Politik

Der Kriegstag im Überblick Westliche Staaten kündigen neue Waffen an - Russland kürzt Deutschland Gaslieferung massiv

In dem Asot-Chemiewerk sollen sich nach Angaben der Ukraine mehrere hundert Zivilisten sowie Soldaten verschanzt haben.

In dem Asot-Chemiewerk sollen sich nach Angaben der Ukraine mehrere hundert Zivilisten sowie Soldaten verschanzt haben.

(Foto: picture alliance/dpa/GROUPDF)

In Sjewjerodonezk steht es weiterhin nicht gut für die ukrainischen Truppen, ohne dass die russischen Kämpfer Geländegewinne erzielen. In einem Chemiewerk Verschanzte konnten nicht gerettet werden, ein Ultimatum für die Soldaten der Ukraine verstrich dagegen. Helfen könnten schwere Waffen. Die kündigen Großbritannien und die USA an, aus Deutschland kommt dagegen ein Dämpfer. Für die Bundesrepublik gibt es zudem weniger Gas aus Russland. Der 112. Kriegstag im Überblick.

Ultimatum in Sjewjerodonezk läuft ohne Reaktion aus

Sjewjerodonezk wird nach Angaben der ukrainischen Behörden weiter verteidigt. Die Soldaten hielten gegen Angriffe von drei Seiten Stand, erklärt der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj. "Sie hindern den Feind am Vormarsch auf Lyssytschansk." Nach Einschätzung britischer Geheimdienste haben die Russen trotzdem nach mehr als einem Monat erbitterter Gefechte den Großteil der ukrainischen Stadt Sjewjerodonezk unter ihre Kontrolle gebracht. Zudem untermauern britische Geheimdienstinformationen die Darstellung der ukrainischen Behörden, dass in den Bunkern des Asot-Chemiewerks in Sjewjerodonezk Hunderte Zivilisten zusammen mit ukrainischen Soldaten ausharren. Pro-russische Separatisten aus der selbst ernannten Volksrepublik Luhansk werfen der Ukraine vor, sie habe einen humanitären Korridor aus dem Asot-Chemiewerk in Sjewjerodonezk gestört. Angeblich hätten Zivilisten den gesamten Tag über das Werk verlassen können. Für die ukrainischen Soldaten in der Industrieanlage gab es dagegen ein Ultimatum, die Waffen bis zum Morgen niederzulegen, was diese allerdings nicht taten.

US-Thinktank: Donezk könnte zu September annektiert werden

Derweil beschleunigen russische Behörden laut dem US-Thinktank "Study for the Institute of War" möglicherweise ihre Pläne zur Annexion besetzter Gebiete in der Ukraine. Der Berater des Bürgermeisters von Mariupol, Petro Andrjuschtschenko sehe Hinweise für Pläne der russischen Behörden, das besetzte Gebiet Donezk bereits am 1. September zu annektieren: Andrjuschtschenko habe erklärte, dass administrative Aufgaben von Behörden der Separatisten in Donezk vollständig auf russische Beamte übertragen worden seien. Außerdem würden die russischen Bildungsbehörden Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson demnach bereits als Regionen Russlands bezeichnen. Ungeachtet der Pläne sollen zahlreiche Kinder aus Heimen in besetzten Gebieten nach Russland gebracht worden sein. Das berichtet die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats, nachdem sie Hinweise auf das Verschwinden von Heimkindern erhalten habe.

Russland nimmt Ex-US-Soldaten gefangen

Abseits von Sjewjerodonezk soll es weitere Erfolge der russischen Armee geben. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau sei ein Waffenlager in der westukrainischen Region Lwiw zerstört worden. Dort seien von NATO-Staaten gelieferte Rüstungsgüter untergebracht gewesen, hieß es. Zum Teil habe es sich um Munition für US-Haubitzen vom Typ M777 gehandelt. Zudem gelang es russischen Kämpfern wohl, zwei ehemalige US-Soldaten, die aufseiten der Ukraine kämpften, festzunehmen. Alexander Drueke, 39, und Andy Huynh, 27, dienten als Freiwillige bei einer regulären Einheit der ukrainischen Armee. Ihnen könnte - wie den beiden Briten Aiden Aslin und Shaun Pinner - als "Söldnern" die Todesstrafe drohen.

Rekrutierung in Russland läuft offenbar zäh

Mit der Rekrutierung weiterer Soldaten tut sich die russische Führung trotz militärischer Fortschritte dagegen offenbar schwer. Das US-Thinktank "Institute for the Study of War" berichtete über mögliche Versuche der russischen Militärführung, die Zahl der in Frage kommenden Rekruten zu erhöhen. Der russische Militärblogger Juri Kotyenok behauptete, die russischen Behörden würden eine Anhebung der Altersgrenze für den Militärdienst von 40 auf 49 Jahre vorbereiten. Zusätzlich solle die bestehende Anforderung eines früheren Militärdienstes für den Dienst in Panzer- und motorisierten Infanterieeinheiten fallen gelassen werden.

