Radikalreform des Sicherheitsapparats Was will Putin von seinem Sparringspartner?
07.04.2016, 16:35 Uhr
Putin macht Viktor Solotov zum Chef der neuen Nationalgarde.
(Foto: REUTERS)
Wladimir Putin bereitet eine gewaltige Reform des russischen Sicherheitsapparats vor. Das Land bekommt eine Nationalgarde. Die Gründe für diesen Schritt dürften weit über Angst vor Protesten bei den nächsten Parlamentswahlen hinausgehen.
Die Antwort könnte so einfach sein: Im September stehen in Russland Parlamentswahlen an. Mit dem Aufbau einer neuen Nationalgarde, die ihm persönlich unterstellt ist, will Kremlchef Wladimir Putin sich absichern. Die Bilder der Massenproteste nach den letzten Wahlen stehen dem Präsidenten schließlich sicher noch deutlich vor seinem inneren Auge. 2011 schimpften Tausende auf den Straßen Moskaus und Sankt Petersburgs über Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung, über Betrug und Einschüchterungsversuche. Es waren die größten Proteste der jüngeren russischen Geschichte. Doch die Antwort ist wahrscheinlich nicht so einfach.

Wahlbetrug? Nach den Parlamentswahlen 2011 kam es zu den größten Protesten in den jüngeren russischen Geschichte.
(Foto: REUTERS)
Putin hat den Aufbau der neuen Truppe am Dienstagabend bekanntgegeben. Die "Moscow Times" stuft die Ankündigung als "bedeutsamste Reform des russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsapparats" ein. Die neue Nationalgarde soll unbestätigten Berichten zufolge bis zu 400.000 Mann stark sein - halb so groß wie die gesamte russische Armee. Angeblich soll sie sogar über Panzer, schwere Artillerie und Kampfhubschrauber verfügen. Putin will die Truppe mit weitreichenden Rechten ausstatten. Ist Gefahr im Verzug, sollen die Einheiten ohne Vorwarnung schießen, Personen und Häuser durchsuchen dürfen.
Dieses Mammutprojekt dürfte zwar auch, aber sicher nicht nur auf die bevorstehenden Wahlen und mögliche Proteste zurückzuführen sein. "Jedes autoritäre Regime hat Angst vor Wahlen, weil darin ein gewisses Element der Unsicherheit liegt", sagt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Das ist der Grund, warum diese Reform jetzt kommt. Aber den Plan für eine Neuordnung der Sicherheitsorgane gab es schon lange vor den Wahlen."
Die Opposition spielt keine Rolle mehr
Ohnehin ist die Protestbereitschaft in der russischen Bevölkerung derzeit eher gering. Nach den Demonstrationen 2011 hat sich die Opposition im Lande vollends zersplittert. Meister sagt, dass sie der Bevölkerung wenig zu bieten habe außer ihrer Ablehnung Putins. "Die Opposition spielt überhaupt keine Rolle mehr." Und er fügt hinzu: "Es gibt zurzeit keine Alternative zu Putin und seinen Parteien, dafür hat der russische Präsident gesorgt."

Der designierter Chef der neuen Nationalgarde Viktor Solotov gilt als extrem loyal zu Putin.
(Foto: RIA Novosti)
Einen Aufstand der Bevölkerung muss die Nummer eins im Kreml zumindest kurzfristig nicht ernsthaft fürchten - zumal seine Beliebtheit derzeit groß ist. Der geschickte Stratege Putin dürfte längerfristiger denken.
Laut Meister schafft Putin die neue Nationalgarde vor allem aus zwei Gründen. Erstens fürchte er Aufstände wegen der sich zusehends verschlechternden Wirtschaftslage im Land. Aufstände weniger durch die Bevölkerung, sondern vor allem durch die Eliten des Kremls und ihre Vertrauten in der Wirtschaft. "Die Gefahr ist die Unzufriedenheit der Elite darüber, dass es nicht mehr genug zu verteilen gibt."
Zweitens will Putin laut Meister eine Machtbalance zwischen verschiedenen Sicherheitsdiensten schaffen. Unter dem einstigen Geheimdienstmann Putin erstarkte der russische Inlandsdienst FSB enorm. Meister sagt: "Der FSB ist ein Organ, mit dem Putin eng verbunden ist und in dem er gute Vertraute hat. Der FSB ist aber auch immer ein Organ, das ein Eigenleben führt." Meister ist nicht der einzige, der die Lage so einschätzt. "Die Nationalgarde wurde mit Befugnissen ausgestattet, die viel weiter gehen als ursprünglich geplant", sagte der politische Berater Yevgeny Minchenko der "Moscow Times". Auch bei ihm ist von einem Gegengewicht zum FSB die Rede.
Eine neue Machtbalance
Bei einem genaueren Blick auf die geplante Reform des Sicherheitsapparates tritt ihr Nutzen für eine ausgewogenere Machtbalance sehr deutlich hervor: Das Innenministerium, dem auch der FSB untersteht, muss diverse Kompetenzen abgeben. Die vor allem von Oppositionellen gefürchtete Einheit Omon, die auf die Niederschlagung von Protesten spezialisiert ist, wird genauso Teil der neuen Nationalgarde wie die schnellen Eingreiftruppen SOBR. Hinzu kommt das sogenannte Innere Heer, das zum Beispiel in den Tschetschenien-Kriegen zum Einsatz kam. Das Innenministerium bekommt dafür lediglich die bisher unabhängigen Dienste für den Kampf gegen Drogenkriminalität und Zuwanderung.
Zur These einer Umverteilung der Macht passt auch die wohl wichtigste Personalie der Reform: Chef der neuen Nationalgarde wird Viktor Zolotov. Der 62-Jährige kam in einer Arbeiterfamilie zur Welt, lernte das Schlosserhandwerk in einer Autowerkstatt. Dann stieß er zum FSB-Vorgänger KGB und machte als Personenschützer Karriere. Zolotov machte dabei hautnah Erfahrungen mit Putschversuchen. Es gibt ein Foto, dass ihn während des Augustaufstandes 1991 auf einem Panzer stehend neben Boris Jelzin zeigt. Der war damals maßgeblich dafür verantwortlich, dass es aufbegehrenden KPdSU-Funktionären nicht gelang, Präsident Michael Gorbatschow zu stürzen.
Nur ein paar Jahre später wurde Zolotov Bodyguard des damaligen Bürgermeisters von Sankt Petersburg: Wladimir Putin. Zolotov wurde in den folgenden Jahren nicht nur Judo-Sparrings-Partner des aufstrebenden Politikers, sondern auch Chef seiner Leibgarde, als Putin an die Spitze des Staates vordrang. Als Chef der neuen Nationalgarde ist Zolotov nun nicht mehr wie zuletzt dem Innenministerium unterstellt, sondern Putin höchstpersönlich.
Gemäß dem offiziellen Erlass des Präsidenten soll die Garde vor allem die öffentliche Ordnung aufrechterhalten, Terrorismus und die organisierte Kriminalität bekämpfen. Putin hob besonders den Kampf gegen den Terrorismus hervor. Ein plausibler Grund. Die Gefahr durch islamistische Attentäter ist durch den russischen Einsatz in Syrien weiter gewachsen. Und doch erscheint es naheliegend, dass auch der persönliche Machterhalt ein entscheidender Grund für das Vorhaben ist. Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt gar: "Dass Putin sich derart absichert, ist auch ein Signal für eine erneute Kandidatur ums Präsidentenamt." Die nächsten Wahlen des Staatsoberhaupts stehen 2018 an.
Quelle: ntv.de