Politik

Teil der Selbstinszenierung Zschäpes Aussage wird eine Enttäuschung

Beate Zschäpe im Mai 2013.

Beate Zschäpe im Mai 2013.

(Foto: imago stock&people)

Wie war die innere Struktur des NSU? Wer waren die Unterstützer? Welche Verbindungen zu staatlichen Behörden gab es? Die Liste der Fragen an Beate Zschäpe ist unendlich lang. Doch von ihrer Aussage sollte man keine Antworten erwarten.

Lange gefiel sich Beate Zschäpe in der Rolle der schweigenden Angeklagten. Nicht einmal ihren Namen sagte sie zu Prozessbeginn. Danach zweieinhalb Jahre lang kein Wort. Währenddessen wurde jeder Auftritt von ihr vor Gericht aufmerksam beobachtet: Was hat sie an, wie trägt sie die Haare, wie guckt sie, mit wem spricht sie, wen schaut sie an, wen nicht? Die Beweisaufnahme schritt voran, begleitet von Erklärungsversuchen, welche Rolle die inzwischen 40-Jährige in der Struktur des NSU gespielt haben mag.

Angeklagt ist sie immerhin als Mittäterin in zehn Mordfällen, außerdem noch als Brandstifterin in einem besonders schweren Fall sowie als Mitglied und Gründerin einer terroristischen Vereinigung. Martin Rettenberger, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden und forensischer Psychologe, ahnt, was in den vergangenen Jahren in Zschäpe vorgegangen sein könnte. "Mit jedem Tag, an dem Medien, die Öffentlichkeit oder auch Wissenschaftler über Frau Zschäpes Motive und Hintergründe spekuliert haben, ist ihr subjektives Machtpotenzial angestiegen", sagt Rettenberger im Gespräch mit n-tv.de. "Es ging immer mehr darum, was wir alles nicht wissen und was uns diese eine Person möglicherweise sagen könnte."

Gleichzeitig machte Zschäpe eine Erfahrung, die sie mit vielen Angeklagten vor deutschen Gerichten teilt. In den für Laien oft schwer zu durchschauenden prozessualen Abläufen muss sie ihren Anwälten weitgehend das Handeln überlassen und dafür die Kontrolle zum Teil abgeben. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass das etwas ist, was Frau Zschäpe zuwiderläuft", schätzt Rettenberger ein.

Kindheit in prekären Verhältnissen

Er sieht Zschäpe als narzisstische Persönlichkeit. Ähnliche Profile zeigen etwa Terroristen. Einem extremen Geltungsbedürfnis steht dabei eine erschreckende Empathielosigkeit gegenüber. Rettenberger vermutet, dass ihr diese Mechanismen "aus den prekären Lebensverhältnissen ihrer Kindheit mitgegeben wurden". Die Mutter hatte Zschäpe schon kurz nach der Geburt zur Großmutter gegeben, hinzu kamen der Alkoholismus der Mutter und deren wechselnde Partner. Ihren Vater lernte Zschäpe nie kennen.

Egal, wie ungeliebt und unsicher sich Zschäpe fühlt - nach außen versucht sie, Selbstbewusstsein und Autonomie auszustrahlen. Ähnliche "Größenfantasien" hat Rettenberger bei Straftätern beobachtet, die mit schweren Gewalt- und Sexualstraftaten auffällig wurden.

So wie sie auf der Suche nach etwas, an dem sie sich festhalten konnte, die Nazi-Ideologie gefunden hatte, so muss sie nun eine möglichst wichtige Darstellung der eigenen Person erschaffen. Dazu gehören auch die ausgesuchte Kleidung und die perfekt sitzende Frisur. "Wenn da jetzt ein unscheinbares Mäuschen säße oder jemand, der ungepflegt ist, dann würde das die ganze Idee gefährden. Insofern gehört das zusammen, das gibt ihr die Stabilität, die sie braucht."

Arbeiten am Selbstbild

Dennoch stößt Zschäpe mit ihren bisherigen Mechanismen offenbar inzwischen an ihre Grenzen. Der Gutachter Norbert Nedopil kam zu dem Schluss, das Schweigen mache ihr zu schaffen. Das kann Rettenberger kaum glauben. Der innere Leidensdruck einer verletzlichen und sensiblen Person - für ihn ist das nur ein weiterer Teil der Inszenierung. Naheliegender scheint ihm, dass Zschäpe es einfach satt hat, das Feld anderen zu überlassen. Rettenberger vermutet, ihr könnte viel daran liegen, sich auch gegenüber Gesinnungsfreunden in ihrem Selbstbild zu bestätigen: "Als aktive Person, die sich nicht den Mund verbieten lässt."

Deshalb sollte man von Zschäpes Aussage auch nicht zu viel erwarten. Rettenberger meint, es könnte darum gehen, "ein inneres absurdes Argumentations- und Rechtfertigungsmuster vorzutragen". Möglicherweise soll auch der Versuch unternommen werden, die Angeklagte von einzelnen Tatvorwürfen zu entlasten. Prozessbeobachter mutmaßen seit Längerem, dass Zschäpe vor allem die Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstraße gern in einem anderen Licht erscheinen lassen möchte. Sie will bei der alten Dame geklingelt haben, deren Tod sie der Anklage zufolge auf der Flucht billigend in Kauf nahm. Schon allein für diesen Tatkomplex droht Zschäpe eine lange Haftstrafe.

Über die die innere Struktur des NSU, Zahl und Namen von Unterstützern oder gar Details über mögliche Verbindungen zu staatlichen Behörden dürfte auf den etwa 70 Seiten der Aussage, von denen der "Spiegel" erfahren haben will, nichts stehen. Auch Rettenberger erwartet kaum Überraschendes und im Hinblick auf die eigentlich interessanten Fragen zu den Hintergründen des NSU nur wenig Neues. Denn auch wenn es naheliegend erscheint, dass Zschäpe mit der Aussage eine lange Hafstrafe abwenden will, am Ende dürfte der Narzissmus stärker sein, ist sich der Psychologe sicher. "Der Verlust der mühsam über Jahre aufgebauten subjektiv wahrgenommenen Wichtigkeit wäre für sie schlimmer als eine lange Haftstrafe."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen