Politik

Der Ober-Linke vor dem Abschied Tritt Gysi am Sonntag ab?

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(Foto: picture alliance / dpa)

Er ist eine Polit-Legende. Was wäre die Linkspartei ohne Gregor Gysi? Doch der Fraktionschef ist bereits 67 Jahre alt. Am kommenden Wochenende könnte er eine unangenehme Botschaft verkünden.

Gregor Gysi hat es wieder getan. Der Linken-Fraktionschef hat am Wochenende mal wieder in die Glaskugel geschaut. Seine Partei solle jetzt schon eine mögliche rot-rot-grüne Koalition nach der kommenden Bundestagswahl 2017 vorbereiten, sagte er dem "Tagesspiegel". "Klar ist, dass wir in einer Koalition nicht alle Ziele durchbekommen. Wir kommen nicht über zehn Prozent hinaus, wenn wir sagen: Die Linke will ewig in der Opposition bleiben." Die Sätze legen nah, dass Gysi Rot-Rot-Grün noch aktiv mitgestalten will.

Es könnte aber auch sein, dass er diese Aufgabe in andere Hände legen will. So genau weiß das vor dem Parteitag in Bielefeld selbst bei den Linken kaum jemand. Möglich sind zwei Varianten, die der 67-Jährige in seiner Grundsatzrede am Wochenende verkünden könnte: Entweder Gysi räumt zum Herbst den Posten an der Fraktionsspitze oder er hängt noch zwei Jahre dran. "Wir wissen es alle nicht", sagt der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich n-tv.de. Seine Fraktionskollegin Ulla Jelpke sagt: "Ich weiß es nicht. Es gibt viele Anhaltspunkte, das er weitermacht. Warum sollte er sich sonst für Koalitionsverhandlungen einsetzen?" Doch als klares Signal will sie dies nicht verstehen.

Viele in der Partei hoffen, dass die Galionsfigur Gysi bleibt. Aber gleichzeitig setzt man sich intensiv mit dem Szenario auseinander, dass er seinen Posten aufgibt. "Ich glaube, dass er nicht noch einmal antritt", sagt ein Linken-Parlamentarier. Andere werten es als Signal für einen Abschied, dass Gysi seine Familie zum Parteitag eingeladen hat. Ob es der Ober-Linke selbst schon weiß? "Vielleicht entscheidet er sich auch am Freitag nochmal um", sagt einer, der sich in der Partei auskennt.

Ohne Gysi droht ein neuer Machtkampf

Einige Linke nervt die Personaldebatte. "Für uns als Partei sind die Inhalte wichtiger als Personal", sagt Nicole Gohlke, die seit 2009 für die Linken im Bundestag sitzt. Ob sie Angst vor Gysis Abschied hat? "Überhaupt nicht, Parteien überleben Generationswechsel. Wir haben genug gutes Personal in der Fraktion." Doch unbestritten ist: Ein Abtritt Gysis würde die Linken vor eine ungewisse Zukunft stellen und eine Frage aufwerfen, die viele seit Jahren fürchten. Wer tritt in die Fußstapfen des Mannes, der seit 1989 das Gesicht der PDS und späteren Linkspartei gewesen ist? Droht der für Selbstbeschäftigung so anfälligen Partei ein neuer Machtkampf? "Gysi ist ein Ausnahmepolitiker. Er gibt bei uns niemanden, der flügelübergreifend so respektiert wird", sagt Liebich.

Wie so viele in der Partei rechnete auch der Vertreter des Reformflügels bis vor einigen Monaten noch damit, dass Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch als neue Doppelspitze Gysi beerben würden. Doch Anfang März erklärte Wagenknecht überraschend, dass sie nicht Fraktionschefin werden wolle. Vom Tisch ist ihre Kandidatur jedoch längst nicht. Viele Linken-Abgeordnete sind nach wie vor für das Führungsduo und beknien Wagenknecht. Die will sie sich zu diesem Thema selbst nicht äußern. In den wenigen Interviews vor dem Parteitag sind entsprechende Fragen ausdrücklich nicht erwünscht. Auch Gysi wird genau hinsehen, wie Wagenknecht sich verhält. Vor der Bundestagswahl 2013 war es ihm noch gelungen, eine gemeinsame Doppelspitze mit seiner Rivalin zu verhindern. Und nun?

"Bartsch ist gesetzt"

"Wir haben eine Menge hochqualifizierter Leute, die für Führungspositionen geeignet sind", sagt Jelpke, die dem linken Flügel angehört. Fragt man sie und andere, fallen jedoch kaum Namen, die anstelle von Wagenknecht für die Fraktionsführung infrage kämen. Fast scheint es, als müsste die Parteilinke hoffen, dass Gysi bleibt. Bei den Pragmatikern ist die Lage übersichtlicher. "Bartsch ist gesetzt. Er ist im Lager der Reformer der unumstrittene Kandidat. Darüber gibt es keine Diskussion", sagt Liebich.

Bei der Frage nach Gysis Rückzug dürften auch strategische Fragen mitentscheiden. Die Landesverbände in Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern drängen darauf, dass Gysi bis 2017 bleibt und ihnen vor den Landtagswahlen im kommenden Jahr ein neuer Machtkampf in der Bundespartei erspart bleibt.

Dem "Tagesspiegel" sagte Gysi, es sei nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt für den Abschied zu finden. "Wenn sich alle fragen, wann geht der endlich, man selbst es aber nicht mitbekommt, ist es definitiv zu spät." Ihm ist es wichtig, seine Partei nicht dem Chaos freizugeben. So ungewiss die Linken dem Sonntag entgegenschauen: Gysi wird einen Plan haben, wie es weitergehen soll. Ob er aufgeht, muss sich erst noch zeigen.

Quelle: ntv.de

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