Politik

Wie wichtig sind die Jusos im Jahr 2012? "Wir bringen den Stein ins Rollen"

Ungebrochenes Juso-Ritual: Sascha Vogt schmettert die "Internationale" beim Bundeskongress.

Ungebrochenes Juso-Ritual: Sascha Vogt schmettert die "Internationale" beim Bundeskongress.

(Foto: picture alliance / dpa)

Für Gerhard Schröder ist es das Sprungbrett. Erst führt er die Jusos, 20 Jahre später wird er Bundeskanzler. Aber welche Rolle spielen die Jungsozialisten heute? Und wen halten sie für den perfekten SPD-Kanzlerkandidaten? Eine Spurensuche in der neuen Generation, die anders ist als die Revoluzzer der wilden 70er.

Die Mundwinkel hängen. Man kennt ihn nicht anders, es heißt nicht zwingend etwas Schlechtes bei Peer Steinbrück. Doch dann legt der ehemalige Finanzminister, der in dieser Fernsehsendung eigentlich sein Buch vorstellt, plötzlich los: Die Jusos seien in der jungen Generation schlecht verankert und häufig nur auf ihre Karriere fixiert. "Aber ich verstehe, dass Jusos mehr sein wollten als Plakatkleber der Mutterpartei." Klare Kante, Steinbrück.

Bier, Mikro, Scheitel und unfassbar lässig: Gerhard Schröder als Juso-Vorsitzender im Jahr 1980.

Bier, Mikro, Scheitel und unfassbar lässig: Gerhard Schröder als Juso-Vorsitzender im Jahr 1980.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Die Attacke erlebt Sascha Vogt im September 2010, drei Monate nach seiner Wahl zum Juso-Vorsitzenden. Er kontert prompt, in derselben Sendung, per Videobotschaft an den lieben Parteigenossen. "Ich glaube nicht, dass Herr Steinbrück in Zukunft Spitzenpositionen in der Partei einnehmen wird." Das sitzt. Steinbrück murmelt noch etwas von "Mini-Jakobiner", was so viel heißt wie Revoluzzer, und dann spricht er wieder über sein Buch. Früher fuhren die Jungen die Angriffe. Heute ist es umgekehrt. Um den sozialdemokratischen Nachwuchs ist es ruhiger geworden. Im 21. Jahrhundert müssen die Jusos kämpfen um ihren Raum in der Partei, er ist nicht mehr so groß wie noch in den 70ern. Die Generation Vogt tut sich schwerer als andere vor ihr. Denn die Geschichte des einst so stolzen Jugendverbandes, dem einmal über 300.000 Menschen angehörten, scheint manchmal sogar eine Last zu sein.

Damals rannten die jungen Leute den Sozialdemokraten die Türen ein. Über die Jusos strömten große Teile der Studentenbewegung in die SPD. Sie stärkten den linken Flügel der Partei und suchten, ja, sie liebten die Konfrontation mit den Älteren. Den Parteioberen wurden die Drohgebärden des eigenen Nachwuchses bald zu heftig. Der Höhepunkt folgte unmittelbar: Als der damalige Juso-Chef Klaus-Uwe Benneter 1978 Bündnisse mit Kommunisten befürwortete und CDU und CSU als "Parteien des Klassengegners" verteufelte, schlugen die Alten zu. Benneter flog aus der Partei. Seine Nachfolge musste schnell geklärt werden. Es übernahm ein 34-jähriger Anwalt aus Niedersachsen: Gerhard Schröder.

"Vergangenes wird häufig glorifiziert"

34 Jahre später sitzt der aktuelle Juso-Chef im achten Stock eines Berliner Hochhauses. "Vergangenes wird häufig glorifiziert", sagt Vogt. "Die Antworten sind heute komplexer geworden, das macht es schwieriger für uns." Er schweigt, schaut kurz herunter auf den Alexanderplatz und schiebt dann hinterher. "Damals ist mit Willy Brandt ein neuer Geist eingezogen, so einen gibt es heute nicht mehr."

Vogts Vorgängerin: Franziska Drohsel.

Vogts Vorgängerin: Franziska Drohsel.

