Die Linke trifft sich Suche Führung, biete Chaos
01.06.2012, 12:05 Uhr
Zurzeit steht alles Kopf bei den Linken.
(Foto: picture alliance / dpa)
Was wird das bloß in Göttingen, beim Parteitag der Linken? Ein schlimmer Hahnenkampf, eine Revolution der Frauen, Zoff ohne Ende? Alles möglich. Klar ist nur: Die Partei liegt am Boden und braucht eine neue Führung. Eine, die glasklare Perspektiven schafft. Sonst sieht es düster aus für die zerstrittenen Genossen.
Wenn die Linkspartei sich trifft, steht immer ein roter Transporter vor der Tür. Er zeigt schon von weitem den Weg zur Parteitagshalle. "Gerecht", steht in weißen Buchstaben drauf. Und "sozial". Es ist nicht anzunehmen, dass vor dem Zusammentreffen in Göttingen an diesem Wochenende noch jemand "total zerstritten" oder "kurz vorm Ende" hinzufügt. Aber passen würde das schon.

Die Kandidaten mit Chance: (v.l. n.r.) Kipping, Schwabedissen, Riexinger, Bartsch, Zimmermann, Heyenn.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Linke. Noch nie war sie in einem so desolaten Zustand wie jetzt. Die Etablierung im Westen – jäh gestoppt durch den Rauswurf aus den Parlamenten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Bundesweit krebst sie in der Sonntagsfrage knapp oberhalb der 5-Prozent-Hürde herum, Besserung nicht in Sicht. Und nun, kurz vor der Wahl eines neuen Führungsduos, bricht der Grabenkampf zwischen westlichen Fundamentalisten und östlichen Reformern massiv aus. Der Oskar mag den Dietmar nicht, die Katja macht's nur mit der Katharina, die Sahra findet den Dietmar auch blöd, mag dafür aber die Katja und den Bernd, der Dietmar würde ja gerne, ist aber von Oskar und Sahra total genervt.
"Super-Horror-Show" nennt Ex-Parteichef Lothar Bisky die Rangeleien. Andere reden von "dramatischer Krise", "existenzieller Bedrohung" oder wie Gregor Gysi von einem "Desaster bis hin zu einer möglichen Spaltung". Und alle haben wohl recht. Vor allem, weil die Inhalte der einst aus WASG und PDS fusionierten Linken seit Monaten gar keine Rolle mehr spielen. Europa in der Finanzkrise, Banken am Pranger, prekäre Beschäftigung und Lohndumping – die Linke kann trotzdem nicht profitieren. Offenbar glauben viele von denen, die die Partei eigentlich ansprechen will, zunehmend sogar an die, die gar keine Antworten haben, nämlich die Piraten. Bei denen ist der Streit immerhin Teil des Systems, nicht der Sand im Getriebe.
Kurz vor wichtigen Personalentscheidungen in Parteien wird gerne von "Showdown" gesprochen. Das ist natürlich eine Phrase, genauso wie "Klartext reden" oder "Investitionen in die Bildung sind Investitionen in die Zukunft". Aber ein Showdown wird das, was in Göttingen abläuft, ein kleines bisschen schon. Warum?
Erstmals in der Geschichte der Partei ist wirklich offen, welche der zurzeit zehn Kandidaten am Ende die Blumensträuße fangen und dann zusammen arbeiten müssen. Eine Vorab-Festlegung, ein gemachter Sieger, ein platzierter Kandidat – das gibt es alles diesmal nicht. Und die Machtverhältnisse sind denkbar knapp. Von den 550 stimmberechtigten Delegierten kommen zwar 272 aus den Ost-Verbänden und nur 228 aus dem Westen, dafür aber gelten die 50 Vertreter der verschiedenen Arbeitsgemeinschaften als tendenziell eher fundamentalistisch. Den Kandidaten wird nichts anderes übrig bleiben, als aufs Podium zu treten, sich extrem gut zu verkaufen und die anderen möglichst schlecht aussehen zu lassen.
