Politik

Jagd auf Motorradfahrer Was auf der Berliner Stadtautobahn geschah

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Noch immer ist den Ermittlern der genaue Tathergang unklar. Sicher scheint, dass auf der Berliner Stadtautobahn ein 30-Jähriger Jagd auf Motorradfahrer macht. Sechs Menschen werden verletzt. Inzwischen ist mehr über den Täter bekannt. Ermittler schließen einen Anschlag nicht aus.

Was ist passiert?

Auf der Berliner Autobahn 100 hat ein Fahrer mit seinem Wagen am Dienstagabend gegen 18.30 Uhr zwei Motorräder und ein Auto gerammt sowie ein weiteres Auto gestreift. Dabei wurden sechs Menschen verletzt, drei von ihnen schwer. Besonders dramatisch traf es einen Motorradfahrer, der mit Kopf- und Wirbelverletzungen weiter in Lebensgefahr schwebt. Unter den Verletzten sind insgesamt zwei Krad- und einRollerfahrer. Die drei Crashs ereigneten sich auf der Stadtautobahn am südwestlichen Rand der Innenstadt in Wilmersdorf, Schöneberg und Tempelhof.

Zum Stehen kam der Wagen, als er ein Motorrad auf ein Auto "gedrückt" hatte. Laut Generalstaatsanwältin Margarete Koppers zufolge sagte er daraufhin auf Arabisch, dass "alle sterben" würden. Er habe ein Küchenmesser bei sich geführt und einen Gebetsteppich. Zudem stellte er eine Munitionskiste auf das Dach seines Autos und gab an, dass sich in ihr ein "gefährlicher Gegenstand" befände, wie die Ermittler sagten. Dann wurde er von Beamten festgenommen. Laut "Tagesspiegel" hatte ihn einer der Beamten angesprochen, vom Auto weggezogen und dann überwältigt

Die Kiste enthielt nach Angaben der Polizei lediglich Werkzeug. Sie wurde durchleuchtet und mit einem Wassergewehr geöffnet. Sprengstoffspuren seien im Auto nicht gefunden worden. Am Tatort soll der Fahrer "Allahu Akbar" gesagt haben. Für die Ermittlungen wurde die Stadtautobahn rund um den Tatort stundenlang komplett gesperrt. Noch am Tag danach machte die Generalstaatsanwaltschaft deutlich, dass der genaue Tathergang noch nicht vollends überblickt werden könne.

Wie bewerten derzeit die Ermittler den Fall?

"Nach jetzigem Stand der Erkenntnisse gehen wir von einem islamistischen Anschlag aus", sagt Berlins Innensenator Andreas Geisel. Die Generalstaatsanwaltschaft schließt einen solchen Hintergrund nicht aus. Es gibt aber auch "Hinweise auf eine psychische Labilität", wie die Behörde und die Polizei gemeinsam mitteilten. Sie werten die Kollisionen als vorsätzliche Angriffe. "Es handelt sich nach dem derzeitigen Ermittlungsstand um gezielte Angriffe vor allem auf Motorradfahrer mit zum Teil schwerwiegenden Folgen. Äußerungen des Beschuldigten nach der Tat legen eine religiös-islamistische Motivation nahe." Der Angreifer habe "quasi Jagd" auf Motorradfahrer gemacht, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner.

Wer ist der Angreifer?

Als Täter festgenommen wurde ein 30-jähriger Iraker, der in Bagdad geboren wurde. Bis 2016 hielt er sich, wie aus seinem Facebook-Profil hervorgehe, laut "Bild" in Finnland auf. Laut Staatsanwaltschaft wird er in Deutschland geduldet - noch bis Jahresende. Er kam als Asylbewerber nach Deutschland. Allerdings wurde sein Asylantrag abgelehnt. Laut seinem Facebook-Profil war er mindestens 2016 schon in Berlin. Bis Herbst 2019 sei er in einer Gemeinschaftsunterkunft im Stadtteil Altglienicke im Bezirk Treptow-Köpenick untergebracht gewesen, hieß es aus Senatskreisen.

Koppers erläuterte, im vergangenen Jahr sei das Amtsgericht Tiergarten in einem Urteil wegen Widerstandshandlungen vor einer Flüchtlingsunterkunft von psychischen Problemen des Manns ausgegangen. Damals sei er wegen partieller Schuldunfähigkeit freigesprochen worden. Demnach war er mehrfach mit Körperverletzungsdelikten aufgefallen.