(Foto: picture alliance / dpa)

Vogt wird vor zwei Jahren mit 72,9 Prozent der Stimmen zum Juso-Chef gewählt. Er will vieles anderes machen als seine Vorgängerin Franziska Drohsel, sich stärker auf Sachthemen und den inhaltlichen Erneuerungsprozess der Partei konzentrieren. Doch einige Tipps holt er sich trotzdem. Ab und zu einfach mal das Handy ausschalten und sich einen Tag frei nehmen, empfiehlt ihm Drohsel. Nachdenklich macht ihn der Ratschlag eines anderen Vorgängers: "Sei froh, dass du Juso-Vorsitzender ist. Das ist der einzige Posten neben dem Bundeskanzler, in dem man zu allen Themen frei sprechen kann."

Vogt kommt aus Iserlohn. Er hat Zivildienst gemacht, später Politik studiert, seit fünf Jahren arbeitet er bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: Eine Biografie, wie sie auch schon vor 50 Jahren typisch gewesen ist für einen jungen Mann in der SPD. Sozialdemokratie vom Reißbrett. Aber Jusos haben sich verändert. Vogt weiß, dass Steinbrück nicht ganz falsch liegt. Die Zahl der Mitglieder ist seit 1973 von über 300.000 auf 52.000 gesunken, heute ist nur noch jedes zehnte SPD-Mitglied ein Juso. Früher war es mal jedes Dritte.

Opposition ist Mist

Der heutigen Juso-Generation haftet ein Makel an: Das politische Engagement ist gesunken, die jungen Leute binden sich ungern an Vereine oder Organisationen, wenn sie protestieren, dann nur punktuell und spontan. Für die politischen Jugendorganisationen hat das fatale Konsequenzen: Noch nie in ihrer Geschichte waren die Jusos so wenige wie jetzt.

Sind die Jusos im Jahr 2012 unwichtig geworden? Vogt hat keinen Vergleich. Er weiß nur, wie es heute ist. "Im Moment schaut man sehr stark auf uns", sagt er. Vor einigen Jahren seien sie – zum Beispiel von Steinbrück – für viele ihrer Forderungen für verrückt erklärt worden. Aber ob Steuerpolitik, Mindestlohn oder Transaktionssteuer: Alles, was die Jusos schon lange fordern, hat die SPD inzwischen übernommen. Vogt sagt: "Es ist unsere Aufgabe, Diskussionen loszustoßen und den Stein ins Rollen zu bringen. Unsere Impulse sorgen dafür, dass sich die Partei verändert."

Kraft kann Kanzler - finden die Jusos.

Kraft kann Kanzler - finden die Jusos.

(Foto: picture alliance / dpa)

Trotzdem plagt ihn und seine Mitstreiter seit 2009 ein Problem: Aufmerksamkeit. In der Opposition rückt die SPD automatisch nach links und damit enger zusammen mit ihrem Jugendverband. Doch dadurch können sich die Jusos weniger profilieren. "In der Regierungszeit ist es einfacher, die Aufmerksamkeit ist dann größer", sagt Vogt. Der Nachwuchs will mitgestalten, die Partei vor sich hertreiben und den Alten sagen, was sie wieder falsch gemacht haben. Aber sie können es nicht. Opposition ist eben auch für Jusos Mist.

"Schauen wie sich die Linken entwickeln"

Bürgerversicherung und Vermögenssteuer sind zwei Anliegen, die den Jusos wichtig sind. "Bei der Runderneuerung sind wir ein großes Stück vorangekommen. Unser Profil ist wieder deutlicher zu erkennen: der Wert der Arbeit und Umverteilung", sagt Vogt. Über Bündnisse mit der Linkspartei äußert er sich, im Gegenteil zu Drohsel, zurückhaltender. "Wir müssen schauen, wie sich die Linken bis dahin entwickeln. Man kann jetzt noch nichts ausschließen." Eine Große Koalition wäre dagegen für ihn "eine absolute Katastrophe". Es käme wieder zu faulen Kompromissen und Glaubwürdigkeitsverlusten. Dann drohe das Schlimmste, "so wie die 23 Prozent im Jahr 2009".

Über das Dreigestirn Steinmeier, Gabriel und Steinbrück redet Vogt nur ungern. "Die Troika habe ich mir nicht ausgedacht. Aber offensichtlich ist man in der Parteispitze davon überzeugt, dass sie eine gute Idee ist", sagt er. Vogt kann es nicht mehr hören. Seit Monaten wollen alle mit ihm nur über die Troika reden. Immer die gleiche Leier. "Wir sollten erst die Inhalte klären und dann eine Person finden, die sie glaubwürdig vertritt", sagt der Junge, als wäre er schon einer von den Alten.

