Fürs Kanzleramt kommt die Aufholjagd zu spät Steinbrücks selbstloser Kampf
20.09.2013, 06:52 Uhr
Steinbrück möchte Angela Merkel im Kanzleramt beerben, ein Amt in einer Großen Koalition hat er ausgeschlossen.
(Foto: imago stock&people)
Im Schlussspurt berauscht sich die SPD an ihrem Aufschwung. Die furiose Rückkehr verdanken die Genossen auch ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Dabei ist dessen Abschied nach der Bundestagswahl so gut wie besiegelt.

Mit Klatschpappen zum Wahlerfolg? Die SPD investiert 23 Millionen Euro in den Wahlkampf.
(Foto: dpa)
Peer Steinbrück spielt das Spiel mit, er kämpft für seine SPD bis zum Schluss. "In drei Tagen können Sie die los sein", ruft er den 6000 Zuschauern auf dem Berliner Alexanderplatz zu und meint die Kanzlerin. "Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch, gehen Sie wählen", bittet er. Wen, das ist klar, natürlich die Sozialdemokraten, ach ja, und ihn selbst. "Ich verspreche Ihnen, es wird nicht langweilig", hatte er zuvor verkündet, als er die Bühne betrat. Dabei muss dieser Mann wohl keinem mehr etwas beweisen.
Langweilig war sie sicherlich nicht, seine Kanzlerkandidatur. Vielleicht ist sie sogar die unterhaltsamste in der Geschichte der Bundesrepublik. Steinbrück und Kandidat: Noch vor einigen Wochen schien es, als ob beides nicht zusammenpasst. "Peerlusconi", "Pannenpeer", "Problem-Peer", was musste er nicht alles über sich ergehen lassen? Die Debatten um Kanzlergehalt, Fünf-Euro-Wein und die italienischen Clowns, dazu kam der öffentlich ausgetragene Streit mit Sigmar Gabriel. Für viele stand längst fest: Das wird nichts, die SPD geht unter, und zwar krachend. Dass es nun doch ganz anders kommt, ist auch sein Verdienst. Denn die Geschichte seiner Kandidatur ist auch die von einer eindrucksvollen Rückkehr.
Das Selbstbewusstsein ist zurück
Steinbrück hat eine Weile gebraucht, um in Fahrt zu kommen, aber plötzlich läuft es. Ginge es nach den Genossen, dürfte der Wahlkampf wohl gern noch etwas länger dauern. Die Stimmung ist gut. Denn die Anstrengungen der vergangenen Wochen machen sich bezahlt. Das Umfrage-Tief ist überwunden, das Selbstbewusstsein zurück. Glaubt man den Demoskopen, peilt die SPD ein Ergebnis zwischen 26 und 28 Prozent an. Ein ordentlicher Zuwachs im Vergleich zu den mageren 23 Prozent vor vier Jahren. Daran hätte noch vor Kurzem niemand gedacht.
Vom Aufschwung berauscht, läutet die SPD mit ihrer bisher größten Wahlveranstaltung auf dem Alexanderplatz die letzten 72 Stunden vor der Wahl ein. Im Schlussspurt investieren die Genossen nochmal kräftig, insgesamt sind es diesmal 23 Millionen und damit mehr als bei jeder anderen Partei. In den drei Tagen bis zum Wahlsonntag will die SPD ihre Schlagzahl noch einmal erhöhen. 900.000 weitere Hausbesuche sind geplant, dann ist die Fünf-Millionen-Marke erreicht. Dazu gibt es 8000 zusätzliche Großflächen-Plakate und unzählige Kundgebungen im ganzen Land, mit denen man bis zur letzten Minute um unentschlossene Wähler werben will. In dieser Gruppe wähnt die Partei den Anteil der SPD-affinen Wähler nämlich besonders hoch.