Die Kämpfer ziehen los
Die Favoriten in dieser Verbalschlacht stehen allerdings fest. Da ist Dietmar Bartsch, der die regierungserprobten Genossen aus dem Osten hinter sich weiß. Er ist pragmatisch und will raus aus der Sackgasse der Daueropposition. Das Problem des Ex-Bundesgeschäftsführers jedoch ist: Er steht inhaltlich der SPD sehr nahe. Jener Partei, die mit der Agenda-Politik und Hartz IV die Linke erst möglich machte. Jener Partei, gegen die sich die Dunkelroten unter der Herrschaft Oskar Lafontaines erfolgreich abgrenzten.
Bernd Riexinger indes würde wohl mit diesem Lafontaine'schen Konzept eher weitermachen. Der baden-württembergische Landesvorsitzende und erfahrene Gewerkschafter hat ebenfalls gute Chancen – quasi als von Lafontaine-Freundin Sahra Wagenknecht empfohlener "Anti-Bartsch". Zwar betont er, er wolle "alle Strömungen vereinen", doch das haben bisher die meisten Vorsitzenden versprochen. Und klar ist auch: Riexinger gehört eher zum linken Flügel bei den Sozialisten. Ein Duo Bartsch/Riexinger wird es auf keinen Fall geben. Die Parteisatzung sieht mindestens eine Frau an der Spitze vor.
Antreten wird auch das Duo Katja Kipping und Katharina Schwabedissen. Die beiden Rotschöpfe - die eine Ost, die andere West - stehen "für ein Modell mit einem integrierenden Ansatz, weg vom Lagerdenken", wie sie im Interview mit n-tv.de betonen. Die Hand reichen wollen die beiden Frauen allen, um "aus ihren Schützengräben herauszukommen". Das Problem: Viele der Delegierten könnten sich sicher auf die sehr inhaltlich orientierte, aber doch auffallende Kipping einlassen. Schwabedissen hingegen hat die Partei in NRW vor die Wand gefahren. Dazu kommt: Die beiden wollen nur als Paket die Partei führen, was den Bartsch-Fans nicht passt.
Offen ist, wie sich Wagenknecht verhält. Möglich, dass sie in letzter Sekunde doch kandidiert. Bislang, sagt sie jedenfalls, wäre sie mit einem Vize-Posten zufrieden – und spricht sich für das Duo Kipping/Riexinger aus. Doch die medial präsenteste aller Linken ist für eine Überraschung gut. Der Haken ist: Geht sie ins Rennen, wird ihr Partner aller Wahrscheinlichkeit nach Bartsch. Und das will die Düsseldorferin nicht. Bartsch hat zwar selbst für diese Variante immer ein Türchen offen gelassen, aber dennoch wären die beiden als Führungsduo an der ersten Weggabelung wohl der in Stein gemeißelte Grabenkampf.
Die anderen Kandidaten sind eher Randerscheinungen. Mit Dora Heyenn aus Hamburg und Sabine Zimmermann aus Sachsen mischen zwar noch zwei erfahrene Parteikämpferinnen mit, viele Stimmen ergattern können sie aber wohl nur, wenn Kandidaturen der Favoriten in letzter Minute zusammenbrechen.
Für einen jedenfalls wird die Wahl zum vorläufigen Endpunkt seiner Parteikarriere: Klaus Ernst. Beobachter glauben nicht, dass er nochmal um einen Job kämpft, der ihn alle Nerven gekostet haben dürfte. Eingezwängt in graue Anzüge, gebrandmarkt als Porsche-Fahrer, ungewohnt mit seinem Dialekt – "er war stets bemüht", könnte es über den bayerischen Berlin-Besucher heißen. Und das stimmt auch: In Talk-Shows war er gar nicht schlecht. Immerhin hat er dort die Ziele der Linken gebetsmühlenartig vertreten, immerhin hat er die Arbeit nach dem plötzlichen Weggang seiner Kollegin Gesine Lötzsch alleine geschultert. Er wird die erste Rede halten in Göttingen – und viele sind gespannt, wie sein Fazit ausfällt.
Ganz zum Schluss, am Ende des Parteitages, ist der rote Transporter auch noch da, draußen vor der Tür. Er wird vollgestopft mit Tapeziertischen, die als Stände dienten. Und mit Flugblättern, auf denen Parolen stehen. Wenn alles gut gegangen ist mit der Wahl der Spitze, wird vielleicht einer "jetzt aber endlich los" darauf schreiben.
Quelle: ntv.de