"Russland kann besiegt werden" Ukrainische Armee setzt Vormarsch fort
12.09.2022, 13:19 Uhr
Nahe Charkiw erleidet Russland eine empfindliche Niederlage. Und die Ukrainer machen dort offenbar nicht Halt: Die Truppen würden weiter vorstoßen, kündigte die Militärführung an. Sogar in Kiew ist man überrascht von der Entwicklung.
Die Ukraine treibt nach den jüngsten militärischen Erfolgen ihre Gegenoffensive weiter voran. Allein innerhalb des vergangenen Tages seien mehr als 20 russisch besetzte Ortschaften zurückerobert worden, teilte der Generalstab mit. Die Soldaten seien dabei, die Städte und Dörfer vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen.
Das britische Verteidigungsministerium erklärte in seinem täglichen Lagebericht, der sich auf Geheimdiensterkenntnisse stützt, Russland habe wahrscheinlich den Abzug seiner Truppen aus dem gesamten zuvor besetzten Gebiet westlich des Flusses Oskil in der Region Charkiw befohlen. Tausende russische Soldaten hatten angesichts des überraschend schnellen Vormarsches der ukrainischen Truppen ihre Stellungen zuletzt aufgegeben und dabei großen Mengen an Munition und Ausrüstung zurückgelassen.
Witali Gantschew, ein von Russland eingesetzter Statthalter in den besetzten Gebieten Charkiws, räumte im staatlichen russischen Fernsehen ein, dass die Ukrainer Siedlungen im Norden der Region erobert hätten. Sie seien mit achtmal mehr Soldaten angerückt als Russland zusammen mit seinen prorussischen Verbündeten in dem Gebiet stationiert gehabt habe. "Die Lage wird von Stunde zu Stunde schwieriger", sagte er. Man habe etwa 5000 Zivilisten nach Russland in Sicherheit gebracht. Die ukrainische Grenze zur russischen Region Belgorod sei inzwischen geschlossen. Die Angaben ließen sich unabhängig nicht überprüfen.
Ukraine: Truppen kommen weiter voran

Die ukrainischen Kräfte sollen bei der Charkiw-Offensive den russischen achtmal überlegen gewesen sein.
(Foto: AP)
Russland hatte am Wochenende einige seiner schwersten Rückschläge in dem seit mehr als einem halben Jahr andauernden Krieg einstecken müssen. Entscheidende Nachschubdrehkreuze mussten aufgegeben werden. Nach Angaben des ukrainischen Militärs konnten seit Anfang September mehr als 3000 Quadratkilometer besetzten Gebiets zurückerobert werden. Vor allem rund um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw habe es Geländegewinne gegeben. Ausgehend von Charkiw komme das ukrainische Militär auch in Richtung Süden und Osten voran.
Ukrainische Truppen haben bei ihrem Vormarsch offenbar schon das von Russland besetzte Gebiet Luhansk erreicht. Wie der "Kyiv Independent" unter Berufung auf den Militärgouverneur des ostukrainischen Gebiets, Serhij Hajdaj, berichtet, wurde in dem Dorf Kusemiwka die ukrainische Flagge gehisst. Hajdaj veröffentlichte demnach ein Foto der Flagge, die an einem Übertragungsturm in dem Ort hängt. Bereits zuvor hatte der ukrainische Generalstab gemeldet, russische Truppen hätten die Kleinstadt Swatowe im Gebiet Luhansk verlassen. Dort seien nur noch die Milizen der Separatisten im Einsatz, heißt es. Unabhängig lassen sich diese Angaben nicht überprüfen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in einem am Freitag aufgezeichneten CNN-Interview von einem möglichen Durchbruch in dem Krieg. Das britische Verteidigungsministerium erklärte, die schnellen Erfolge der ukrainischen Streitkräfte hätten erhebliche Auswirkungen auf die gesamten operativen Pläne Russlands. Im Süden nahe Cherson habe das russische Militär zudem offenbar damit zu ringen, ausreichend Nachschub über den Fluss Dnjepr an die Front zu bringen.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow sagte der "Financial Times", die Offensive laufe weitaus besser als erwartet. Sie sei wie ein Schneeball, der einen Hang runterkugele. "Das ist ein Zeichen, dass Russland besiegt werden kann." Wichtig sei jetzt, das zurückeroberte Gebiet zu sichern gegen einen möglichen Gegenangriff russischer Truppen auf die ausgedünnten ukrainischen Nachschublinien.
Ruf nach deutschem "Leopard 2" wird laut
Selenskyj sagte in dem CNN-Interview, im Winter könnten die ukrainischen Streitkräfte weitere Geländegewinne erzielen, falls Kiew mehr leistungsstarke Waffen erhalte. Angesichts der militärischen Erfolge der Ukraine hatten sich zuletzt auch in Deutschland Stimmen gemehrt, der Regierung in Kiew weitere schwere Waffen zu liefern, inklusive Kampfpanzern wie den "Leopard 2" aus deutscher Fertigung.
Nach Angaben der Bundesregierung ist Deutschland in der Frage weiterer Waffenlieferungen für die Ukraine permanent mit seinen Verbündeten im Gespräch. Details könne man nicht nennen, sagt eine Regierungssprecherin. Dies betreffe auch die Frage einer Lieferung von Panzern westlicher Bauart. Bundeskanzler Olaf Scholz habe mehrmals betont, dass es von Deutschland keine Alleingänge geben werde. Dennoch stehe vollkommen außer Frage, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstützen werde.
Quelle: ntv.de, kst/rts