Ampel will Armut bekämpfen Was ändert die Kindergrundsicherung konkret?
28.08.2023, 18:24 Uhr Artikel anhören
Rund 2,8 Millionen Kinder in Deutschland leben in "relativer" Armut.
(Foto: picture alliance/dpa)
Über die Kindergrundsicherung hat die Ampel sich fast wieder zerstritten. Der Kompromiss sieht nun kaum reale Erhöhungen für Bedürftige vor, aber es soll leichter werden, die Hilfe zu beziehen. Was ändert sich konkret und warum war das nötig?
Warum eigentlich Kindergrundsicherung?
"Armut vererbt sich", ist eine Feststellung, die auf viele Lebenswege in Deutschland zutrifft. Wer arm geboren wird, läuft Gefahr, auch als Erwachsener ein prekäres Leben zu führen. Das bedeutet: Armut in Deutschland ist keine individuelle Schwierigkeit von einzelnen, sondern ein strukturelles Problem, weil nicht alle die gleichen Chancen bekommen. Hier soll die Kindergrundsicherung nach dem Willen der Ampel-Koalition ansetzen.
Rund 2,8 Millionen Kinder sind in Deutschland von relativer Armut betroffen - "relativ", weil Armut weltweit unterschiedlich definiert wird - in Deutschland mit seinem hohen Lebensstandard anders als in einem Land der Sahelzone. Für Deutschland gilt: Wenn Kinder in einem Haushalt aufwachsen, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens, also des Mittelwertes deutscher Einkommen, erzielt, dann leben sie in Armut. Laut Statistischem Bundesamt liegt die Armutsgefährdungsgrenze für eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern bei 31.500 Euro.
Bereits jetzt steuert die Politik mit verschiedenen Mitteln gegen, jedoch mit mäßigem Erfolg. Vor allem die komplizierte Beantragung der verschiedenen Hilfen sorgt dafür, dass nach Schätzungen bis zu 70 Prozent der Familien, die eigentlich hilfsbedürftig sind und Anspruch darauf haben, sich um die Unterstützung gar nicht erst bemühen. Das soll mit der Kindergrundsicherung anders werden. Ziel ist, dass nicht mehr die Familie in der Holschuld ist, also sich selbst um Hilfe kümmern muss, sondern dass der Staat in der Bringschuld steht. Er soll also dafür sorgen, dass bedürftige Familien erfasst und unterstützt werden.
Wie soll die Kindergrundsicherung aussehen?
In die Kindergrundsicherung soll ab 2025 auch das jetzige Kindergeld einfließen - 250 Euro pro Kind pro Monat, die alle Familien in gleicher Höhe und unabhängig vom Einkommen erhalten. Das bisherige Kindergeld heißt zukünftig "Kindergarantiebetrag".
Mit dem sogenannten "Bildungs- und Teilhabepaket" gibt es außerdem auch bereits jetzt einen Topf, aus dem Familien Unterstützung bekommen können, wenn Kosten zum Beispiel für Klassenfahrten oder Ähnliches anstehen. Bedürftige können außerdem schon heute einen Kinderzuschlag beantragen. Dabei handelt es sich um weitere Unterstützungszahlungen für Menschen in prekären Verhältnissen.
Neu ist bei der Kindergrundsicherung, dass der Kindergarantiebetrag, der Zuschlag und eine etwaige Berücksichtigung im Bürgergeld nicht wie bisher bei unterschiedlichen Ämtern beantragt werden müssen, sondern automatisch bewilligt werden, wenn die Familien zustimmen, dass die Ämter Informationen auch über die finanzielle Situation der Familie austauschen dürfen. So könnten Familien zukünftig statt von sich aus einen Antrag zu stellen, Post vom Amt bekommen, in der ihnen Unterstützungszahlungen angeboten werden. Anlaufstelle für alle Kinderleistungen soll laut einem Eckpunktepapier zum Gesetz der "Familienservice bei der Bundesagentur für Arbeit" sein.
Auch digital sollen die Formalitäten zum Bezug der Kindergrundsicherung in Zukunft zu erledigen sein. Das Familienministerium plant dazu ein neues Internetportal. Bis dieses Angebot online geht, bedarf es allerdings nach Aussage von Familienministerin Lisa Paus noch mehrerer Jahre der Vorbereitung.
Wird sich die Unterstützung mit der Kindergrundsicherung auch erhöhen?
Die nun beschlossenen Erhöhungen der Beträge fallen gegenüber der bisherigen Höhe der Hilfen kaum ins Gewicht, sie liegen wenn überhaupt im einstelligen Euro-Bereich. Allerdings soll sich die zukünftige Kindergrundsicherung aufgrund einer Neuberechnung des sogenannten soziokulturellen Existenzminimums erhöhen. Um welche Beträge, ist allerdings noch nicht abzusehen. Auf Grundlage dieser Berechnung wird die Höhe des Bürgergelds festgelegt, und nach dem Willen der Bundesregierung sollen sich auch die Regelbedarfe im Kinderzusatzbetrag entsprechend erhöhen.
Dass hier die Erwartungen innerhalb der Ampel-Koalition sehr unterschiedlich sind, wurde allerdings schon in der Pressekonferenz deutlich. Paus stellte eine substanzielle Anhebung der Beträge in Aussicht, weil sie davon ausgeht, dass das Existenzminimum inflationsbedingt steigen wird. Finanzminister Lindner erwartet hingegen eine geringe Anpassung der Regelsätze und betonte zudem, es werde keine generellen Leistungsverbesserungen für Kinder von Erwerbslosen geben. Spürbar mehr Unterstützung soll es lediglich für die Kinder Alleinerziehender geben.
Kommt die Kindergrundsicherung wirklich bei den Kindern an?
Wenn Familien aus dem Teilhabepaket Unterstützung schulische Veranstaltungen, kulturelle oder sportliche Angebote haben wollen, dann muss ein Nachweis darüber erbracht werden. Bei den sehr viel höheren übrigen Zahlungen vertraut der Staat auf die Verantwortung der Eltern. Sozialstudien geben ihm recht: Demnach verwenden Eltern mit wenig Einkommen ihr Geld vorrangig für ihre Kinder und versuchen, deren Bedürfnisse mit den vorhandenen Finanzen zu decken und sparen lieber bei sich selbst.
Quelle: ntv.de