-Anhalts CDU-Chef, Thomas Webel, ist klar: "Wir werden Ministerpräsident Reiner Haseloff behalten", sagte er dem MDR in Magdeburg. Allerdings werde man sich neben der SPD einen weiteren Partner suchen müssen. SPD-Sitzenkandidatin Katrin Budde sagte: "Das Vertrauen in die SPD ist gesunken. Wir werden in den kommenden Jahren viel Arbeit haben, dieses Vertrauen wiederzugewinnen." Natürlich sei der Einfluss von außen enorm gewesen. Vielen Wählern sei es nicht nur um die Landespolitik gegangen, das belege die Wanderung der Stimmen in Richtung AfD. Ziel sei es jetzt, eine stabile Regierung für Sachsen-Anhalt hinzubekommen.
Linke-Spitzenkandidat Wulf Gallert reagierte mit Enttäuschung auf den Wahlausgang. Der Frust etlicher Wähler sei bei Leuten gelandet, die einfache Antworten gebe, sagte er zu dem Ergebnis für die AfD. Auf die Frage nach einer möglichen Koalition mit der CDU sagte Gallert: Zunächst sei es der Auftrag, linke Alternativen zur CDU zu bieten. Komme man im Land in eine "schwierige Situation", werde man sich "mit dieser Situation auseinandersetzen", sagte er im MDR.
AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg zeigte sich mit dem Abschneiden seiner Partei zufrieden. Er kündigte eine "starke Oppositionsarbeit" an. "Wir sind mit dem Anspruch auf eine starke Opposition in den Wahlkampf gegangen und wir werden als starke Opposition in den Landtag gehen." Poggenburg hatte im Wahlkampf Front gegen "Politikversager", "zügellose Masseneinwanderung" und "Multikulti-Experimente" gemacht. Er gehört zum rechtsnationalen Flügel der Partei.
Unzufriedenheit steckt tief
Der Politologe Everhard Holtmann bescheinigte den Sachsen-Anhaltern eine tief verwurzelte Unzufriedenheit. "Die Bürger schätzen die Fähigkeit der Politik zur Problemlösung nur noch sehr gering ein", sagte er dem MDR. Das sei ein Gefühl, das sich über Jahre aufgestaut habe. Das seien Ängste und auch Aggressionen über die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. Normalerweise seien Protestparteien kaum in der Lage, sich auf parlamentarische Gepflogenheiten einzulassen und würden deshalb auch bald wieder von der Bildfläche verschwinden. "Diesmal sieht es allerdings anders aus, denn das Flüchtlingsthema wird noch eine Weile bleiben und damit auch die AfD."
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa/rts