"Terroristen nie das letzte Wort lassen" Soldaten und Familien trauern
03.06.2011, 15:25 Uhr
Abschied von drei toten Kameraden.
(Foto: dpa)
Zum Abschied von drei in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten kommen zahlreiche Angehörige, Freunde und Soldaten nach Hannover. Allein in den vergangenen neun Tagen bezahlen vier deutsche Soldaten den Einsatz am Hindukusch mit ihrem Leben. Doch vor dieser Gewalt dürfe nicht zurückgewichen werden, sagt Verteidigungsminister De Maizière. Gleichwohl wird eine "Fähigkeitslücke" eingestanden.

Verteidigungsminister de Maiziere, erst drei Monate im Amt, muss seine erste Trauerrede halten.
(Foto: dpa)
Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat eindringlich davor gewarnt, vor der Gewalt der Taliban in Afghanistan zurückzuweichen. "Terroristen dürfen nie das letzte Wort haben", sagte er bei der Trauerfeier für drei gefallene Bundeswehrsoldaten in Hannover. Das Ziel der Aufständischen sei, Vertrauen zwischen der internationalen Schutztruppe und den afghanischen Sicherheitskräften zu zerstören. "Vertrauen kann und darf nicht erfolgreich weggesprengt werden."
De Maizière betonte, zwar seien Zweifel am Afghanistan-Einsatz notwendig, sie müssten aber überwunden werden, wenn man vom Ziel insgesamt überzeugt sei. "Und das sind wir", sagte der Verteidigungsminister.
"Worte können über den Verlust nicht hinwegtrösten", sagte de Maizière in der ersten Trauerrede seiner dreimonatigen Amtszeit. "Was in der vergangenen Woche in Afghanistan geschehen ist, trifft uns tief ins Herz."
In den vergangenen neun Tagen sind vier Bundeswehrsoldaten bei Anschlägen getötet und zwölf verletzt worden. In Hannover fand die Trauerfeier für die drei in der vergangenen Woche in der Provinzhauptstadt Talokan und in der Nähe des Feldlagers Kundus getöteten Soldaten statt. Sie wurden 31, 33 und 43 Jahre Alt. 450 Angehörige, Kameraden und Freunde erwiesen ihnen in der Epiphaniaskirche von Hannover die letzte Ehre.
Merkel: Es bleibt bei der derzeitigen Strategie
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält trotz der tödlichen Anschläge auf Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan an dem Einsatz in dem Land fest.
So bestürzend der neue Anschlag und so bitter die vergangene Woche für die Bundeswehr in Afghanistan auch gewesen sei, die Terroristen dürften ihr Ziel nicht erreichen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Bundesregierung halte an ihrem Ziel einer schrittweisen Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Kräfte fest.
Debatte über Ausrüstung und Strategie der Truppe

Ein amerikanisches Minenräumkommando sucht wenige Kilometer westlich von Kundus nach Sprengfallen.
(Foto: dapd)
Nach dem dritten tödlichen Anschlag auf die Bundeswehr in neun Tagen wird der Ruf nach Konsequenzen lauter. Der Bundeswehrverband forderte eine Überprüfung der politischen und strategischen Konzepte für den Einsatz am Hindukusch. "Die Taliban legen derzeit ein erschreckendes Tempo bei ihren Anschlägen vor. Es wird Zeit, dass Bundesregierung und Parlament reagieren", erklärte Verbandschef Ulrich Kirsch. Die Antworten der deutschen Politik auf die Situation in Afghanistan seien nicht ausreichend. Die Soldaten verdienten "mehr als das immer gleiche "weiter so"", sagte Kirsch. "Wer deutsche Soldaten in den Krieg schickt, schuldet ihnen eine regelmäßige Überprüfung der Grundlagen und Ziele des Einsatzes."
Auch die Diskussion über die Ausrüstung der Truppe ist neu entbrannt. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, machte Ausrüstungsmängel mitverantwortlich, dass deutsche Soldaten Sprengfallen nicht rechtzeitig orten und entschärfen können. Von diesen "geht die größte Gefahr für unsere Soldatinnen und Soldaten aus", sagte Königshaus der Mainzer "Allgemeinen Zeitung". Die US-Streitkräfte verfügten über besonders geschützte Fahrzeuge, aus denen heraus Sprengfallen per Roboterarm beseitigt werden könnten. Am Donnerstag war erneut ein deutscher Soldat in einer Sprengfalle in Nordafghanistan ums Leben gekommen; fünf Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt..
Der Wehrbeauftragte schwächte später im ZDF seine Kritik etwas ab: "In diesem konkreten Fall, glaube ich, wäre kein Schutz dieser Erde geeignet gewesen, es zu verhindern", sagte der FDP-Politiker. In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" räumte Königshaus ein, dass die Ausrüstung in den vergangenen Monaten "rapide verbessert" worden sei.
Notwendigkeit falsch eingeschätzt

