Politik

"Zweckloser Krieg" Taliban verhöhnen Obama

Obama während seiner Ansprache.

Obama während seiner Ansprache.

(Foto: dpa)

Die Reaktion kommt schnell - und sie ist eindeutig. Den radikalen Taliban reicht der von US-Präsident Obama angekündigte teilweise Truppenabzug aus Afghanistan nicht aus. Sollte es keinen vollständigen Rückzug geben, werde die Gewalt weiter eskalieren. Leidtragende, so die Taliban, seien die amerikanischen Steuerzahler.

Die Antwort kommt postwendend. Führende Taliban haben den von US-Präsident Barack Obama angekündigten aus Afghanistan als völlig unzureichend bezeichnet. Und mehr noch: Sie drohen mit einer Eskalation der Gewalt. "Die Lösung der Krise in Afghanistan liegt in dem sofortigen vollständigen Abzug aller ausländischen Truppen", teilen die radikal-islamischen Aufständischen mit. "Solange dies nicht geschieht, wird unser bewaffneter Kampf Tag für Tag stärker werden."

US-Soldaten bei einer morgendlichen Patrouille.

US-Soldaten bei einer morgendlichen Patrouille.

(Foto: dpa)

In ihrer Stellungnahme heißt es, die Einschätzung der USA, dass ihre Truppen Fortschritte in Afghanistan erzielt hätten, sei "Propaganda" und entbehre jeder Grundlage. "Der amerikanische Steuerzahler muss begreifen, dass sein Geld wie in den vergangenen zehn Jahren immer noch für diesen sinn- und zwecklosen Krieg verschwendet wird oder immer noch in die Taschen von Regierungsbeamten des korrupten Kabuler Regimes fließt."

Obama will in diesem Jahr 10.000 Soldaten aus Afghanistan abziehen. Bis Sommer 2012 sollen es insgesamt 33.000 US-Soldaten sein. Derzeit sind etwa 100.000 US-Soldaten am Hindukusch. Nach diesem ersten Teilabzug soll die Truppenzahl schrittweise weiter reduziert werden. 2014 soll der  Übergabeprozess an die afghanischen Sicherheitskräfte vollzogen sein.

Vier entscheidende Zahlen

Vier Zahlen sind es, die den US-Präsidenten und seinen Beraterstab in jüngster Zeit schlecht schlafen ließen und die Entscheidung für den Truppenabzug befeuerten: 39, 56, 1632 und 100.000.000.000. Konkret: Nur noch eine Minderheit von 39 Prozent würde nach der jüngsten Umfrage des angesehenen US-Meinungsforschungsinstitutes Gallup Obama ihre Stimme geben – ein extrem tiefer Wert für den einstigen Heilsbringer, Tendenz weiter fallend. Dagegen sind 56 Prozent und damit die Mehrheit der US-Bürger für einen schnellen Abzug der Soldaten aus Afghanistan – ein Rekordanteil unter den sonst recht leicht für mächtige Militäreinsätze zu begeisternden US-Amerikanern. Der Hauptgrund für die Kriegsmüdigkeit: 1632 US-Soldaten ließen bislang am Hindukusch ihr Leben, im Schnitt kommt täglich ein Gefallener hinzu. Viele Familien haben einen der massakrierten Soldaten im Bekanntenkreis - oder kennen jemanden, der mit schlimmen körperlichen oder psychischen Wunden heimgekehrt ist. Und schließlich: 100.000.000.000 Dollar kostet der Einsatz den Steuerzahler jährlich. Sehr viel Geld in Zeiten, in denen die Finanzkrise immer mehr US-Amerikaner dazu zwingt, in ihrem Auto zu leben - wenn sie denn noch eines haben.

Angesichts solcher Fakten sei Obamas Entscheidung "äußerst nachvollziehbar", so Winfried Nachtwei, bis 2009 Fraktionssprecher für Sicherheits- und Abrüstungspolitik der Grünen im Bundestag. "Der Druck ist enorm. Darauf muss ein Präsident, der wiedergewählt werden will, natürlich reagieren", sagt der Konflikt-Experte n-tv.de. Das Ziel aber, Afghanistan im Jahr 2014 endlich den Afghanen zurückzugeben, sei "äußerst ehrgeizig". Und Insider Nachtwei weiß: "Viele Verantwortliche aus Militär und Polizei vor Ort haben große Zweifel, dass es zu erreichen ist." Namen nennen will er angesichts der Brisanz des Themas jedoch nicht.