"Die Sozen wollen Ihre Fernseher verstaatlichen"
Steinbrück hat großen Anteil daran, dass die Aufholjagd bisher so erfolgreich verläuft. Ob mit Stinkefinger oder scharfen Worten: Der Kanzlerkandidat polarisiert zwar, aber seine Masche scheint zu ziehen, auch in Berlin. Die Zuschauer lachen, wenn er von Angela Merkels "bunten Schachteln in den Schaufenstern" spricht, wenn er die Kavallerie sattelt oder FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle nachahmt. "Die Sozen wollen Ihre Fernseher und Rasierapparate verstaatlichen. Wenn Sie Glück haben, dürfen Sie Ihre Kinder behalten", haucht er dann mit gespielt heiserer Stimme.
Es ist Steinbrücks Welt, in der die Grenzen zum Polit-Kabarett manchmal verschwimmen, aber die Pointen sitzen. Er hat sie über Monate bei hunderten Veranstaltungen einstudiert und weiß inzwischen, was gut ankommt. Langweilig sind seine Auftritte gewiss nicht. Und doch hat Steinbrück ein Problem: Er wird nicht alle seine Versprechen einlösen können. Spätestens, wenn um kurz nach 18 Uhr die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmern, bricht ein Teil der Steinbrückschen Erzählung endgültig in sich zusammen.
Es ist der Teil von der entscheidenden Schlacht um Rot-Grün, die nicht nur er, sondern alle Genossen in diesen Tagen noch glaubhaft zu beschwören bemühen. So gut die Stimmung bei der SPD auch ist: Das oberste Ziel, in einer rot-grünen Koalition den Kanzler zu stellen, lässt sich drei Tage vor der Wahl kaum mehr aufrechterhalten. Es wird nicht reichen. Der Kampf der Sozialdemokraten richtet sich daher längst nicht mehr auf das Wunschbündnis. Um Rot-Grün geht es nicht mehr, sondern allein um ein gutes Ergebnis für die SPD.
Nur als Kanzler
Denn wahrscheinlich sind am Wahlabend nur zwei Szenarien: Die Partei bleibt in der Opposition oder sie geht erneut in eine Große Koalition, der einzig realistischen Variante, auf die Regierungsbänke zu wechseln. So schlecht die Erinnerungen an das letzte Bündnis mit der Union auch sind: Hinter den Kulissen zeichnet sich ab, dass sich die SPD einer Neuauflage nicht verweigern würde. Der Widerstand des linken Flügels ließe sich wohl brechen, wenn die Parteispitze in den Verhandlungen mit der Union zumindest einen Teil dessen Forderungen durchsetzt. Dazu zählt die Einführung eines Mindestlohns, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Schaffung einer Solidarrente sowie die Abschaffung des Betreuungsgeldes und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Am Ende hätte die Partei dann immerhin zwei ihrer Wahlziele erfüllt: Das Ende für Schwarz-Gelb wäre besiegelt und die Sozialdemokraten dürften regieren. Frei von Tragik ist das nicht: Wer die SPD wählt, bekommt möglicherweise zwar etwas Rot in der nächsten Bundesregierung, aber eben nicht Steinbrück. Der hatte immer klargestellt, nur als Kanzler zur Verfügung zu stehen. Zuletzt beteuerte er zwar, nach der Wahl noch mit der Union verhandeln zu wollen, letztlich bliebe er aber auf der Strecke. Und damit auch sein Versprechen: "In drei Tagen können Sie sie los sein."
Doch Steinbrück ist Profi und spielt mit. In den letzten Tagen vor dem Finish kämpft er längst nicht mehr für sich selbst, sondern nur noch für die Partei. Er lässt sich nichts anmerken, wenn Klaus Wowereit auf dem Alexanderplatz ruft: "Berlin grüßt den zukünftigen Kanzler der Bundesrepublik." Der Traum ist aus: Am Ende bleibt Merkel Kanzlerin und Steinbrück umweht ein Hauch von Abschied. Es ist ein stolzer und selbstloser Abschied.
Quelle: ntv.de