
Mit Blumen auf dem Weg zu Helmut Kohl: Viktor Orbán in Ludwigshafen-Oggersheim.
(Foto: dpa)
In Deutschland kennt man Viktor Orbán vor allem als den etwas sauertöpfisch guckenden Gegenspieler von Angela Merkel – als den Mann, den Horst Seehofer im September nach Bayern einlud, um der Kanzlerin zu demonstrieren, was er von ihrer Flüchtlingspolitik hält. Orbán selbst inszenierte sich damals (und tut dies bis heute) als Verteidiger des Abendlandes gegen den Ansturm muslimischer Horden. Die Ungarn kennen einen anderen Orbán, genauer gesagt: mehrere andere Orbáns.
Der Orbán von 1989
Im Alter von 26 Jahren wurde Viktor Orbán schlagartig bekannt. Den Prozess der Öffnung hatte Ungarn zu diesem Zeitpunkt schon begonnen. Im Januar 1989 verzichtete die Kommunistische Partei auf ihre in der Verfassung festgeschriebene Führungsrolle, im Mai begann der Abbau des Grenzzauns zu Österreich. Am 16. Juni setzte Orbán einen drauf. Bei der feierlichen Beisetzung des von den Kommunisten hingerichteten ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy, eines Nationalhelden aus dem Volksaufstand von 1956, forderte Orbán in einer Rede den Abzug der sowjetischen Truppen. "Ohne Leute wie ihn wäre die ungarische Grenze 1989 nicht geöffnet worden, die Mauer vielleicht nie gefallen", sagte der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich n-tv.de.
Damals, im Sommer 1989, war Orbán Chef des Bundes Junger Demokraten, nach der ungarischen Abkürzung "Fidesz" genannt. Sein politisches Profil war zu dieser Zeit ein anderes als heute: Fidesz war eine junge, witzige Partei, die schnelle Reformen forderte und die Zukunft ihres Landes im Westen sah. Knapp neun Prozent der Stimmen erhielt die Partei bei den Wahlen von 1990.
Der Orbán von 1998
Von der Gründung im Jahr 1988 dauerte es zehn Jahre, bis Fidesz Regierungsverantwortung übernehmen konnte. Die Partei war mittlerweile umgeschwenkt: von jungliberal und aufmüpfig auf rechtsliberal und populistisch. Der Westen galt Orbán nicht mehr als Verheißung. Er wolle in einem Land leben, sagte er im Wahlkampf von 1998, "in dem die Bürger stolz auf das sein können, was sie vollbringen, und in dem sie nicht ständig nach dem Westen schielen müssen".
Den Ungarn, die mittlerweile die Härten des Kapitalismus erfahren hatten, gefiel diese Haltung: Fidesz wurde stärkste Fraktion, Orbán Ministerpräsident. Noch vor der Regierungsbildung fuhr er nach Bonn, um Bundeskanzler Helmut Kohl zu besuchen: "Ich war 35 Jahre alt und fragte ihn um Rat, wie man denn so etwas macht", erzählte Orbán später.
Der Orbán von 2010
Die Koalition von 1998 regierte nur für eine Legislaturperiode. Danach verbrachte Orbán acht Jahre in der Opposition, seit 2010 ist er wieder an der Macht. Seither gilt er als problematischer Fall: Von Kritikern in Ungarn und Europa wird ihm vorgeworfen, die Medien zu gängeln, die Macht des Verfassungsgerichts beschnitten zu haben und auch ganz allgemein nicht viel von der Demokratie westlicher Prägung zu halten.
Letzteres hat Orbán freimütig bestätigt. Vor zwei Jahren forderte er in einer Rede den Bruch mit den "liberalen Prinzipien und Methoden". Seine Regierung baue daher einen "illiberalen Staat" auf. Das klang weniger nach den Werten der EU als nach den Praktiken des russischen Präsidenten; tatsächlich nannte Orbán in dieser Rede Russland und China als Vorbilder.
Der Orbán von heute
Im Juni 2015 war Ungarn das erste Land, das mit dem Bau eines Grenzzauns und drakonischen Gesetzen auf die Flüchtlingsbewegungen reagierte. Im September sagte Orbán, die Flüchtlingskrise sei kein europäisches, sondern ein deutsches Problem. Kurz darauf entschied er, zusammen mit der Bundeskanzlerin, die in Budapest festsitzenden Flüchtlinge nach Deutschland fahren zu lassen.
Merkel befürchtete, dass die Lage in Ungarn außer Kontrolle geraten könnte. Zu der feindseligen Atmosphäre im Land hatte Orbán selbst beigetragen: Die Flüchtlinge bezeichnete er als Bedrohung "für die europäische christliche Kultur". Aus dem westlich orientierten Kämpfer für die Freiheit ist ein selbst ernannter Verteidiger des Abendlandes nach östlichem Vorbild geworden.
Offiziell hat seine Partei diesen Weg nur in Teilen vollzogen. Ursprünglich war sie Mitglied der Liberalen Internationalen, der auch die FDP angehört, 2000 wechselte Fidesz zur Europäischen Volkspartei, wurde also eine Schwesterpartei von CDU und CSU. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn es innerhalb der EVP (weniger in der CDU, schon gar nicht in der CSU) massive Kritik an Orbán gibt. Die Luxemburgerin Vivian Reding, bis 2014 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, rief im vergangenen September dazu auf, "die Mitgliedschaft von Viktor Orbáns Fidesz-Partei in der EVP infrage zu stellen". Passiert ist nichts.
Quelle: ntv.de