Dorothee Bär im Interview "Vor Corona gab es nur ein diffuses Unbehagen"
20.09.2021, 17:57 Uhr
Dorothee Bär
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Vor zwei Jahren kam der Globale Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums zu dem Schluss, dass Deutschlands größte Schwäche in der Einführung von Informationstechnologien liegt, und noch im Februar 2021 schrieb der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in einem Bericht zu den Lehren aus der Corona-Krise, die Pandemie habe "den Rückstand Deutschlands bei der digitalen Transformation in vielen Bereichen schonungslos offengelegt". Drei Fragen an die CSU-Politikerin Dorothee Bär, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung.
ntv.de: Woran hat es gelegen, was hat diesen Rückstand verursacht?
Dorothee Bär: Die Corona-Krise hat die digitalen Defizite, sei es bei dem Thema digitale Bildung oder Verwaltungsdigitalisierung, schonungslos offengelegt und vor allem auch für viele direkt spürbar gemacht. Das hat einen starken Druck erzeugt. Bei meinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren wurde ich oft gefragt, wie ich mir das langsame Tempo bei der Digitalisierung erkläre. Da habe ich geantwortet: In einer Zeit, in der die Auftragsbücher voll sind und die Steuereinnahmen sprudeln, fehlt oft die Einsicht, dass grundlegende Veränderungen für die Zukunftsfähigkeit notwendig sind. Und es mangelt auch an der Bereitschaft zum Risiko und zu neuen Wegen. Da gab es eher nur ein diffuses Unbehagen vor den aufziehenden Wolken am Horizont. Denn: Es läuft ja auch so.
Durch die Pandemie hat sich das sehr stark verändert. Wir haben als große Volkswirtschaft in Europa natürlich den Anspruch, bei neuen Entwicklungen ganz vorne mit dabei zu sein. Da sind Nachrichten, dass wir in der Digitalisierung nur mittelmäßig sind, für uns als Exportweltmeister natürlich irritierend. Jede Krise - so sehr ich mir auch wünsche, dass wir von Corona verschont geblieben wären - birgt hier auch eine Chance: "Never waste a crisis."
Was muss passieren, damit Deutschland seinen Rückstand aufholt?
Der Wohlstand unseres Landes bemisst sich in Zukunft an technologischer Souveränität und Innovationsgeist. Wir müssen sehr starke Innovationsanreize für die Wirtschaft setzen, deswegen machen wir uns zum Beispiel für eine nochmalige Verdopplung der steuerlichen Forschungszulage und bessere Abschreibungsbedingungen für Zukunftstechnologien stark. Wir brauchen auch eine merkliche Bürokratieentlastung für Gründer, Unternehmensgründungen müssen innerhalb von 24-Stunden online möglich sein. Es muss ein bürokratiefreies Jahr nach der Gründung geben. Die Startup-Finanzierung muss ausgebaut werden, zum Beispiel sollen Beteiligungen erst dann versteuert werden, wenn darauf Gewinne erzielt oder sie veräußert werden.
Weiterhin werden wir die Verwaltungsdigitalisierung vorantreiben und das Once-Only-Prinzip konsequent umsetzen, so dass erforderliche Informationen vom Staat nur einmal erhoben werden - und Bürgerinnen und Bürger nicht immer wieder die gleichen Angaben bei unterschiedlichen Stellen tätigen müssen. Die eID [den elektronischen Identitätsnachweis] werden wir weiter ausrollen - so dass sie für weitere Anwendungen aus der Wirtschaft und Leistungen aus der Verwaltung nutzbar gemacht wird. Das ist ein Game Changer für die digitale Souveränität des Landes und der Bürgerinnen und Bürger. Natürlich brauchen wir auch eine exzellente Infrastruktur: Bis 2025 wollen wir flächendeckend 5G in Deutschland und insgesamt 15 Milliarden Euro für Gigabit-Netze investieren. Die KI-Förderung muss weiter ganz vorn stehen: Wir werden weitere KI-Campus aufbauen mit der klaren Maßgabe, dass jedes dort entwickelte Patent in Deutschland bleibt. Der Bund muss bei der digitalen Bildung weiter Treiber bleiben, damit es in den Ländern vorangeht.
Wir müssen in der Digitalpolitik aber auch europäisch denken, um gemeinsam mit unseren europäischen Partnern in der Welt schlagkräftig aufzutreten. Dazu brauchen wir eine echte Digital- und Datenunion mit hochklassiger digitaler Infrastruktur, europäischen Speicher- und Rechenkapazitäten, ein einheitliches Datenschutzrecht in ganz Europa und den europäischen Zusammenschluss bei der eID.
Fordern Sie die Einführung eines Digitalisierungsministeriums?
Unsere staatlichen Strukturen müssen insgesamt pragmatischer, leistungsfähiger und innovativer werden, das haben wir nicht nur, aber besonders in dieser Krise zu spüren bekommen. Neben der Vereinfachung von Vergabe- und Genehmigungsverfahren gehört ein Überdenken der staatlichen Strukturen, Hierarchien und Entscheidungswege dazu, nicht nur, aber eben auch in der Digitalpolitik.
Meine Erfahrung nach vier Jahren Digitalpolitik im Kanzleramt ist: Wir haben zu viel Reibungsverluste durch Abstimmungen und durch fragmentierte oder geteilte Zuständigkeiten. Es braucht eine schlagkräftigere und ganzheitlichere Verantwortungszuordnung für digitale Themen, einschließlich robuster Kompetenzen.
Quelle: ntv.de, hvo