Lesenswerte Verteidigung Wulff gegen die "Bild"-Zeitung
11.06.2014, 08:19 Uhr
"'Bild' ist niemals der ganze Skandal", schreibt Wulff in seinem Buch, "aber ohne 'Bild' ist der ganze Skandal nichts."
(Foto: REUTERS)
Christian Wulff hatte keine Chance. Er hatte die "Bild"-Zeitung gegen sich, die "Frankfurter Allgemeine" und den "Spiegel". Nicht erst in der Hauskredit-Affäre. Auch schon vorher, als es um Joachim Gauck und den Islam ging.
Es wäre durchaus möglich, sich über dieses Buch lustig zu machen. "Mit großem Einsatz widmete ich mich auch den deutsch-niederländischen Beziehungen", schreibt Christian Wulff etwa über seine Zeit als Bundespräsident. Aber richtiger ist es, dieses Buch zu lesen und zu loben.
"Ganz oben, Ganz unten". Der Titel spielt nicht zufällig mit dem Bild des Fahrstuhls. Immer wieder, auch hier, ist im Zusammenhang mit der Causa Wulff an ein Zitat des Springer-Vorstandschefs Mathias Döpfner erinnert worden. Der hat einmal über die "Bild"-Zeitung gesagt: "Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten."
Von der Fahrstuhlthese hält Wulff nichts; er bestreitet, die "Bild"-Zeitung zu nah an sich herangelassen zu haben, mit ihr nach oben gefahren zu sein. Oft habe er gar keine andere Wahl gehabt. Zum Beispiel, als das Blatt zufällig von der Schwangerschaft seiner Frau Bettina erfuhr. "Meinem Pressesprecher blieb nichts anderes übrig, als die Information zu bestätigen."
Wulff ist überzeugt, er habe der "Bild"-Zeitung zwei Mal "als Blaupause" gedient. Sehr wohlwollend war die Berichterstattung des Blattes, als er sich von seiner ersten Frau trennte und eine neue Beziehung begann. Die Botschaft an alle Personen des öffentlichen Lebens sei gewesen: "Wer sich entschließt, gemeinsam mit uns eine schwierige Lebensphase transparent zu machen, wird gestärkt und nicht geschwächt daraus hervorgehen." Beim zweiten Mal war dies anders, da lautete die Botschaft: "Seht her, so machen wir es mit jedem, der die Ausnahmestellung von 'Bild' nicht anerkennt".
Christian Wulff gegen "Bild". Bei der Buchvorstellung am Dienstagnachmittag in Berlin waren zwei kurze Wortwechsel mit einem Mitarbeiter dieser Zeitung die einzigen Momente, in denen der ehemalige Bundespräsident gereizt zu sein schien. Wulff schlug dem Mann vor, darüber nachzudenken, "für welche Zeitung Sie arbeiten". Klang da enttäuschte Liebe durch? Nach der Lektüre des Buches muss man sagen: Nein, die Empörung ist wohl begründet. Schon auf Seite zwei führt Wulff "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann vor, den er für den Urheber der "Kampagne" gegen sich hält. Als der Prozess gegen ihn begann, habe der geschrieben, Wulff stünde nur wegen der "Kleinlichkeit und Verbissenheit der Staatsanwälte" vor Gericht. Am Tag nach Wulffs Rücktritt hatte das noch ganz anders geklungen. Da lobte Diekmann, der Staatsanwalt "rückt zurecht, was die Politik verrutschen ließ".
"Sträflinge, Zuhälter, Nutten". Und Bettina Wulff
Irgendwann bei der Lektüre der insgesamt 256 Seiten erkennt der Leser, dass Wulff keine Chance hatte. Unmittelbar nach seiner Nominierung im Juni 2010 riefen die Springer-Blätter "Bild am Sonntag" und "Welt" sowie der "Spiegel" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" den Kandidaten von Rot-Grün, Joachim Gauck, als den besseren Bundespräsidenten aus. Die "Bild"-Zeitung hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch zurück. Das änderte sich, nachdem Wulff im Streit um das Buch "Deutschland schafft sich ab" gegen Thilo Sarrazin Stellung bezogen hatte. Und nach seiner Rede zum 3. Oktober 2010. In der sagte Wulff, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland. Drei Tage später fragte die "Bild"-Zeitung auf ihrer Titelseite: "Warum hofieren Sie den Islam so, Herr Präsident?"
Bei der Buchvorstellung beschrieb Wulff seine Situation als Bundespräsident so: Weil er in seiner Antrittsrede von "unserer bunten Republik Deutschland" gesprochen hatte, habe er Probleme "mit bestimmten bürgerlichen Medien" gehabt. Die Medien von der anderen Seite des politischen Spektrums hätten ihn jedoch nicht als einen der ihren angesehen. Seine Amtszeit sei zu kurz gewesen, um das eine Lager zurückzugewinnen und das andere Lager zu überzeugen.
Wulff zitiert viel aus Zeitungsartikeln - man spürt, wie verletzt er sich fühlte. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" etwa fand sich im Juli 2010 ein Artikel, in dem beschrieben wurde, dass Tätowierungen früher einer "Zone der Ausgeschlossenen" vorbehalten war, in der "Verbrecher, Sträflinge, Zuhälter, Nutten, Hafenarbeiter, Seeleute, Vagabunden" zuhause gewesen seien. Es ging dabei um Wulffs Frau; auch ihre Tätowierung bleibe "ein Import aus der Unterwelt". Wulff will sich mit seinem Buch rechtfertigen, klar. Aber: Er trifft einen, nein: viele wunde Punkte. Das gilt nicht zuletzt für die Mailbox-Affäre, die er "Diekmanns Coup" nennt.
Wulff hatte Diekmann am 12. Dezember 2011 von einem Staatsbesuch aus Kuwait angerufen, um mit ihm über den Hauskredit-Artikel zu reden, der die ganze Affäre ins Rollen brachte. Wulff erreichte den "Bild"-Chefredakteur jedoch nicht und sprach ihm die Mailbox voll. Einzelne Passagen dieses Anrufs fanden ihren Weg über andere Medien an die Öffentlichkeit. Wulff wurde nur dargestellt als einer, der Presse-Veröffentlichungen zu stoppen versucht - ein ungeheuerlicher Vorwurf für einen Politiker.
Wulff sei zum "am gründlichsten verächtlich gemachten Deutschen" geworden, sagte sein Lektor in der Pressekonferenz, in der das Buch präsentiert wurde. Jetzt gehe es ihm darum, "wie wir unter den Bedingungen der Mediendemokratie miteinander umgehen". Wer Wulffs Buch gelesen hat, muss sagen: nicht gut genug.
Quelle: ntv.de