Angst vor islamistischem Terror Wer sind die gefürchteten Heimkehrer?
11.01.2015, 11:02 Uhr
Suleyman (l.) und "Abu Dawud al-Almani" (r.) sind zwei von mindestens 550 Deutschen, die in den Dschihad zogen. Vermutlich wären auch sie eines Tages nach Deutschland zurückgekehrt. Beide starben in Syrien.
Französische Sicherheitsbehörden kannten die Attentäter von Paris. Deshalb entsteht der Eindruck: Sie hätten ihre Tat kommen sehen müssen. Auch deutsche Behörden haben viele Informationen über gefährliche Islamisten.
Mittlerweile weiß die Welt sehr viel über Chérif und Said Kouachi. Die Kinder algerischer Eltern verwaisten früh, sie wuchsen in einem Heim auf. In ihrer Jugend dealten sie mit Drogen, sie wurden zu Kriminellen. Wenn sie mal legale Jobs hatten, waren sie schlecht bezahlt. Am Ende ihrer Teenager-Zeit trafen sie erstmals auf radikale Prediger. Chérif schloss sich einer dschihadistischen Gruppe Namens "Buttes Chaumont" an. Dafür ging er ins Gefängnis. Said ließ sich in einem Terrorcamp im Jemen ausbilden.
Vieles davon mag für die Welt neu sein. Den Sicherheitsbehörden in Frankreich war etliches schon bekannt, bevor die Brüder die Redaktion von "Charlie Hebdo" stürmten und zwölf Menschen erschossen. Trotzdem konnten sie die Tat nicht verhindern. Was wissen deutsche Sicherheitsbehörden eigentlich über gefährliche Islamisten im Land? Viel. Auch angesichts detaillierter biografischer Erkenntnisse, die gewisse Muster erkennen lassen, können sie wie ihre Kollegen in Frankreich absolute Sicherheit aber kaum garantieren.
Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz gibt es rund 7000 Salafisten in der Bundesrepublik, von denen viele als gewaltbereit gelten. Die größte Gefahr geht Sicherheitsexperten zufolge von Männern und Frauen wie Said Kouachi aus, von Menschen, die im Ausland Kampferfahrung gesammelt haben. Laut dem Bundesamt begaben sich mindestens 550 Männer und Frauen aus Deutschland auf diese Reise. Rund 200 von ihnen sind bereits zurückgekehrt. Der jüngste bekannte Fall ist der von Nils. D., einem 24-jähriger Konvertiten, der nun in Dinslaken festgenommen wurde.
Kriminell schon vor der Radikalisierung
Über D.'s Biografie ist zumindest öffentlich noch wenig bekannt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im vergangenen Jahr aber die Lebensläufe von 378 anderen Islamisten verglichen, die in den Dschihad gezogen sind. Einige Ergebnisse der noch unveröffentlichten Analyse drangen an die Öffentlichkeit.
- Zunächst einmal sind Dschihad-Touristen vor allem Männer. Der Frauenanteil liegt bei 11 Prozent.
- Jeder dritte Dschihad-Tourist befindet sich in einer Lebensphase, die Experten "erweiterte Adoleszenz" nennen. Sie sind zwischen 21 und 25 Jahre alt.
- In Schule und Beruf tun sie sich schwer: Nur jeder Vierte hat einen Abschluss. Jedem Fünften fehlte ein Job. Die Dschihad-Reisenden, die eine Arbeitsstelle hatten, waren meist Geringverdiener.
- Bei den meisten handelt es sich um Menschen, die in Deutschland geboren sind: 60 Prozent. Die übrigen kommen vor allem aus Syrien, der Türkei, dem Libanon und der Russischen Föderation.
- Auch unter jenen, die in Deutschland geboren sind, gibt es aber oft einen Migrationshintergrund. Von 233 Dschihad-Reisenden mit deutschem Pass haben 92 eine weitere Staatsbürgerschaft.
- Nur 63 Prozent kamen als Muslime zur Welt. Die übrigen bekannten sich erst später zum Islam.
- Radikalisiert haben sie sich fast ausnahmslos in der salafistischen Szene, in einschlägigen Moscheen, auf sogenannten Islamseminaren oder sogenannten Benefizveranstaltungen.
- Schon vor ihrer Radikalisierung wendeten sie sich allerdings vom Rechtsstaat ab. Jeder Dritte ist durch Straftaten aufgefallen - neben Drogendelikten und Diebstahl handelte es sich dabei meist um Gewaltverbrechen.
Der prominenteste Heimkehrer ist wohl Kreshnik B. Der 20-Jährige aus Hessen ist der erste Deutsche, der nach einer Dschihad-Reise angeklagt und verurteilt wurde. Er muss drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Am Beispiel Kreshniks zeigen sich viele Parallelen. Er ist Sohn kosovarischer Einwanderer, er machte kleinkriminelle Erfahrungen. Erste Kontakte zu radikalen Islamisten sammelte er erst in der späten Jugend, als er nach dem Realschulabschluss auf die Berufsschule wechselte.
"Du bist jung, dumm und naiv"
Wie ist sein familiäres Umfeld? Anders als die Kouachi-Brüder stammt Kreshnik, zumindest soweit bekannt, aus stabilen Verhältnissen. Während seines Prozesses lobte sein Richter ausdrücklich das "vorbildliche Verhalten" seines Elternhauses. Seine Familie versuchte nicht nur, ihn von der Reise in den Dschihad abzuhalten, sondern sie pflegte auch engen Kontakt zu den Sicherheitsbehörden, nachdem er das Land verlassen hatte.
Und so war es ausgerechnet Kreshniks ältere Schwester, die während des Prozesses ein verbindendes Element zwischen vielen der Heimkehrer offen benannte, als sie schilderte, wie sie versuchte, ihren Bruder von der Reise abzuhalten. "Mit 25 wirst du das bereuen", habe sie ihm gesagt. "Du bist jung, dumm und naiv." Ergänzt um den Migrationshintergrund und Straftaten würde das so auf die Mehrzahl der gefährlichen Dschihad-Reisenden zutreffen. Das Problem nur: Der Nutzen dieser Erkenntnis für die Ermittlungsbehörden hat Grenzen.
Jung, ungebildet, straffällig, Migrationshintergrund - diese Formel dürfte auf Tausende Menschen in Deutschland zutreffen, und Tausende würden nicht auf die Idee kommen nach Syrien oder in den Irak zu reisen, geschweige denn in Deutschland einen Anschlag zu verüben. All diese Menschen zu überwachen, ist deshalb nicht nur in der Praxis unmmöglich, sondern in einem Rechtsstaat fragwürdig.
Anständige Innenpolitiker sagen deshalb immer wieder: "In einer freien Gesellschaft kann es keine absolute Sicherheit geben." Das Risiko der Gesellschaft findet sich auch in der Analyse des Verfassungsschutzes zu den Lebensläufen der Dschihad-Reisenden wieder. Das Bundesamt wurde nur auf jeden dritten Islamisten aufmerksam, bevor er sich dem Kampf im Ausland anschloss.
Quelle: ntv.de