Signale verraten den Flugweg Türkisches Militär legt Radardaten vor
24.11.2015, 12:44 Uhr
Brennend über dem türkisch-syrischen Grenzgebiet abgestürzt: Eine Maschine vom Typ Suchoi Su-24, Nato-Codename "Fencer" (Archivbild).
(Foto: imago/Russian Look)
Der Vorfall an der türkisch-syrischen Grenze wirft ernste Fragen auf: War der Abschuss alternativlos? Wie oft wurden die Piloten gewarnt? Und: Drang der russische Jagdbomber tatsächlich in den türkischen Luftraum ein?
Die ersten Stellungnahmen aus Moskau fallen unmissverständlich aus: Ja, bei dem von türkischen Abfangjägern abgeschossenen Flugzeug habe es sich um eine russische Maschine gehandelt. Nein, der Jagdbomber sei nicht in türkischen Luftraum eingedrungen.
Das zweisitzige Angriffsflugzeug vom Typ Su-24 habe sich ausschließlich im syrischen Luftraum aufgehalten, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Zum Zeitpunkt des Vorfalls sei die Maschine in einer Höhe von rund 6000 Metern geflogen. Der Abschuss habe sich über syrischem Gebiet ereignet.
Aus dem Umfeld der türkischen Regierung dagegen heißt es, die Piloten des zunächst nicht identifizierten Flugzeuges seien mehrfach vor einem Eindringen in den türkischen Luftraum gewarnt worden. Radarsignale scheinen die Angaben aus Ankara zu bestätigen: Wie aus einer ersten Auswertung des türkischen Militärs hervorgeht, überflog eine russische Su-24 zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich einen türkischen Abschnitt im Grenzgebiet.
Angriffe gegen Turkmenen?
In der Region verläuft die Grenzlinie hier zwischen der südtürkischen Provinz Hatay und der nordwestsyrischen Provinz Latakia. In dem bergigen Gelände siedeln traditionell Turkmenen, die sich kulturell und ethnisch als syrische Minderheit türkischer Abstammung verstehen. In der Region wird seit Tagen heftig gekämpft. Russische Kampfjets flogen massive Luftangriffe auf Stellungen der örtlichen Rebellen. Die Zivilbevölkerung sei vor den Luftschlägen in die Berge geflohen, berichtete CNN Turk. Der türkisch-sprachige Ableger des US-Nachrichtensenders steht angeblich mit einem eigenen Reporter in der Region in Kontakt.
Den von der türkischen Seite vorgelegten Radardaten zufolge überquerten die beiden russichen Piloten bei einem ihrer Anflüge ins Einsatzgebiet einen weit in den Süden vorspringenden Landstrich des türkischen Hoheitsgebiets. Ob ihnen die Verletzung des türkischen Luftraums bewusst war, blieb zunächst unklar. Der anhand der Radarsignale rekonstruierte Flugweg deutet nicht auf eine absichtliche Verletzung hin, sondern legt eher ein unbeabsichtiges, fahrlässiges Eindringen nahe.
Zehn Warnungen binnen fünf Minuten
Damit steht die Frage im Raum, ob den türkischen Piloten, die in zwei F-16-Kampfjets zum Abfangeinsatz aufgestiegen waren, tatsächlich keine andere Wahl blieb, als die russische Maschine abzuschießen. Eine unmittelbare Bedrohung für das türkische Hoheitsgebiet schien von dem kreisenden Jagdbomber nicht auszugehen, da sich der Einsatz der Su-24 offensichtlich überwiegend jenseits der Grenze abspielte.
Das fremde Militärflugzeug sei vor dem Abschuss durch die türkischen Abfangjäger zehnmal binnen fünf Minuten gewarnt worden, dass sie den türkischen Luftraum verletze, hieß es aus dem türkischen Präsidialamt. Das russische Verteidigungsministerium erklärte dagegen der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, einer ihrer Jets sei offenbar vom Boden aus über Syrien abgeschossen worden. Man könne beweisen, dass die Su-24 den syrischen Luftraum nicht verlassen habe.
Hochriskante Militäroperation
Fest steht bislang nur: Egal, ob der Abschuss aus der Luft oder vom Boden aus erfolgte - das russische Vorgehen im Grenzgebiet zur Türkei war in jedem Fall hochriskant. Die türkische Regierung hatte den russischen Militäreinsatz in Syrien seit dessen Beginn Ende September mehrfach kritisiert und - nach einem entsprechenden Vorfall Anfang Oktober - auch ausdrücklich vor neuerlichen Verletzungen des türkischen Luftraums gewarnt.
Russland wird sich Fragen müssen, ob die Führung des russischen Militärkontingents in Syrien ihre Bomberpiloten auf die Problematik grenznaher Einsätze ausreichend vorbereitet hat. Nach den scharfen Reaktionen auf wiederholte Grenzverletzungen war klar, dass Ankara auch etwaige Hinweise auf ungenaue Karten oder spontane Ausweichmanöver nicht gelten lassen würde.
Die Regierungen beider Länder sind in zentralen Punkten unterschiedlicher Ansicht dazu, wie eine Lösung des Syrien-Konflikts aussehen könnte. Während die Türkei mit dem Nato-Partner USA auf eine Ablösung von Syriens Staatschef Assad hinarbeitet, stützt Moskau den syrischen Präsidenten.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/rts