Politik

Ungarn nach der Europawahl "Die ewige Herrschaft von Fidesz ist nun infrage gestellt"

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Péter Magyar hat erst in diesem Jahr die Fidesz-Partei verlassen und trat der Partei Tisza bei, der Partei für Respekt und Freiheit, die 2021 gegründet wurde.

Péter Magyar hat erst in diesem Jahr die Fidesz-Partei verlassen und trat der Partei Tisza bei, der Partei für Respekt und Freiheit, die 2021 gegründet wurde.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Trotz ihres Wahlsieges musste die Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán bei den Europawahlen in Ungarn deutliche Rückschläge hinnehmen. Der rasante Aufstieg von Péter Magyars Tisza-Partei deutet auf eine Veränderung der politischen Landschaft in Ungarn hin. Was bedeutet das für die Zukunft der Herrschaft von Orbán und Fidesz? Fragen an den ungarischen Politologen und Sozialpsychologen Péter Krekó.

ntv.de: 44,8 Prozent für Fidesz - wie bewerten Sie den Sieg der Orbán-Partei bei den Europawahlen in Ungarn?

Péter Krekó: Fidesz konnte die Führungsposition behaupten, blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Sie verlor zwei Mandate und hat nun nur noch 11 Sitze. Wichtiger ist jedoch, dass sich der Abstand zu ihrem größten Herausforderer, der seit letztem Sonntag die Tisza-Partei von Péter Magyar ist, deutlich verringert hat. Die 29,6 Prozent für Magyar, der in nur drei Monaten auf einer Welle öffentlicher Unzufriedenheit nach oben gespült wurde, zeigen den starken Wunsch nach Veränderung in Ungarn und die Grenzen der Propagandamaschinerie des Orbán-Regimes.

Péter Krekó promovierte an der Budapester Eötvös-Loránd-Universität mit einer Arbeit über die Sozialpsychologie von Verschwörungstheorien. Heute leitet der politische Analyst und Desinformationsexperte das Political Capital Institute in Budapest.

Péter Krekó promovierte an der Budapester Eötvös-Loránd-Universität mit einer Arbeit über die Sozialpsychologie von Verschwörungstheorien. Heute leitet der politische Analyst und Desinformationsexperte das Political Capital Institute in Budapest.

(Foto: privat)

Sie meinen, dass 44,8 Prozent der Stimmen immer noch ein schlechtes Ergebnis für Fidesz sind?

Das ist ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Bei den letzten Europawahlen erreichte Fidesz 52 Prozent, seit 2004 nie weniger als 47 Prozent. Gleichzeitig investierte die Partei Millionen in Online-Werbung und Plakate, und Orbán selbst räumte das enorme Ausmaß der Mobilisierungsbemühungen ein. Trotz dieser massiven Kampagne und der Versuche, Magyar zu diskreditieren, blieb Fidesz hinter den Erwartungen. Aber Sie haben Recht: 44,8 Prozent sind beachtlich. Wir sollten nicht voreilig von einer Katastrophe für Fidesz ausgehen.

Die Anhänger von Magyar sehen dies als den Anfang vom Ende von Fidesz. Wunschdenken? Oder ist der Aufstieg von Tisza eine echte Bedrohung für Zukunft des Orbán-Regimes?

Die vermeintlich alternativlose und ewige Herrschaft von Fidesz ist nun infrage gestellt. Magyar als ehemaliger Fidesz-Insider könnte andere dazu inspirieren, seinem Beispiel zu folgen, was zu mehr Enthüllungen über Korruption und Unsicherheit im Regime führen könnte. Auch wenn dies die Erosion beschleunigen könnte, bleibt Fidesz nach wie vor eine hocheffiziente und anpassungsfähige Machtmaschine. Es ist noch nicht das Ende des Orbán-Regimes, aber es haben sich eindeutig Möglichkeiten für einen Wandel eröffnet.

Was zieht die Wähler von Péter Magyar an? Was ist die Magyar-Formel?

Magyar ist glaubwürdig, weil er als ehemaliger Insider des Regimes in der Lage zu sein scheint, Orbán zu besiegen. Das ist das Einzige, was im Moment in Ungarn zählt. Sein Aufstieg ist bemerkenswert. Die Menschen fühlen sich nicht zu ihm hingezogen, weil sie sich voll und ganz mit seiner Ideologie identifizieren. Zum Beispiel unterstützen ehemalige liberale Wähler seine Bewegung, obwohl sie gar nicht liberal ist.

Das klingt, als hätte Magyar kein wirkliches Programm. Reicht das aus, um den aktuellen Schwung bis zu den nächsten Wahlen im Frühjahr 2026 mitzunehmen?