Westliche Staaten sagen zahlreiche Waffen zu

Was die derzeitigen Erfolge der russischen Truppen zudem bremsen könnte, sind Waffenlieferungen westlicher Staaten. Und da gab es aktuell neue Ankündigungen. Zunächst hieß es aus Deutschland zwar, dass wohl nur drei statt der bisher im Gespräch gewesenen vier MARS-II-Raketenwerfer geliefert werden. Es gäbe unter anderem nicht genügend Munition. Die deutschen Raketenwerfer aus Bundeswehr-Beständen sollen im August oder September an die Ukraine gegeben werden können. Großbritannien versprach allerdings die schnelle Lieferung von Mehrfachraketenwerfern, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Auch die Lieferung von Anti-Schiffs-Raketen des Typs Harpoon seien möglich. Die hatten auch Dänemark und die Niederlande bereits in Aussicht gestellt. Am Abend legte US-Präsident Joe Biden nach und sagte Waffenlieferungen an die Ukraine im Umfang von einer Milliarde Dollar (960 Millionen Euro) zu. Dazu sollen 225 Millionen Dollar humanitäre Hilfe kommen.

Botschafter Melnyk hat zwei Forderungen an Scholz

Von den bisher angekündigten Waffenlieferungen seien laut ukrainischer Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar gerade einmal rund zehn Prozent in der Ukraine angekommen. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk erneuerte bei RTL/ntv seine Kritik zu fehlenden Waffenlieferungen vor einer möglichen Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew. Neben der Gewährung eines Kandidatenstatus für die EU-Mitgliedschaft der Ukraine, erwarte man, dass Scholz "beim Thema schwere Waffen über den Schatten deutscher Zögerlichkeit springt und der Ukraine mit wirklich allen verfügbaren Mittel aus den Bundeswehrbeständen und der Rüstungsindustrie massiv unter die Arme greift".

Ukraine kann Getreide nicht ernten

Was der Ukraine zudem helfen würde, wäre eine Verschiffung ihrer Getreidevorräte. Dies ist durch die russische Blockade des Schwarzen Meeres seit längerem nicht möglich, so dass die Getreidelager voll sind. Damit wird die Einlagerung neuen Getreides blockiert. Allerdings können durch die Kampfhandlungen derzeit auch rund 2,4 Millionen Hektar mit Wintergetreide nach Angaben des ukrainischen Agrarministeriums nicht geerntet werden. Das Getreide habe einen Wert von rund 1,435 Milliarden Dollar. Der Agrarsektor hat wegen der russischen Invasion bereits einen Verlust von rund 4,292 Milliarden Dollar erlitten.

Russische Wirtschaft widerstandsfähiger als gedacht

Die russische Wirtschaft scheint dagegen weniger schlimm von den Sanktionen betroffen, als zeitweise angenommen wurde. Es sei durchaus möglich, dass "die Stärke des Rückgangs etwas geringer ausfällt als wir dachten", sagte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow in Moskau. Zudem könne die Teuerung geringer sein als erwartet. "Wir können sagen, dass die Inflation eindeutig viel niedriger sein wird als die Schätzungen", fügte der Minister hinzu.

Russland schickt deutlich weniger Gas nach Deutschland

Da scheint es auch möglich zu sein, die Gaslieferungen nach Deutschland erneut zu drosseln. Von Donnerstagfrüh an werden täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung Nord Stream 1 gepumpt, ein Drittel weniger, kündigte Gazprom an. Erneut begründet das russische Staatsunternehmen diesen Schritt mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens. Deshalb müsse eine weitere Gasverdichtungsanlage abgestellt werden, hieß es. Bereits am Dienstag hatte Gazprom die Reduktion der maximalen Liefermenge auf zunächst bis zu 100 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag verkündet. Das entspricht rund 60 Prozent des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen Kubikmeter Gas. Die Bundesnetzagentur wies die Angaben von Gazprom, wonach Verzögerungen bei Reparaturen an einem Gasverdichteraggregat der Grund für die reduzierten Gasliefermengen seien, zurück.

Israel und Ägypten könnten einspringen

Ein Ausweg aus der Abhängigkeit von russischem Gas könnte ein Kontrakt zwischen der EU, Israel und Ägypten sein, dazu gab es eine Absichtserklärung. Das Abkommen werde zum ersten Mal "bedeutende" Exporte von israelischem Gas nach Europa ermöglichen, teilte das israelische Energieministerium mit. Offizielle Stellen gehen davon aus, dass das israelische Gas zu Verflüssigungsanlagen in Ägypten geleitet und dann nach Europa verschifft wird. Von der Leyen sprach davon, dass das Abkommen auch die regionale Zusammenarbeit stärken werde. Mit Ägypten plane die EU auch ein Abkommen über die Produktion von Wasserstoff.

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Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/rts

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