"Prestigeobjekte" haben ihren Preis Stuttgart und der Kostendeckel
28.11.2011, 13:56 Uhr
Strenger Blick: Ministerpräsident Kretschman beharrt auf der Kostengrenze.
(Foto: dpa)
Klare Ansage: Er wolle sich nicht erpressen lassen, sagt der grüne Ministerpräsident Kretschmann und beharrt auf dem Kostendeckel für Stuttgart 21. Sollten die Kosten ausufern, werde das Land nicht bezahlen. Die Bahn bleibt gelassen. Sie hat nicht nur eine gewonnene Volksabstimmung im Rücken, sondern auch zahlreiche Musterfälle in der Hand.
Mit 58,8 Prozent hat Baden-Württemberg mit deutlicher Mehrheit gegen einen Ausstieg des Landes aus dem Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 gestimmt. Ein letzter Strohhalm bleibt den Gegnern des unterirdischen Durchgangsbahnhofs: Vielleicht scheitert das Projekt an einer Kostenexplosion? Immerhin hatte Bahnchef Rüdiger Grube selbst die Sollbruchstelle bei Kosten über 4,5 Milliarden Euro angesetzt. Doch das war vor der Abstimmung.
Unmittelbar nach der Niederlage warnte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zwar die Deutsche Bahn als Bauherrin unmissverständlich vor Nachforderungen: "Wir werden nicht mehr bezahlen als unseren Anteil." Auch Kretschmanns Vize Nils Schmid von der SPD ermahnte die Bahn, den kalkulierten Kostenrahmen nicht zu sprengen. Und schon vor der Abstimmung hatte die grün-rote Koalition zur Sicherheit einen Kabinettsbeschluss gefasst, der vorsieht, dass sich Baden-Württemberg an keinen Kosten beteiligt, die über den vereinbarten Landesanteil von 930 Millionen Euro hinausgehen.
Die Bahn reagierte dennoch mehr als gelassen auf die Warnungen. Falls Mehrkosten entstünden, werde man sich verständigen, sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich. "Alle wollen das Projekt; die Bürger, die Parteien, die Bahn – da wird man eine Lösung finden". Auch das Land müsse seinen Beitrag leisten, wenn mehr Kosten kommen sollten, fügte Dietrich hinzu. Von der Sollbruchstelle war keine Rede.
Kalkulierte Kostenexplosionen
Derzeit liegen die Kosten offiziell bei rund 4,1 Milliarden Euro, der verbleibende Spielraum für den Untergrundbahnhof ist mit 400 Millionen Euro also relativ gering. Doch wahrscheinlich bleibt die Deutsche Bahn mit gutem Grund so entspannt: Schaut man sich andere Großbauprojekte in Deutschland an, sind Kostenexplosionen eher die Regel als die Ausnahme. Vielzitiertes Paradebeispiel ist die Elbphilharmonie. Das Prestigeprojekt hinkt nicht nur schätzungsweise zweieinhalb Jahre hinter der geplanten Bauzeit hinterher, die Kosten für Hamburgs neues Wahrzeichen haben sich mit mindestens 323 Millionen Euro weit von den ursprünglich anvisierten 100 Millionen Euro entfernt. Mittlerweile tobt ein juristischer Streit zwischen dem Baukonzern Hochtief und der Stadt Hamburg darüber, wer für die Kosten verschlingenden Verzögerungen verantwortlich ist.
Da kommt auch für das Projekt Stuttgart 21 die Frage auf, was passiert, wenn nicht die Bahn selbst, sondern eines der Bau-Subunternehmen eines Tages Geld vom Ländle fordern sollte – etwa wegen der durch politischen Diskussionen verlängerten Bauzeiten. Gilt der grün-rote Kabinettsbeschluss auch dann?
Anderes Beispiel ist der Berliner Hauptbahnhof, der 2006 für großen Ärger sorgte. Kostete der Bahnhof auf dem Reißbrett noch 300 Millionen Euro, wurden letztlich 1,2 Milliarden Euro fällig. Und die Mieteinnahmen zwischen sechs und acht Millionen jährlich, die die Bahn mit den ansässigen Geschäften erwirtschaftetet, werden niemals reichen, um die Baukosten wieder reinzuholen. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen: Für das Berliner Stadtschloss ist der Baubeginn erst für 2014 geplant, schon liegen die Kosten mit 590 Millionen Euro über der festgelegten Obergrenze von 552 Millionen Euro. Begründung des Finanzministeriums: Höhere Preise im Baugewerbe. Die "Waldschlösschenbrücke", die dem Dresdner Elbtal den Weltkulturerbetitel der UNESCO kostete, liegt derzeit bei rund 180 Millionen Euro – kalkuliert waren 157 Millionen Euro.
Prestigebauten sind also vor allem eines: sündhaft teuer. Möglichweise ist das der Preis, wenn Deutschland "nicht nur das Land der Ideen, sondern auch das Land der Umsetzung" bleiben will, wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer nach der Volksabstimmung freudig feststellte. Doch vielleicht sollte sich das Land der Ideen und Umsetzungen auch auf andere Tugenden besinnen. Wie zum Beispiel Disziplin und Sparsamkeit.
Quelle: ntv.de