Danach habe er eine Wohnung im Bezirk Reinickendorf bezogen, in der er mit großer Wahrscheinlichkeit gemeinsam mit seinem Bruder lebe, berichteten medien. "Bild" zitiert den Hausmeister und Nachbarn, wonach der Mann laut und gewaltbereit sei.

Derzeit haben die Ermittler keine Anhaltspunkte für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Allerdings hatte Mann Kontakt zu einem islamistischen Gefährder gehabt. So lebte er zwischen 2018 und 2019 in derselben Flüchtlingsunterkunft wie ein Gefährder, wie Generalstaatsanwältin Koppers im Rechtsausschuss sagte. "Wie eng der Kontakt war, ist zu prüfen." Zum Verdächtigen selbst habe es bis zur Tat am Dienstagabend "keine Hinweise auf anschlagsrelevantes Verhalten" gegeben.

Der Berliner "Tagesspiegel" berichtete, der Gefährder werde dem Spektrum der Terrormiliz Islamischer Staat zugeordnet. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, es gebe die Vermutung, dass es Kontakte gibt. Man habe Hinweise, die ins islamistische Milieu führen. Dem werde nun nachgegangen.

Vor der Tat veröffentlichte der Fahrer im Internet Hinweise auf die geplante Tat. Auf seiner Facebook-Seite postete er Fotos des Autos, mit dem er später absichtlich mehrere Fahrzeuge rammte, sowie religiöse Sprüche: "Am Freitag gehen wir nach Palästina. Gott ist groß und Gott überzeugt alle. Und ich sage Märtyrer." So gibt die "Berliner Zeitung" die Einträge wieder. Auf den Fotos ist das Berliner Kennzeichen des schwarzen Opels zu erkennen, der am Abend schwer beschädigt auf der Autobahn stand. Laut seinem Profil studierte er Design. Er postete im März 2015 auch ein Foto vom Tag der Abschlussfeier an einer irakischen Kunstakademie.

Wer ermittelt?

Derzeit liegen die Ermittlungen bei den Behörden in Berlin. Dazu wurde eine Ermittlungsgruppe "Motorrad" gegründet. Zuständig ist der Staatsschutz der Kriminalpolizei. Die unter anderem für Terrorismus zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe lässt sich über die Entwicklungen in Berlin informieren.

Wie geht es weiter?

Noch im Tagesverlauf soll der 30-Jährige einem Haftrichter vorgeführt werden. Dieser entscheidet über den Erlass eines Haftbefehls wegen versuchten Mordes. Möglich ist auch eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung. Am Abend twitterte die Generalstaatsanwaltschaft: "Soeben ist unter anderem wegen versuchten Mordes und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in drei Fällen antragsgemäß die vorläufige Unterbringung des Beschuldigten in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung des Maßregelvollzuges angeordnet worden."

Wie reagiert das politische Berlin?

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller zeigte sich entsetzt. "Es schockiert mich zutiefst, dass der Unfall auf der A 100 offenbar absichtlich herbeigeführt wurde und der Vorfall auf der Autobahn von den Ermittlern inzwischen als Anschlag eingestuft wird", twitterte der SPD-Politiker. "Ich wünsche allen Opfern schnelle Genesung und viel Kraft für diese schwere Zeit. Meine Gedanken sind bei den Verletzten und deren Angehörigen." Innensenator Geisel zeigte sich "bestürzt, dass Unbeteiligte aus dem Nichts heraus Opfer einer Straftat geworden sind." Vermischten sich persönliche Probleme mit "religiös aufgeladenen Vorstellungen", könne dies zu unkontrollierbarem Handeln führen. Die Ereignisse zeigten "sehr schmerzhaft, wie verletzlich unsere freie Gesellschaft ist".

Die Berliner CDU warf der regierenden rot-rot-grünen Koalition eine "systematische Schwächung von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz" vor. Nötig seien mehr Personal, eine moderne Ausstattung und zeitgemäße digitale Aufklärungsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden. Die AfD forderte, "das links-ideologische Multikulti-Gekuschel muss mit allen Mitteln und der vollen Härte des Rechtsstaates für immer unterbunden werden. Das sind wir der Alltagssicherheit der Berliner schuldig."

Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP

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