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Gipfel im Kanzleramt Worüber die Stahlindustrie mit dem Kanzler spricht

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"Darf kein Stuhlkreis werden": Bundeskanzler Merz lädt zum "Stahlgipfel" in die Regierungszentrale.

"Darf kein Stuhlkreis werden": Bundeskanzler Merz lädt zum "Stahlgipfel" in die Regierungszentrale.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die deutsche Stahlindustrie schlägt Alarm - ein "Stahlgipfel" im Kanzleramt soll helfen: Was kann die Bundesregierung tun, damit Stahlkocher in Deutschland auch in Zukunft noch mit ihrem Werk Geld verdienen können? Ein Blick auf Zahlen und Daten zur Stahl-Agenda.

Im Berliner Kanzleramt drängeln sich die Manager: Bundeskanzler Friedrich Merz lädt die Konzernchefs der deutschen Stahlindustrie zusammen mit Arbeitnehmervertretern in die Hauptstadt, um die Aussichten der Schlüsselbranche zu diskutieren und Wege in eine klimafreundliche Stahlproduktion zu finden. Neben den Unternehmenslenkern und Gewerkschaftern werden bei dem "Stahlgipfel" auch Ministerpräsidenten aus all jenen Bundesländern erwartet, in denen die Industrie mit größeren Standorten vertreten ist.

Worüber wird gesprochen? Rund einen Monat nach dem "Autogipfel" fordert ein weiterer, schwer in Bedrängnis geratener Industriezweig Hilfe von der Politik. Schon die Namen auf der Gästeliste zeigen, wie ernst die Bundesregierung die Anliegen der Stahlkocher nimmt: Neben Merz sind unter anderem Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sowie Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) mit dabei. Das Treffen soll nicht nur der Symbolik dienen. Ein Regierungssprecher sprach von einem "Wegbereitungsgipfel": Die gemeinsame Aussprache solle den Weg bereiten für Schritte, um die Branche zu stärken und Arbeitsplätze zu schützen.

Für die Länderchefs geht es um regionale Wirtschaftskraft und um die Sicherheit von zehntausenden Arbeitsplätzen. Das Zollchaos am Weltmarkt, die Konkurrenz aus China und die vergleichsweise hohen Strompreise bringen die Branche in Deutschland zunehmend in Schwierigkeiten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Politik. "Der Stahlgipfel darf kein Stuhlkreis werden", sagte der niedersächsische Ministerpräsident Olaf Lies (SPD).

Man brauche einen "wirksamen Stahlpakt für fairen Handel und mit Schutzmaßnahmen, für bezahlbare Energie und mit Leitmärkten für grünen Stahl". Die Länder Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Saarland verfassten ein Positionspapier mit verschiedenen Forderungen, etwa zu niedrigeren Energiepreisen und wirksamen Schutzmaßnahmen für deutsche Hersteller.

Wie wichtig ist Stahl für Deutschland?

Die deutsche Stahlindustrie ist für viele verarbeitende Betriebe essenziell. Für eine Vielzahl an Produkten sind die Unternehmen auf eine verlässliche Stahlproduktion zu kalkulierbaren Kosten angewiesen. Dies gilt nicht nur für den Autobau, sondern auch für die Bauindustrie, die Rüstungsindustrie und den Maschinenbau. Aber auch Haushaltsgeräte kommen nicht ohne aus. Stahl ist nicht gleich Stahl: Die deutschen Hersteller bieten mehr als 2500 Stahlsorten an, teils mit Spezialeigenschaften und extra für besondere Anwendungen zertifiziert - etwa für Drähte, Bleche, Stangen, Rohre oder Schienen.

Rund 80.000 Menschen sind direkt in der stahlerzeugenden Branche beschäftigt. Große Firmen sind etwa Thyssenkrupp Steel, Salzgitter, ArcelorMittal, Dillinger und Saarstahl. In der nächsten Stufe der Wertschöpfungskette arbeiten laut Branchenverband Wirtschaftsvereinigung Stahl rund vier Millionen Menschen in sogenannten stahlintensiven Branchen.

Gut 37 Millionen Tonnen Rohstahl wurden 2024 in Deutschland erzeugt. Die Menge lag das dritte Jahr in Folge unter der 40-Millionen-Marke, ab der die Branche von einer Rezession spricht. Der meiste Stahl wird in Duisburg produziert. In Europa ist Deutschland der mit Abstand größte Rohstahlproduzent. 2024 wurde mehr als ein Viertel der EU-Produktion (knapp 130 Millionen Tonnen) hierzulande produziert.

Weltweit liegt deutscher Stahl mengenmäßig auf Platz 7. Den Spitzenplatz belegte 2024 mit großem Abstand China mit 1.005 Millionen Tonnen vor Indien (149 Millionen Tonnen). Der Weltmarktanteil der chinesischen Stahlproduktion liegt seit Jahren stabil knapp über 50 Prozent.

Was sind die drängendsten Probleme?

Die Branche klagt über unfaire Wettbewerbsbedingungen. "Massiv zunehmende und oft unfair subventionierte Importe drängen auf den EU-Markt", heißt es beim Branchenverband. Jede dritte in der EU eingesetzte Tonne Stahl komme inzwischen aus Drittstaaten. Indien baute in den vergangenen Jahren seinen Weltmarktanteil stetig aus. Die Energiepreise in China liegen weit unter dem europäischen Niveau. Zudem gelten hierzulande ganz andere Auflagen und Umweltschutzvorschriften.