Bisher hat die Tisza-Partei ihr Programm bewusst vage gehalten, um ein breites Publikum anzusprechen. In naher Zukunft müssen sie jedoch Stellung beziehen, was einige Wähler verprellen könnte. Das bisherige Momentum lässt sich nicht zwei Jahre lang aufrechterhalten. Ein weiterer Faktor ist, dass sie im Europäischen Parlament und im Budapester Stadtrat vertreten sein wird, nicht aber im nationalen Parlament. Dies könnte eine Herausforderung darstellen, wenn es darum geht, die Wähler im ganzen Land zu erreichen.

Mit welchen Herausforderungen wird die Tisza-Partei durch die Regierung konfrontiert werden?

Es wird ein sehr schwieriges Umfeld. Fidesz wird Spannungen innerhalb der Partei erzeugen und sie von außen unter Druck setzen, wahrscheinlich auch mit allen staatlichen Mitteln. Orbán hat es immer verstanden, sich schwierigen Situationen anzupassen. Péter Magyar und Tisza haben die Chance, bis 2026 durchzuhalten und bei einem Wahlsieg sogar Regierungspartei zu werden. Doch der Weg dorthin ist lang und steinig. Fidesz hat in einem illiberalen Regime viele Vorteile, die Magyar nicht hat.

Ist es angesichts des illiberalen Regimes und des unfairen Wahlsystems, das Orbán und Fidesz eingeführt haben, überhaupt noch möglich, die Regierung bei Wahlen zu schlagen?

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass es unmöglich ist. In den letzten 14 Jahren haben wir nicht gesehen, wie sich Fidesz verhält, wenn seine Macht wirklich bedroht ist. Das könnte jetzt einige illiberale Praktiken verstärken. Ich glaube, dass es möglich ist, Fidesz auch in diesem Umfeld freier, aber sehr unfairer Wahlen zu besiegen. Natürlich ist es sehr schwierig, und der Staat kann seine Instrumente gegen einen einsetzen.

Wie hat sich der Erfolg von Magyar auf die Oppositionsparteien ausgewirkt?

Sein Aufstieg hat der Opposition mehr geschadet als der Regierung. Von den 21 Mandaten gingen nur noch zwei an linksliberale Parteien. Damit hat sich die politische Landschaft Ungarns deutlich nach rechts verschoben. Fidesz wird sich wahrscheinlich einer europaskeptischen oder rechtsextremen Fraktion im Europäischen Parlament anschließen, während die Tisza-Partei der Europäischen Volkspartei beitreten wird. Die ungarische Linke und die Grünen stehen vor einer großen Herausforderung.

Wie wird sich das auf ihre zukünftigen Strategien auswirken?

Ich sehe nicht, dass die linken Parteien an Zugkraft gewinnen werden. Vielmehr wird das Wahlergebnis wahrscheinlich zu einer weiteren Erosion der Linken führen. Diese Verschiebung bedeutet aber auch, dass Aspekte ihrer Agenda, wie Umwelt- und Sozialpolitik, nun über das rechte Spektrum verteilt sind. Fidesz betont sein Engagement für Solidarität. Auch Péter Magyar muss möglicherweise grüne und sozialpolitische Elemente aufnehmen, um starke Unterstützung zu erhalten.

Lassen Sie uns über Europa sprechen. Ist Magyar ein proeuropäischer Politiker?

Ich denke, er ist proeuropäisch, aber ein gewisser nationalistischer Euroskeptizismus ist Teil seiner Rhetorik. Er stimmt mit einigen Elementen der Regierungspolitik zum Krieg in der Ukraine überein. Mit Fidesz teilt er auch ein gewisses Misstrauen gegenüber den USA. Seine Position zur Europa- und Außenpolitik ist eher eine "Fidesz light"-Position als eine Antithese zu Orbáns Ansichten. Seine Vision von Europa unterscheidet sich nicht völlig von der Orbáns. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Péter Magyar spricht von der Zukunft Ungarns innerhalb der EU, während Orbán die EU zunehmend als ultimativen Erzfeind betrachtet.

Wird sich das Wahlergebnis auf die von Ihnen beschriebene feindselige Haltung Orbáns gegenüber der EU auswirken?

Ja, ich glaube, das wird seine Feindseligkeit noch verstärken. Da die Europäische Volkspartei die dominierende Kraft im Europaparlament ist und Péter Magyar dort Orbáns vormaligen Platz einnehmen wird, ist mit einer Zunahme der Spannungen zu rechnen. Dies könnte sich auch auf die ungarische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte auswirken. Es ist zu erwarten, dass Orbáns Obstruktionstaktiken, wie das Veto gegen wichtige Entscheidungen im EU-Rat, weiter zunehmen werden.

Mit Péter Krekó sprach Christian-Zsolt Varga

Quelle: ntv.de

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