Elend in Mali und Niger Zum Flüchten zu arm
10.10.2016, 00:22 Uhr
Selbst wenn sie flüchten wollten - viele Malier sind schlicht zu arm, um die Schlepper zu bezahlen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Angela Merkel besucht auf ihrer Afrikareise zunächst Mali und Niger. Obwohl es aus diesen Ländern kaum jemand bis nach Europa schafft, spielt vor allem der Niger in der Flüchtlingsfrage eine Schlüsselrolle.
Als der Airbus der Kanzlerin abhebt, ist es in Berlin kalt und nass. Zwei Stunden später wird an Bord Roulade mit Rotkohl serviert. Hat das jemand absichtlich so arrangiert, damit der Kontrast zu den afrikanischen Reisezielen besonders auffällt? In Mali und Niger ist es fast 40 Grad heiß. Und kaum irgendwo haben Menschen weniger Aussicht, jeden Tag satt zu werden.
Mali und Niger gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Der Weg vom Flughafen der malischen Hauptstadt Bamako ins Zentrum führt vorbei an tausenden schiefer Holz- und Blechhütten, kleinen Werkstätten und Verkaufsständen. Überall stehen buntgekleidete Frauen, viele mit einem Baby auf dem Rücken und weiteren Kindern um sich herum. Frauen bekommen hier im Durchschnitt fast sieben Kinder, im benachbarten Niger sind es noch mehr.
Reich an Nachwuchs, aber fürchterlich arm an Chancen
Angela Merkel ist hier, weil Europa gerade Afrika neu entdeckt. Das wiederum ist den vielen Afrikanern zu verdanken, die ihrerseits gerade Europa entdecken: Als Ziel ihrer Wünsche, ihrer Hoffnungen - ihrer Flucht. Gut 100.000 Afrikaner sind allein dieses Jahr in Europa angekommen, die meisten werden von den Schleusern an der Küste Libyens in Boote gesetzt und nach Italien geschippert.

Merkel bei ihrer Ankunft am Flughafen von Bamako - rechts im Bild der malische Präsident Keita.
(Foto: picture alliance / dpa)
Hunderttausend: Das scheint den Europäern ziemlich viel, ist aber wenig angesichts von etwa 18 Millionen Menschen, die innerhalb Afrikas auf der Flucht sind.
Aus Mali und Niger, den ersten beiden Etappen von Angela Merkels Afrikareise, sind allerdings kaum Flüchtlinge nach Europa aufgebrochen. Die Menschen hier sind schlicht zu arm, um die Flucht zu bezahlen. Aber wer aus Nigeria, Gambia oder einem anderen angrenzenden Staat das Wagnis der Flucht eingeht, der muss Mali oder Niger durchqueren. 150.000 Menschen jährlich suchen allein über die nigrische Stadt Agadez einen Weg nach Libyen oder Algerien. Früher verdienten die Menschen in Agadez ihr Geld mit Abenteuertouristen. Heute verdienen sie es als Schlepper für Flüchtlinge.
Ein sehr kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein
"Wenn wir Sorgen hatten, konnten wir immer auf Sie und Deutschland zählen", schmeichelt Malis Präsident Keita der Kanzlerin. Und es mangelt nicht an Sorgen in Mali, aber es mangelt auch nicht an Projekten, mit denen UN, EU und Deutschland versuchen, Mali und Niger zu helfen. Verwaltung und Sicherheitskräfte werden geschult und beraten, in Bildung und Ernährung investiert, die Wasserversorgung verbessert. In Mali sind 600 deutsche Soldaten stationiert, um den Kampf gegen Islamisten im Norden zu unterstützen. Und im Niger besucht die Kanzlerin ein Betreuungszentrum für jene Flüchtlinge, die in Nordafrika umkehren und in ihre Heimat zurück wollen. Dieses Jahr waren es bis jetzt 2800.
"Wir müssen Vorkehrungen treffen, damit die Menschen in Afrika eine neue Heimat finden", sagt Angela Merkel über die verabredete "Migrationspartnerschaft" mit fünf Ländern der Region. Aber sie tut erst gar nicht so, als könnte sich damit die Zahl der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer schnell und spürbar verringern. Hilfe wirkt sehr langsam in Ländern, deren Verwaltung nicht funktioniert, die keine nennenswerte Wirtschaft haben und deren Sicherheitslage unsicher ist. Man denke in Zeiträumen von zehn oder zwanzig Jahren, heißt es aus Merkels Delegation.
Doch Millionen junger Menschen in dieser Region wollen so lange nicht warten. Das Bild vom Reichtum in Europa, wie sie es auf ihren Handys sehen, ist realer als die Hoffnung auf ein besseres Leben daheim. Was die Kanzlerin ihnen mitbringt, ist nicht mehr als ein sehr kleiner Tropfen Wasser auf einem sehr großen, sehr heißen Stein.
Aber nichts zu tun ist ja auch keine Alternative.
Quelle: ntv.de