Die hohen Energiepreise machen den Herstellern schwer zu schaffen. Die Stahlproduktion erfordert große Mengen an Energie, ebenso wie die Weiterverarbeitung und der Transport. Zusätzlich hat sich in den vergangenen Jahren auch die allgemeine Konjunkturschwäche in Deutschland verheerend auf die Stahlindustrie ausgewirkt. Die Abnehmer sparen, die Nachfrage sinkt, der Zollstreit und die Krise der deutschen Autobauer verdüstern die Aussichten. Das Marktvolumen ist laut Branchenverband seit 2017 um rund ein Drittel gesunken. Hinzu kommen Milliardenkosten für die Umstellung der Produktionsverfahren in Richtung Klimaneutralität.

Warum soll die Stahlherstellung klimafreundlicher werden?

In der Stahlproduktion fallen bisher extrem viele klimaschädliche Kohlendioxid-Emissionen an. Etwa sieben Prozent des gesamten CO2-Austoßes in Deutschland gehen auf das Konto der Branche. Verantwortlich ist dafür vor allem die klassische Roheisenerzeugung in Hochöfen, bei der sehr viel Kohlenstoff etwa in Form von Koks benötigt wird.

Die Verbrennung von Kohle sorgt für Hitze und entzieht dem Eisenerz den Sauerstoff, was Reduktion genannt wird. Derzeit werden rund 70 Prozent des Roheisens in Hochöfen gewonnen. Für die übrigen 30 Prozent wird Schrott in großen, elektrisch betriebenen Öfen eingeschmolzen.

Kann man Stahl auch klimafreundlicher herstellen?

Die Stahlindustrie sagt: Ja. Vor allem, wenn ein Verfahren zum Einsatz kommt, bei dem anstatt Kohle und Koks idealerweise klimafreundlich hergestellter Wasserstoff zum Einsatz kommt. Abfallstoff ist dann nicht Kohlendioxid, sondern Wasser. Die Anlagen heißen nicht Hochöfen, sondern Direktreduktionsanlagen.

Das Problem: Für die neue Produktionsmethode werden große Mengen an Wasserstoff benötigt, die aber noch nicht verfügbar sind. Die deutsche Wasserstoffwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Übergangsweise sollen neue Anlagen daher mit Erdgas betrieben werden, wie ArcelorMittal es schon seit Langem in einer Anlage in Hamburg macht. Neue, mit staatlichen Milliardenhilfen geförderte Anlagen sind im Bau, etwa in Duisburg und Salzgitter. Auch der verstärkte Einsatz von Wind- und Sonnenstrom in den Elektroöfen hilft, den Treibhausgas-Ausstoß zu verringern.

Was könnte die Politik überhaupt tun?

Die Bundesregierung will die Branche stützen - auch, weil Deutschland ohne eigenständige Stahlindustrie abhängig wäre von Ländern wie China. Zum einen soll die sogenannte Strompreiskompensation über 2030 hinaus verlängert werden, wie Wirtschaftsministerin Reiche ankündigte. Dabei werden Firmen indirekt von Kosten des CO2-Emissionshandels entlastet.

Zudem soll am 1. Januar 2026 ein Industriestrompreis eingeführt werden. Durch staatliche Subventionen soll der Strompreis für energieintensive Unternehmen spürbar sinken. Nach EU-Vorgaben ist es bisher faktisch nicht möglich, dass Unternehmen von beiden Hilfen profitieren, also der Strompreiskompensation und dem Industriestrompreis. Die Bundesregierung könnte sich auf EU-Ebene für eine Änderung starkmachen.

Bereits beschlossen sind zudem Entlastungen bei den Strom-Netzentgelten 2026 - wobei die Stahlbranche auf eine dauerhafte Senkung pocht. Mehr Flexibilität könnte es beim Einsatz von Wasserstoff geben. Angestrebt wird eigentlich "grüner" Wasserstoff, der auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt wird.

Wasserstoff ist aber noch sehr teuer und bisher nicht im ausreichenden Maß vorhanden. Deswegen könnte zunächst "blauer" Wasserstoff zum Einsatz kommen, der aus Erdgas hergestellt wird. Viele wichtige Maßnahmen kann die Bundesregierung aber nicht alleine beschließen, weil sie auf EU-Ebene entschieden werden. Dabei geht es vor allem um Handelspolitik.

Helfen höhere Zölle der EU-Stahlindustrie?

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die heimische Stahlindustrie mit deutlich angehobenen Zollschranken vor billiger Konkurrenz aus Ländern wie China zu schützen. Zudem soll die Menge für zollfreie Importe nahezu halbiert werden. Konkret soll der Zollsatz für Importe, die darüber hinausgehen, auf 50 Prozent verdoppelt werden. Das könnte Auswirkungen haben auf die schwierigen Verhandlungen mit den USA, die für Stahl und Aluminium Importzölle von 50 Prozent erheben.

Finanzminister Klingbeil forderte zudem ein vollständiges Ende aller Stahlimporte aus Russland. Noch immer seien Stahlbrammen, die in Russland produziert und in der EU weiterverarbeitet werden, von Sanktionen ausgenommen.

Was erhofft sich die Stahl-Managerin Jaroni?

Die Chefin von Deutschlands größtem Stahlhersteller, Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), Marie Jaroni, macht sich für Zölle auf Stahlimporte und staatliche Hilfe beim Strompreis stark. Zudem spricht sich die Top-Managerin für Quoten bei Investitionen des Staates aus.

"Die Milliarden, die er über das Infrastrukturpaket investiert, sollten mit der Anforderung verknüpft werden, dass dabei vor allem Stahl aus der EU genutzt wird", sagte Jaroni der "Rheinischen Post". "Es kann doch nicht sein, dass die deutschen Steuermilliarden am Ende vor allem bei Herstellern aus Asien landen."

Quelle: ntv.de, mmo/dpa

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