Deal zwischen Israel und Hamas Wie sich Katar als Vermittler unentbehrlich macht


US-Außenminister Antony Blinken (l.) und Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, Premierminister von Katar. Beide Staaten pflegen gute Beziehungen zueinander.
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Außenpolitisch balanciert Katar auf einem Drahtseil, doch mit dem Geiseldeal zwischen Israel und der Hamas zahlt sich das aus. Durch seine Rolle als Vermittler poliert der Wüstenstaat aber nicht nur sein Image auf.
Plötzlich wird Katar umjubelt. Mit der von Israel und der Hamas beschlossenen Vereinbarung, die eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln umschließt, landet der kleine, steinreiche Golfstaat einen Coup. US-Präsident Joe Biden bedankte sich bei Katar für die "wichtige Partnerschaft", Israels nationaler Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi lobte auf X die "entscheidenden" diplomatischen Bemühungen.
Die erfolgreiche Vermittlung im Gaza-Krieg wertet das internationale Ansehen Katars erheblich auf. Vor allem im Westen war das Image schwer beschädigt, nicht zuletzt die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 führte zu heftiger Kritik an der Menschenrechtslage im Land. Für den Golfstaat zahlt sich nun aus, dass es Kontakte zu allerlei Akteuren unterhält - und diese zu nutzen weiß.
Nur wenige Stunden nach den Massakern der Hamas am 7. Oktober sei Katar auf die USA und Israel zugekommen und habe sich als Vermittler angeboten, so berichten es US-Medien übereinstimmend. Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, und knapp zwei Wochen später ließ die Hamas zwei amerikanische Staatsbürger frei. Die USA hätten das als Beweis für die katarische Wirkungskraft gewertet, berichtet die "New York Times", und die Gespräche seien intensiviert worden. Vor einer Woche verkündete das Außenministerium in Doha dann die Einigung auf eine viertägige Waffenruhe, die bereits um zwei Tage verlängert wurde.
Katar hält sich alle Türen offen
Die Mediatoren-Rolle gehört zum Selbstbild des autokratisch geführten Emirats. "Katar ist Gastgeber der Verhandlungen zwischen Konfliktparteien und trägt als Vermittler zum Dialog zwischen ihnen bei", heißt es auf der Website des Außenministeriums. In der politischen Praxis bedeutet das, sich erdenklich viele Türen offenzuhalten. So gehört Katar zu den wichtigsten Verbündeten der USA im Nahen Osten. Unweit der Hauptstadt Doha sind rund 10.000 US-Militärangehörige stationiert, es ist der größte Luftwaffenstützpunkt der Vereinigten Staaten in der Region.
Zugleich teilt sich Katar mit US-Erzfeind Iran das größte Erdgasfeld der Welt, die Zusammenarbeit beider Länder ist Voraussetzung für die höchst profitable Ausbeutung. Mit Israel nahm Katar als einer der ersten arabischen Staaten bereits 1996 diplomatische Beziehungen auf. Die offiziellen Verbindungen rissen 2009 ab, die inoffiziellen Kanäle blieben jedoch bestehen.
Das Land pflegt auch gute Beziehungen zu islamistischen Organisationen wie den Taliban, der Muslimbruderschaft oder eben der Hamas. Deren Anführer, Ismail Haniyeh, führt in Katar ein unbehelligtes Luxusleben, die Terrorgruppe besitzt seit 2012 ein Büro in Doha. Die Hamas-Präsenz rief nach dem 7. Oktober massive Kritik hervor, sie bestehe aber mit dem Segen der USA, sagte Kristian Coates Ulrichsen von der Rice Universität in Texas dem US-Portal Vox. "Es ist besser, sie in einem befreundeten Partnerstaat wie Katar zu haben, als etwa in Afghanistan, im Iran oder in Syrien, wo sie im Krisenfall nicht von einer dritten Partei erreicht werden können."
Der von Katar finanzierte arabische TV-Sender Al-Dschasira bietet Hamas-Sprechern regelmäßig eine Plattform. Dazu pumpt Katar große Summen Geld in den Gazastreifen, insgesamt sollen bislang 1,5 Milliarden US-Dollar geflossen sein. Doha betont, die Überweisungen seien von Israel abgesegnet und kämen der Zivilbevölkerung und Verwaltung in Gaza zugute. Wo das Geld tatsächlich landet, lässt sich nur schwer nachprüfen - nicht unwahrscheinlich, dass auch der militärische Arm der Hamas daraus geschöpft hat.
