Merkel stellt Schröder-Buch vor Zwei Kanzler sprechen über die Liebe
22.09.2015, 15:33 Uhr
Jahrelang haben sich diese beiden belagert und bekämpft. Nun stellt die siegreiche Angela Merkel die Biografie über Gerhard Schröder vor. Beide reden dabei wenig über Politik und viel über Gefühle.
Es gibt so vieles, über das Angela Merkel und Gerhard Schröder sprechen könnten. Frühe Begegnungen, historische Fehler, gemeinsame Überzeugungen. Als Angela Merkel die Gelegenheit hat, noch einen eigenen Punkt zu setzen, spricht sie über einen Kuchen. Der offizielle Teil der Amtsübergabe sei damals schnell gegangen, plaudert Merkel. Schröder habe versucht, seinen Blumenstrauß loszuwerden "und ich hatte plötzlich zwei in der Hand". Dann betrat Merkel zum ersten Mal als Bundeskanzlerin ihr neues Büro. Und auf dem Tisch stand ein Kuchen. "Das fand ich toll, dass Ihre Leute das gemacht haben", sagt sie zu Schröder.
Die Bundeskanzlerin stellt eine Biografie über ihren Vorgänger vor und man mag sich fragen: Warum tut sie das? Die Botschaft der Geschichte mit dem Kuchen ist jedenfalls klar: Man kann auch als politische Rivalen, auch als Gewinner und Verlierer ordentlich miteinander umgehen.
Zwar verpasst auch Merkel ihrem Nachfolger einige kleine Stiche: Sie zitiert aus dem Buch, Schröder sei wegen Krampfadern nur "T2" gemustert und später ganz vom Wehrdienst befreit worden. Und sie deutet an, er habe "eigenwillige Ansichten über die Deutsche Einheit gehabt". Aber eigentlich will sie erreichen, dass Schröder nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch wahrgenommen wird. Und so spricht sie über seine Herkunft, von den Polizeiakten über Schröders Vater, den ärmlichen Verhältnissen seiner Familie und seinem Willen, sich aus diesen Verhältnissen herauszuarbeiten. Von seiner Mutter, so erfährt Merkel aus der Biografie, habe Gerhard Schröder "nur Liebe erfahren". Und Merkel fügt an: "Das macht klar, was den Kern des Lebens ausmachen sollte. Egal, ob arm oder reich."
Der bessere Wahlkämpfer
Schröder selbst hat einiges über seine Familie erst durch seinen Biografen Georg Schöllgen erfahren. Zum Beispiel, dass sein Vater, ein Arbeiter in der Landwirtschaft und auf dem Rummel, mehrfach verurteilt wurde, weil er Lebensmittel und Kleidung gestohlen hatte. Und dass mütterlicherseits sein Großvater seine Großmutter "zuerst schwängerte und dann sitzen ließ". Seine Mutter habe selbst nie Liebe erfahren, berichtet Schröder. Trotzdem habe sie ihre Kinder in einer Weise geliebt, "die ich als einmalig empfunden habe".
Die Liebe spielt auch eine Rolle in der entscheidenden Schlacht, die sich Merkel und Schröder 2005 lieferten. Die Biografie erinnert an eine Szene, an der sich das Wahlkampftalent Schröders besonders gut zeigt. Die Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf gerät wegen einer unbedachten Äußerung über Merkel in Kritik. Eigentlich ein Angriffspunkt für die Herausforderin. Im TV-Duell wird Schröder darauf angesprochen. Er antwortet unnachahmlich: "Sie lebt das, was sie sagt und ich füge hinzu: Das ist nicht zuletzt der Grund, warum ich sie liebe." Dem hatte Merkel damals nichts entgegenzusetzen und noch heute würde ihr ein solcher Satz nicht gelingen.
"Weinanfall" im Kabinett
Schröder hatte als Kanzler Neuwahlen eingeleitet, obwohl die Umfragen seiner Partei ein Desaster vorhersagten. Im Buch wird Merkel als "siegesgewiss" bezeichnet. "Ich widerspreche", sagt sie. Schröder sei ein "begnadeter Wahlkämpfer" gewesen und das habe sie auch vier Wochen vor der Wahl nicht vergessen. Im Gegenteil: Das Land war nach der Agenda 2010 im Reformmodus. Alle dachten, die müssten weiter Reformen machen", sagt Merkel. Doch Schröder habe mit großer Souveränität das Thema beiseitegelassen und einen "Wahlkampf für das Herz der SPD" gemacht.
Je länger Merkel im Amt ist, desto mehr versucht auch sie, Emotionen zu zeigen. Gerade bei Terminen wie dieser Buchvorstellung. Völlig ohne Not erwähnt sie, wie sie als Umweltministerin während einer Kabinettsitzung einen "Weinanfall" bekam, weil Kohl ihr Smoggesetz blockierte, das sie mit Schröder schon abgestimmt hatte.
Wäre sein Aufstieg heute noch möglich?
Ebenso offen ist sie beim Thema Macht. Sie lobt Schöllgen dafür, dass er klarstellt: Macht ist in einer Demokratie nichts Verwerfliches. Schröder sei süchtig nach Macht, er wisse das und er stehe dazu. Wer die Macht nicht will, habe in der Politik nichts zu suchen, sei seine Meinung. "Recht hat er", sagt Merkel.
Einig sind sich beide auch darin, dass ein Werdegang wie der von Gerhard Schröder wieder möglich sein müsse. Man habe an seiner Wiege nicht davon gesungen, dass er einmal Bundeskanzler werden könne. Doch die Offenheit der Nachkriegsgesellschaft habe es möglich gemacht. Motiv seines Handelns sei gewesen, dass es allen möglich sein müsse, aufzusteigen. Merkel nickt. Dass sie Schröder schätzt und meint, er habe sich mit der Agenda 2010 "um Deutschland verdient gemacht", ist ja ohnehin bekannt.
Aber wenn Merkel inhaltlich so viel mit Schröder verbindet und sie ihn als Politiker schätzt – hätte sie ihn dann nicht auch als Minister in ihrer ersten Großen Koalition am Kabinettstisch haben wollen? Merkel setzt zu ihrer Standard-Antwort an: "Die Frage hat sich, hat sich nicht …" Sie stockt, will ja eigentlich lockerer sein. Dann sagt sie: "Damit wäre ich auch noch klargekommen."
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Quelle: ntv.de