Die Jusos sehen die Festlegung auf die Drei kritisch. "Es gibt noch mehr Leute, die für die Kanzlerkandidatur in Frage kommen", sagt Vogt. "Wir halten Hannelore Kraft für sehr geeignet. Aber sie muss es schon selber wollen." Bleiben also die Drei aus der Troika. Wen die Jusos für den geeigneten Mann halten? Vogt könnte jetzt die Salven eröffnen auf den speziellen Juso-Freund Steinbrück. Über seine Überheblichkeit, seine Selbstkrönung, darüber, dass er sich über die Beschlüsse der Partei hinwegsetzt. Macht er nicht, kein Kommentar.

Schicksalsjahr 2013

Drei Männer im besten Alter: Die SPD will mit dem Trio Steinmeier, Steinbrück und Gabriel in den Wahlkampf ziehen, aber Kanzler kann nur einer werden.

Drei Männer im besten Alter: Die SPD will mit dem Trio Steinmeier, Steinbrück und Gabriel in den Wahlkampf ziehen, aber Kanzler kann nur einer werden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Zeiten, in denen Juso-Vorsitzende genüsslich Personaldiskussionen in der SPD durchdeklinierten, sind vorüber. Das unterscheidet Vogt von seinen Vorgängern. Im Jahr 2012 sind die Jusos anders. Vogt agiert pragmatischer als viele seiner Vorgänger. Beispiel Fiskalpakt. Die Jusos blockieren nicht, sie handeln Kompromisse aus. Sie bringen die Börsensteuer ein und das Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Vogt sagt: "Wir halten den Fiskalpakt trotzdem für falsch, denn er wird die Krise nicht lösen." Trotzdem verteidigt er den Kurs der SPD, dem Pakt unter einigen Bedingungen zuzustimmen.

"Natürlich hätten wir sagen können: Wir machen da nicht mit", erklärt er. "Doch dann schließen wir uns aus Debatten aus." Es gehe schließlich nicht um einen Mindestlohn von neun oder sieben Euro, sondern um einen Vertrag zwischen vielen europäischen Staaten. "Wenn man sich für einen Weg entscheidet, muss man ihn auch bis zum Ende mitgehen." Doch er gibt zu: "Wir brauchen Mehrheiten, und 80 Prozent der Menschen da draußen fänden es doof, wenn wir das ablehnen. Das ist letztlich nicht nur pragmatisch, sondern auch strategisch."

Die Jungsozialisten wählen alle zwei Jahre ihren Vorsitzenden. Vogt, der 24. Juso-Chef seit 1946, weiß noch nicht, ob er beim Bundeskongress im November 2013 wieder antritt. "Ich möchte gesellschaftlich etwas verändern, aber das kann ich auch an anderer Stelle", sagt er. Eine Kandidatur für den Bundestag? "Je mehr ich vom Berliner Politikbetrieb mitbekomme, desto mehr nerven mich die Sachzwänge." Er denkt an Generalsekretärin Andrea Nahles, die Ende der 90er Juso-Chefin war: "Das ist kein dankbarer Job. Ich beneide sie nicht darum. Sie muss viele Brände löschen. Die großen Auftritte haben andere." Im Anschluss an seinen Juso-Vorsitz hat der 32-Jährige zwei Möglichkeiten: Er könnte der Politik den Rücken kehren wie Drohsel. Die meisten seiner Vorgänger entschieden sich jedoch für die Karriere. Schröder wurde Bundeskanzler, Wieczorek-Zeul Ministerin, Benneter und Nahles Generalsekretär.

Es ist ein wenig wie bei der Troika. Vogt will sich noch nicht festlegen. Doch sollte die SPD die Bundestagswahl im kommenden Jahr gewinnen und fortan wieder regieren, könnten die Jusos endlich wieder das machen, was sie am liebsten tun: die Alten treiben, ordentlich auf den Putz hauen und sich profilieren. Das wäre eigentlich zu verlockend, um das Feld einem anderen zu überlassen - und eine große Chance, auch für den stolzen Klub mit Faust und Rose.

Quelle: ntv.de

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