Gute Kontakte zur eigenen Sicherheit
Ab 2017 stürzte der Laissez-faire Umgang mit islamistischen Organisationen den Wüstenstaat in eine schwere Krise. Eine Koalition arabischer Staaten unter der Führung Saudi-Arabiens warf Katar vor, Terrorgruppen wie den Islamischen Staat und Al-Kaida zu unterstützen. Die Folge war eine wirtschaftliche Blockade, die bis 2021 andauerte und dem Land schwer zusetzte. An seiner außenpolitischen Leitlinie änderte Katar jedoch nichts. "Katar ist der Ansicht, dass es möglichst gute Beziehungen zu all seinen Nachbarn und regionalen Akteuren braucht. Vor allem, um die eigene Existenz abzusichern", sagte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik der "Zeit".
Der Boykott hat gezeigt, wie verwundbar Katar sein kann. Denn vom Status einer Regionalmacht ist das Land weit entfernt. Es verfügt über eine Fläche halb so groß wie Hessen, von den rund drei Millionen Einwohnern machen Staatsangehörige Katars nur einen Bruchteil aus. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich um Arbeitsmigranten, die unter teils miserablen Bedingungen leben und schuften.
Öl und vor allem Gas brachten dem Land beträchtlichen Wohlstand ein und machten es auch im Westen zu einem begehrten Handelspartner. Gleichzeitig ist die Wirtschaft stark vom Energiesektor abhängig. Aus diesem Grund ist die Führung in Doha darauf bedacht, ihren Einfluss auch anderweitig auszuweiten. "Katar versucht, sich eine globale Rolle zu erarbeiten", sagte Gregory Gause von der Universität Texas A&M gegenüber Vox.
"Wir haben das mit der Fußball-Weltmeisterschaft gesehen. Wir sehen das mit Al-Dschasira. Wir sehen das mit all diesen Vermittlungsbemühungen, wir sehen es mit der islamistischen Strategie und wir sehen es mit dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt", so Gause. "Das alles ist ein Versuch, Katar relevant und notwendig zu machen, damit niemand sagt: 'Wozu brauchen wir diesen kleinen Ort?'"
Vermittlung zwischen Russland und Ukraine
Allerdings hat sich Katar in den vergangenen Jahren als Bindeglied zwischen verfeindeten Parteien bewährt. Erst im September vermittelte Doha einen Gefangenenaustausch zwischen dem Iran und den USA. Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan unterstützte Katar den Westen bei seinen Evakuierungsflügen. Und sogar im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mischt Katar mit. Nach katarischer Vermittlung erlaubte Russland im Oktober die Rückkehr vier entführter Kinder in die Ukraine.
Auch zwischen Israel und der Hamas hat Katar bereits die Vermittlerrolle eingenommen, zuletzt 2014. Das Engagement im aktuellen Krieg scheint nicht nur konsequent zu sein, sondern auch alternativlos. Am Verhandlungstisch habe das Emirat ein "Monopol" inne, sagte Andreas Krieg vom King's College London CNN. Das Land könne mit beiden Seiten auf eine Weise sprechen, "wie es kein anderer Player auf der Welt kann". Dabei kommt es Doha wohl nicht ungelegen, dass die internationale Kritik an der Situation der Gastarbeiter oder an der rigorosen Scharia-Gesetzgebung in der allgemeinen Anerkennung der diplomatischen Erfolge untergeht.
Doch ausgerechnet die Hamas-Verbindungen zeigen, wie schmal der Grat ist, auf dem Katar wandert. Israels Außenminister Eli Cohen warf Katar trotz der Vermittlungsbemühungen vor, die Hamas zu finanzieren und ihre Anführer zu beherbergen. In den USA haben republikanische Kongressabgeordnete Doha aufgefordert, Hamas-Führungsmitglieder auszuliefern. Früher oder später werde sich Katar wohl von der Hamas distanzieren müssen, so Sicherheitsexperte Krieg. Herauswerfen könne es die Hamas aber nicht. Damit würden sie ihren Kontakt, ihr Monopol verlieren, möglicherweise an den Iran. Es bleibt ein Drahtseilakt.
Quelle: ntv.de