SPD bietet Minderheitsregierung an Seehofer springt Rösler gegen Merkel bei
17.09.2011, 20:29 Uhr
Klarstellungen helfen nicht: Rösler will auf Merkel derzeit nicht hören.
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Schwarz-Gelb zerstreitet sich völlig über die Euro-Hilfen: Finanzminister Schäuble erteilt FDP-Chef Rösler einen Maulkorb, die Liberalen reagieren empört und springen ihrem Parteichef bei. Auch CSU-Chef Seehofer hält sich nicht an Merkels Machtwort. Öffentlich spekuliert er über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Die SPD legt Merkel Neuwahlen nahe und bietet sich sogar für eine Minderheitsregierung an.
Der Streit in der schwarz-gelben Bundesregierung über den richtigen Kurs in der Schuldenkrise und bei den Euro-Hilfen gewinnt weiter an Schärfe. CSU und FDP ignorieren die wiederholten Ermahnungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich mit öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten. Und beide Koalitionspartner widersprechen Merkels Klarstellung, dass Griechenland trotz seiner Schulden in jedem Fall in der Euro-Zone verbleibe. Nach FDP-Chef Philipp Rösler bekräftige nun CSU-Chef Horst Seehofer die Möglichkeit eines Austritts Griechenlands.

Seehofer meint, ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sei durchaus überlegenswert.
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Zwar wünsche er sich den Erfolg der Rettungsbemühungen, sagte Seehofer dem "Spiegel". "Aber wenn die griechische Regierung und das Parlament diesen Weg nicht mehr gehen wollen oder können, dann sollten wir nicht darauf warten, bis uns die Finanzmärkte zur Einsicht in die Realität zwingen. Dann muss auch ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone denkbar sein."
Die Bundeskanzlerin hatte nach ähnlichen Äußerungen von FDP-Chef Rösler am Dienstag erklärt, es müsse alles getan werden, um den Euroraum zusammenzuhalten. Ansonsten drohten Domino-Effekte. "Scheitert der Euro, scheitert Europa", hatte die CDU-Chefin gewarnt. Dazu sagte Seehofer nun: "Nein. Diesen Zusammenhang sehe ich nicht. Ich glaube, dass die europäische Idee sehr stark ist. Sie lebt, sie ist unumkehrbar."
Mehr oder weniger Europa?
Auch einer Übertragung weiterer Kompetenzen nach Brüssel erteilte Seehofer eine klare Absage: "Das Problem ist doch die Überschuldung mancher Euro-Länder und nicht, dass es in Brüssel zu wenig Behörden gibt. Ich bitte darum, dass wir diese überflüssige Debatte über die Vereinigten Staaten von Europa jetzt beenden."
Merkel will dagegen als Konsequenz aus der Schuldenkrise das Zusammenwachsen Europas beschleunigen. Sie hatte deshalb mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy eine engere haushalts- und steuerpolitische Zusammenarbeit vereinbart.
SPD fordert Neuwahlen
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach sich angesichts des heftigen Streits in der Bundesregierung bereits für ein vorzeitiges Ende der Koalition aus. "Wenn die Kanzlerin und ihr Finanzminister Schäuble der historischen Verantwortung für Deutschland und Europa gerecht werden wollen, dann können sie mit dieser Koalition nicht mehr weiterregieren", sagte er dem "Tagesspiegel". Nicht Merkel bestimme bei Schwarz-Gelb die Richtung für Deutschlands Rolle in Europa, sondern ein "völlig unkalkulierbarer Mitgliederentscheid einer in Auflösung befindlichen FDP".
Gabriel bot Merkel zugleich vorübergehende Unterstützung für eine mögliche Minderheitsregierung an. Den Eintritt der SPD in eine Große Koalition nach einem Bruch der schwarz-gelben Regierung schloss Gabriel aber ebenso wie Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier aus. Steinmeier sagte der WAZ-Mediengruppe: "Wir sind nicht der Ersatzspieler für die FDP." Eine andere Koalition werde es "nur nach Wahlen" geben.
Schäuble knöpft sich Rösler vor
Den Streit innerhalb der schwarz-gelben Koalition befeuerte zusätzlich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er wies den FDP-Chef und Vizekanzler Rösler öffentlich in die Schranken. In der Koalition liege die Zuständigkeit für den Euro bei Kanzlerin Merkel und ihm, stellte Schäuble in der "Bild am Sonntag" klar. Zu den umstrittenen Spekulationen Röslers über eine mögliche Insolvenz Griechenlands sagte er: "In der Demokratie besteht Redefreiheit. Aber zuständig für die Finanzpolitik ist innerhalb der Bundesregierung der Finanzminister." Es gebe in dieser Frage zu Merkel "keinerlei Differenzen." Deshalb spreche die Regierung beim Thema Euro auch mit einer Stimme. "Dass viele andere auch reden, kann ich nicht ändern", sagte der Finanzminister.