Der Kampfpanzer vom Typ "Marder" wurde durch die Sprengfalle zerstört.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im Gegensatz zu den deutschen Einsatzkräften verfügen laut Königshaus beispielsweise die US-Streitkräfte über schweres Gerät zum Aufspüren und Beseitigen von Sprengfällen aus geschützten Fahrzeugen heraus, sogenannte Route Clearance Packages. "Ich habe bereits vor einem Jahr gefordert, solche gepanzerten Spezialfahrzeuge mit Roboterarm auch für unsere Truppen einzuführen und in Afghanistan einzusetzen", sagte Königshaus.
Dass die Bundeswehr über eine solche Technik nicht verfügt, begründete der Wehrbeauftragte im ZDF damit, dass "man sie nicht rechtzeitig bestellt hat, weil man es möglicherweise nicht für erforderlich gehalten hat". Bislang habe man sich darauf beschränkt, die Fahrzeuge sicherer zu machen und stärker zu panzern. "Das ist eben - wie wir jetzt sehen - nicht genug gewesen."
"Sicherlich hervorragend" ...
Königshaus erklärte, Deutschland entwickle ein eigenes System, das im kommenden Jahr zum Einsatz kommen soll. "Das wird sicherlich hervorragend werden." Vorserienmodelle habe er bereits selbst getestet, sagte der FDP-Politiker. Für das kommende Dreivierteljahr gebe es für die deutschen Soldaten in Afghanistan jedoch eine "erhebliche Lücke, die eigentlich früher schon hätte erkannt und geschlossen werden müssen". Jeder Tag Wartezeit ohne solche Spezialfahrzeuge "ist aber ein Tag zu viel". Angesichts der sich häufenden Anschläge auf deutsche Soldaten mahnte Königshaus zur Besonnenheit: "Wir erleben im Moment in Afghanistan eine sehr, sehr bittere Zeit. Aber wir sollten jetzt trotz allem Ruhe und Nerven bewahren."
Ministerium räumt "Fähigkeitslücke" ein

Hauptfeldwebel Markus Siebenmorgen (links) und Oberfeldwebel Christoph-Peter Greiner demonstrieren, wie in Afghanistan aus einer landestypischen Kanne eine Sprengfalle wird.
(Foto: dapd)
Das Verteidigungsministerium räumte ein, dass die Bundeswehr bislang keine Fahrzeuge zum Aufspüren vergrabener Sprengsätzen verfügbar habe. Diese "Fähigkeitslücke" sei 2009 erkannt worden, an einer Lösung werde gearbeitet, sagte ein Sprecher.
Ein System, das Sprengsätze aufspüren und unschädlich machen soll, werde ab Oktober einsetzbar sein. Dazu gehörten unbemannte Fahrzeuge mit Radargeräten, Metalldetektoren sowie Fräsen zum Zerteilen der Bomben. Der Sprecher räumte ein, dass der Prozess zur Beschaffung der Spezialausrüstung "relativ langsam" in Gang gekommen sei. Vor 2009 sei der Bedarf nicht gesehen worden.
Opposition kritisiert Afghanistan-Strategie
Grünen-Chefin Claudia Roth verlangte "eine politische Debatte über die seit Monaten andauernde Offensivstrategie der ISAF in Afghanistan, die bislang auch von der Bundesregierung unterstützt wird". Sie führe offenkundig nicht zu einer zunehmenden Stabilisierung Afghanistans. Die Linken forderten erneut, "die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen".
Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) will aber an der bisherigen Strategie festhalten. Auch Außenminister Guido Westerwelle warnte davor, sich wegen der neuen Anschläge von der bisherigen Afghanistan-Strategie abzuwenden. "Wir müssen weiter alles tun, damit die Afghanen möglichst bald selbst die Verantwortung in ihrem Land übernehmen können", sagte Westerwelle. "Der Weg der inneren Aussöhnung ist äußerst schwierig, aber ohne vernünftige Alternative."
Am vorigen Samstag waren bei einem Anschlag auf ein deutsch-afghanisches Sicherheitstreffen in der Provinz Tachar ein 31 Jahre alter Hauptfeldwebel und ein 43-jähriger Major gestorben. Unter den Verletzten ist auch der ISAF-Regionalkommandeur, General Markus Kneip. Erst drei Tage zuvor hatte eine Sprengstoffattacke in der Nähe von Kundus einen 33 Jahre alten Hauptmann getötet.
Mit dem Anschlag vom Donnerstag sind bereits 34 Bundeswehr-Soldaten bei Gefechten oder Anschlägen in Afghanistan gefallen, insgesamt kamen dort 52 ums Leben.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP