"Selbstmordmission" bei Militär US-Senator blockiert Ernennung von Kommandierenden seit Monaten
02.11.2023, 21:18 Uhr Artikel anhören
Wankt nicht: Senator Tommy Tuberville aus dem US-Bundesstaat Alabama.
(Foto: AP)
Jedes Jahr bestätigt der US-Senat Hunderte neue Offiziere für seine Streitkräfte. Doch seit vielen Monaten stellt sich ein Senator quer und blockiert den eingespielten Prozess. "Wenn das zur Regel wird, dann helfe Gott dem Militär", motzt ihn ein Parteikollege an.
Der Vizekommandeur der Armee. Der höchste Offizier der Raketenabwehr. Der neue Kommandierende der Marine im Nahen Osten. Dies sind nur drei von inzwischen fast 400 militärischen Führungskräften der US-Amerikaner, die ihren Job nicht oder nur eingeschränkt ausführen können. Ein Senator der Republikaner behindert ihre Bestätigung im Kongress. Das US-Verteidigungsministerium, Analysten und Parteikollegen sind alarmiert.
Tommy Tuberville vollführe eine "Selbstmordmission der nationalen Sicherheit", sagte etwa Senator Dan Sullivan, selbst Republikaner und Reserveoffizier. Bis Ende des Jahres seien 89 Prozent der hochrangigen Offizierspositionen der Streitkräfte betroffen. Tuberville aus dem konservativen Bundesstaat Alabama will nicht, dass Soldaten vom Verteidigungsministerium Reisekosten für ärztliche Behandlungen bezahlt werden. Mit der Blockade versucht der Verbündete Donald Trumps zu erzwingen, dass Sonderurlaub und Kostenübernahme für reproduktive Gesundheit abgeschafft werden, also bei beabsichtigten Schwangerschaften oder Abtreibungen. Über das Jahr verteilt werden so weniger als 100 Abbrüche durchgeführt.
Am Mittwoch versuchten die republikanischen Senatoren in einer gemeinsamen Initiative mehrere Stunden lang, den renitenten Tuberville umzustimmen. "Diese Regelung ist illegal und unmoralisch", meinte dieser zur Begründung. Damit ist er jedoch komplett allein: Andere Republikaner im Senat, ebenfalls fast alle Abtreibungsgegner, halten die Verteidigungsfähigkeit des Landes für wichtiger. "Das Militär nimmt davon großen Schaden", polterte etwa Lindsay Graham aus South Carolina, der ebenfalls zum Trump-Flügel der Partei zählt: "Ich versuche seit neun Monaten, mit Ihnen zu arbeiten." Doch in dieser Zeit hat keine schnelle Lösung das Licht der Kongresskammer erblickt.
Wütende Parteikollegen
Alle hochrangigen Offiziere und damit auch die Oberkommandierende müssen vom Senat bestätigt werden, was häufig ohne viel Aufsehen auch parteiübergreifend geschieht; jedes Jahr Hunderte Fälle. Doch würde die Kongresskammer über jeden Offizier einzeln abstimmen, kämen die Senatoren kaum noch zu etwas anderem. Also wurden die Namen bislang zu Listen zusammengefasst. Eben dies blockiert Tuberville, hatte jedoch gesagt, er würde sich beteiligen, falls Offiziere einzeln vorgebracht würden. Doch als seine Parteikollegen dies am Mittwoch taten, blieb der Senator bei seinem Nein. Auch dies brachte seine Kollegen auf die Palme.
Nach stundenlangen, intensiven Plädoyers verhinderte er insgesamt 61 Bestätigungen bis in den späten Abend. Es gebe "null Chancen", dass er seine Blockade beende, sagte er. Tuberville beschwerte sich stattdessen, niemand aus der US-Regierung, auch nicht Verteidigungsminister Lloyd Austin, habe ihn für Verhandlungen kontaktiert. Aus gutem Grund: Es geht auch darum, mögliche Nachahmer in der Zukunft zu verhindern. Gäben die Senatoren den Forderungen des Rebellen nach, schüfen sie einen Präzedenzfall.
Sullivan motzte seinen Kollegen an, Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Staatschef Wladimir Putin würden es "lieben", was gerade im Senat geschehe: "Wie dumm können wir sein?" Er warnte: "Wir haben eine wirklich gefährliche Welt derzeit." Der Senator liege zu "100 Prozent falsch", falls er glaube, dass er die Kampfbereitschaft der US-Streitkräfte mit seinem Verhalten nicht beeinflusse. Die Nominierten würden als "politische Bauern" benutzt, sagte die Senatorin Joni Ernst. Und Graham riet Tuberville, er solle das Militär stattdessen verklagen, falls er unzufrieden mit der Regelung sei. "So geht man mit diesen Dingen um."
Langwierige Alternative
Mehrere Parteikollegen befürchten, dass fähige Soldaten die Streitkräfte verlassen könnten, sollte Tuberville stur bleiben. "Wenn das zur Regel wird, dann helfe Gott dem Militär", regte sich der Republikaner Graham auf. Jeder könne irgendeinen Grund finden, Regeln infrage zu stellen. Die ganze Beförderungspraxis und noch viel mehr sei in Gefahr. "Wer zur Hölle möchte noch im Militär dienen, wenn deine Beförderung wegen etwas in die Tonne getreten werden kann, mit dem du nichts zu tun hast?", fragte er Tuberville.
Die Blockade des Senators ist zwar durchlässig, aber dafür muss sich die gesamte Kongresskammer die Zeit für persönliche Abstimmungen zu jedem einzelnen Offizier nehmen. Am heutigen Donnerstag tat der Senat eben dies und votierte zumindest für die drängendsten Positionen; er bestätigte die Admiralin Lisa Franchetti als neue Kommandierende der Marine sowie General David Allvin als Kommandierender der US-Luftwaffe. Ähnlich war der Senat auch beim neuen Oberkommandierenden der US-Streitkräfte, General Charles Brown vorgegangen. Er folgte auf General Mark Milley.
Die Demokraten erwägen nun ihrerseits eine Initiative, um zu verhindern, dass die Streitkräfte in die ideologischen Grabenkämpfe im Kongress hineingezogen werden und wie sonst auch ganze Listen bestätigt werden können. Dafür wollen sie eine zeitlich beschränkte Änderung der Abstimmungsregeln anstoßen. Dies nähme zwar mehrere Wochen an Vorbereitungen in Anspruch, auch Teile der Republikaner müssten zustimmen. Aber es würde nicht auf Monate den Gesetzgebungsprozess der Weltmacht lahmlegen - weil ein einzelner Senator gegen Schwangerschaftsabbrüche ist.
Quelle: ntv.de