Schäuble ist auch nicht für Denkverbote - aber vom Daherquasseln hält er auch nichts.
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Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht kritisierte ebenfalls Rösler: "Ich frage mich: Wie viel weiter ist denn die FDP politisch von einer Insolvenz entfernt als Griechenland?".
Die FDP verbat sich Schäubles Maulkorb-Belehrungen und stärkte ihrem Vorsitzenden den Rücken. FDP-Generalsekretär Christian Lindner erklärte, Rösler setze bei der Suche nach Lösungen für die Euro-Schuldenkrise einen Auftrag des Bundestages aus dem Oktober 2010 um. "Das Parlament hat klare Regeln für die Gläubigerbeteiligung und Staateninsolvenz gefordert. Das Parlament wird auch Herr Schäuble ernst nehmen", konterte Lindner. Lindner sieht die FDP dabei nicht in Frontstellung zur Kanzlerin: Merkel habe "lediglich gesagt, jeder müsse bei seinen Äußerungen vorsichtig sein" - und da müsse Verkehrsminister Peter Ramsauer gemeint gewesen sein, denn dieser habe die Regierungsbeschlüsse zum Europäischen Stabilitätsmechanismus infrage gestellt.
Ökonomen stützen Rösler
FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle stellte sich ebenfalls hinter Rösler. "In der Sache hat Philipp Rösler meine volle Unterstützung", sagte Brüderle der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die FDP wolle einen stabilen und starken Euro. Die Einschätzung Röslers werde "ja auch von Sachverständigen der Bundesregierung geteilt", betonte Brüderle unter Hinweis auf einen Aufruf namhafter Ökonomen. Zu diesen zählt auch Kai Konrad, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats von Finanzminister Schäuble.

Immer neue Botschaften: Die Berliner FDP hofft nun, mit Euro-Populismus über die 5-Prozent-Hürde zu springen.
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In der Erklärung der Ökonomen betonen die 16 Unterzeichner, dass sie - wie Rösler - der Meinung sind, "dass eine Staatsinsolvenz Griechenlands in Betracht gezogen werden sollte". Sonst drohe "die ständige Erweiterung der Rettungsschirme unter deutscher Führung" und lenke den Euroraum "auf direktem Wege in eine Transfer-Union". Die FDP-Vizevorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete es als "wünschenswert, das auch die anderen Parteien die Sorge um die Euro-Stabilität ernst nehmen".
Berliner FDP setzt alles auf Euro-Kritik
Griechenland hat den Unmut von Euro-Staaten auf sich gezogen, da das überschuldete Land nicht den Sparauflagen der Geber der milliardenschweren Hilfen in vollem Umfang nachkommt. Nach Umfragen wächst auch in der deutschen Bevölkerung der Unmut über die Überweisungen nach Athen. Die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds soll bis Ende September entscheiden, ob Griechenland bei seinen Konsolidierungsbemühungen ausreichend nachgebessert hat und damit die Voraussetzungen für die nächste Kredittranche erfüllt, die das Land vor der sonst unvermeidlichen Pleite bewahren soll.
Im Schlussspurt des Berliner Wahlkampfs setzt die ums politische Überleben kämpfende FDP voll und ganz darauf, dass sie für ihren Euro-kritischen Kurs und ihr Eintreten "gegen den Ausverkauf deutscher Interessen" Rückenwind bekommt und die Fünf-Prozent-Hürde doch noch schafft. Der Berliner FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer sagte der "Bild am Sonntag": "Die FDP ist die einzige Partei, die beim Euro Klartext redet. Deshalb machen wir die Berlin-Wahl zur Euro-Wahl." Dies sei mit der Führung der Bundespartei abgestimmt.
Mitgliederentscheid umstritten
Allerdings geht auch innerhalb der FDP der Streit um den richtigen Kurs bei den Euro-Hilfen weiter. Die nordrhein-westfälischen Liberalen sprachen sich in einer Abstimmung für einen Euro-Rettungsschirm aus und stellten sich damit gegen die Euro-Kritiker in der eigenen Partei. Die gegenwärtige Krise sei keine Währungskrise, sondern eine Schuldenkrise, sagte Landesparteichef Daniel Bahr. Vor der Abstimmung hatte er betont, der Stabilitäts- und Wachstumspakt müsse wieder Zähne bekommen. Dazu gehörten verbindliche Regeln für seriöses Haushalten, etwa eine Schuldenbremse in den Verfassungen der EU- Staaten. Einer Mitgliederbefragung erteilten die Delegierten ebenso deutlich eine Absage.
Eine Gruppe um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler und den Altliberalen Burkhard Hirsch wollen den künftigen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM verhindern und eine Mitgliederbefragung durchsetzen. Im Gegensatz zu NRW ist die FDP in Hessen prinzipiell offen für einen Mitgliederentscheid. Sie unterstütze aber nicht die Position der "Euro-Rebellen" um Schäffler und Hirsch, teilte der Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn mit. Für einen Mitgliederentscheid hatten sich die Liberalen in Schleswig-Holstein und Bremen ausgesprochen.
Quelle: ntv.de, tis/dpa/rts/AFP