Afghanistan-Experte Nachtwei auf Besuch im Kriegsgebiet. (Archiv)

Afghanistan-Experte Nachtwei auf Besuch im Kriegsgebiet. (Archiv)

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Dabei berichten Kommandeure und Führungskräfte zunehmend auch von kleineren Erfolgen. In den Provinzen Kundus und Baglan sowie im Süden des Landes ist es inzwischen deutlich sicherer. Mädchen bekommen Unterricht, lokale Märkte beginnen zu florieren. Die Ausbildung tausender Polizisten kommt voran. Und der Tod Osama bin Ladens und die gezielten Drohnenangriffe der letzten Wochen hätten die Terror-Organisation Al-Kaida "paralysiert", so die US-Regierung. "Die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung ist aber in keiner Weise bisher ausgemacht", resümiert Nachtwei jedoch. Denn wahr bleibt auch: Mehr als zehn Jahre Militär-Einsatz konnten Afghanistan nicht befrieden. Täglich zeigen die Taliban ihre Macht, simple Sprengfallen knacken nicht nur im Sand der Provinz Helmand die monströsesten Armee-Fahrzeuge – und an jeder Straßenecke kann immer noch rund um die Uhr ein Selbstmordattentäter warten. Gefüttert wird das Risiko für die ISAF-Soldaten durch die Grundstimmung. Zwei Drittel der Bevölkerung beurteilen die Anwesenheit westlicher Truppen negativ, ein Viertel befürwortet Anschläge. Und so verzeichnete auch die Bundeswehr erst kürzlich wieder eine Serie heftiger Anschläge. Mehr als 30 Soldaten der Bundeswehr starben bislang bei Gefechten in Afghanistan.

Die US-Amerikaner sind kriegsmüde angesichts der vielen Toten in den eigenen Reihen.

Die US-Amerikaner sind kriegsmüde angesichts der vielen Toten in den eigenen Reihen.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Kein Wunder, dass die Ankündigung aus Washington als Signal auch für einen Abzug deutscher Soldaten verstanden wird. Schon vor Obamas Rede beeilten sich hochrangige Politiker, der klaren Stimmung der Deutschen für einen Abmarsch der rund 5000 Soldaten ein wählbares Gesicht zu geben. Außenminister Guido Westerwelle wertet den geplanten Schritt als Wendepunkt und Beginn eines Strategiewechsels. Weitere zehn Jahre sollten es in Afghanistan für die Kampftruppen der Bundeswehr nicht werden, so Westerwelle. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wird noch konkreter und fordert den Beginn des Abzugs noch in diesem Jahr. Durch die Reduzierung der US-Truppen werde die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen bis 2014 unumkehrbar, sagt Steinmeier. Deutschland müsse diesem Beispiel folgen und noch 2011 "eine entsprechende Weichenstellung vornehmen".

Hilferufe der Soldaten

Nachtwei warnt bei n-tv.de vor Aktionismus. Bei der Abklärung eines Abzuges empfiehlt er "große Sorgfalt". Und weiter: "Ob im Norden eine Reduzierung in diesem Jahr überhaupt möglich ist, kann nur mit einer sehr gewissenhaften Bestandsaufnahme festgestellt werden." Zurzeit seien ISAF und afghanische Armee dort jedenfalls eher an der Grenze des Machbaren. Mehr als unterstützt wird diese Einschätzung vom Bundeswehrverband. Dessen Chef Ulrich Kirsch stellt deutsche Rückzugspläne grundsätzlich in Frage. "Bevor wir abziehen, müssen wir alles tun, damit die Taliban nicht wieder an die Macht kommen", betont er. "Ich sage, dass dafür noch mehr getan werden muss, und kann dabei nur diejenigen als Zeugen aufrufen, die uns bitten: 'Schickt uns mehr Kräfte, wir sind hier zu wenige.'"

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen