
Im Oktober 2015 demonstrierte Foodwatch mit dieser Pappmaché-Merkel gegen TTIP.
(Foto: AP)
Wenn die Sozialdemokraten in Frankreich und Deutschland das Freihandelsabkommen TTIP blockieren, ist das eine Niederlage für die Mächtigsten in der Welt. Sie sind die Sache falsch angegangen.
In einem Schlösschen westlich von Paris kamen am Donnerstag vergangener Woche europäische Sozialdemokraten zusammen, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. Nach dem Treffen forderten sie Investitionen, um die Folgen des Brexit abzufedern. Aber offenbar haben sie noch etwas anderes beschlossen: Das Aus von TTIP.
Nach den deutschen SPD-Ministern Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier erklärt nun auch Matthias Fekl, der in der französischen Regierung für TTIP zuständig ist, dass sein Land das Abkommen nicht mehr unterstützt. Die Statements wirken nicht zufällig, sondern abgestimmt, und für einen Bluff sind sie eigentlich zu deutlich. Klar ist: Ohne die in Frankreich regierenden Sozialisten und die in Deutschland mitregierenden Sozialdemokraten hat TTIP keine Chance. Was würde das Scheitern dieses Abkommens bedeuten?
Eine schlechte Nachricht für Arbeitssuchende
Zunächst einmal wäre es eine schlechte Nachricht für viele europäische und amerikanische Unternehmen. Exportierende Großkonzerne wie auch Mittelständler hatten darauf gehofft, dass Zölle gestrichen und Produktionsvorschriften angeglichen werden. Das hätte ihnen Kosten erspart und sie im Wettbewerb zum Beispiel mit asiatischen Firmen vorangebracht.
Wettbewerbsfähige Unternehmen schaffen mehr Arbeitsplätze. Darum wäre das Scheitern von TTIP zumindest kurz- und mittelfristig auch eine schlechte Nachricht für Arbeitsuchende. Die erhofften neuen Jobs werden erst einmal nicht entstehen.
Allerdings ist die Ablehnung von TTIP ja nicht grundlos. Mit dem Abkommen wäre das Vorsorgeprinzip im europäischen Verbraucherschutz in Gefahr geraten und Unternehmen hätten vor Schiedsgerichten gegen Staaten klagen können. Damit wären Risiken für die europäischen Bürger verbunden gewesen. Langfristig hätte es auch der Wirtschaft schaden können, wenn die Bürger das Vertrauen in ihre Produkte verlieren. Und: Durch TTIP wären nicht nur neue Jobs entstanden, es wären auch einige weggefallen. Im Ergebnis hätte es wohl weniger Arbeitslose gegeben, doch einigen Arbeitern wäre auch gekündigt worden. Manche Geringverdiener müssen darum nun weniger Angst um ihre Arbeitsstelle haben.
Trump spricht von einem "Jobvernichter"
Die politischen Verlierer sind die Befürworter unter den Regierenden in den USA und in Europa. Also vor allem Barack Obama, Jean-Claude Juncker und Angela Merkel. Besonders US-Präsident Obama hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wirtschaft seines Landes weniger abzuschotten. Die Debatte in den USA dreht sich dabei nicht so sehr um TTIP, sondern um TTP – ein ähnliches Abkommen, das die USA mit asiatischen Staaten ausgehandelt haben. Donald Trump hält dieses Abkommen für einen Job-Vernichter, und auf Druck von Bernie Sanders hat auch Hillary Clinton eine kritische Haltung eingenommen. Die Amerikaner glauben, dass bestehende Abkommen wie Nafta der Produktion in den USA geschadet haben. Schafft es Obama nicht, die Abkommen noch in seiner Amtszeit, also bis Ende des Jahres, abzuschließen, sind sie wohl auf lange Zeit gescheitert. Die jahrelang mit hohem diplomatischen Aufwand geführten Verhandlungen wären nutzlos gewesen.
Zu den politischen Gewinnern würden die Sozialdemokraten zählen, die das Abkommen nun kippen. Sigmar Gabriel wirkte oft hin- und hergezogen zwischen den Interessen der Wirtschaft, die TTIP befürwortet, und seinen Wählern, die TTIP ablehnen. Eine klare Linie wird der SPD bei der nächsten Wahl helfen. Außerdem hat die SPD durch die Abstimmung mit den französischen Genossen gezeigt, wie Parteiarbeit international funktionieren kann. Am Ceta-Abkommen mit Kanada will Gabriel aber festhalten, insbesondere, weil dort die Klagerechte von Investoren anders geregelt sind. Diesen Unterschied deutlich zu machen, wird ein hartes Stück Arbeit für ihn werden.
Eine Niederlage des politischen Establishments
Die eigentlichen Gewinner sind aber die Demonstranten, die zum Beispiel in Berlin zu Zehntausenden auf die Straße gingen, um das Abkommen zu kippen. Sie übten nicht nur durch ihre schiere Masse Druck aus, sondern auch dadurch, dass sie sich für die komplexen Details bei TTIP interessierten: So drehte sich die Debatte von den wohl überzogenen Sorgen bei der Lebensmittelsicherheit auf die ernsthaften Schäden, die ein Investitionsschutzabkommen am Rechtsstaat anrichten könnte.
Viele Politiker hatten das nicht erwartet. Anstatt offensiv mit diesem Thema umzugehen und die komplexen Zusammenhänge zu erklären, vermieden sie das Thema lange Zeit und hielten es aus den Wahlkämpfen heraus. Offenbar hatten viele von ihnen geglaubt, dass sie TTIP an den Bürgern vorbei verhandeln können, weil es ohnehin zu komplex für eine gesellschaftliche Debatte wäre. Das hat sich als naiv erwiesen. Das Scheitern von TTIP lässt sich darum auch als eine Niederlage des politischen Establishments in den USA und Europa lesen.
Was ist die Lehre daraus? TTIP ist ein Mega-Projekt, weil es erstens den Abbau von Zöllen, zweitens das Angleichen von Standards und drittens ein Investitionsschutzabkommen miteinander verbindet. Alles drei ließe sich auch einzeln verhandeln, jeweils mit eigener Debatte und eigener Ratifizierung. Dann hätten Parlamente und Bürger die Chance, Teile des Pakets anzunehmen und andere abzulehnen. Sie könnten sich für das Absenken von Zöllen und gegen die Harmonisierung bestimmter Standards entscheiden. Der Prozess würde demokratischer – und hätte bessere Aussichten auf Erfolg.
Quelle: ntv.de