Politik

Expertin über die neue Partei "Sahra Wagenknecht hätte kaum einen besseren Zeitpunkt finden können"

Wagenknecht selbst nennt ihre künftige Partei linkskonservativ.

Wagenknecht selbst nennt ihre künftige Partei linkskonservativ.

(Foto: picture alliance/dpa)

An diesem Montag soll die Partei von Sahra Wagenknecht offiziell das Licht der Welt erblicken, ein erster Bundesparteitag folgt am 27. Januar in Berlin. Welche Chancen hat die neue Partei, wo wird sie im Parteiensystem zu verorten sein, wie sieht ihre Zielgruppe aus? Die Parteienforscherin Sarah Wagner hat sich wissenschaftlich mit der Partei beschäftigt, die es noch gar nicht gibt. Sie sagt: Sahra Wagenknecht stößt mit ihrer Partei in eine "riesige Repräsentationslücke".

ntv.de: Ist Sahra Wagenknecht links oder rechts oder irgendwas anderes?

Sarah Wagner: Das ist die Frage, die zur Spaltung der Linkspartei geführt hat, denn es gab dort sehr unterschiedliche Antworten darauf, was es bedeutet, links zu sein.

Sarah Wagner ist Politikwissenschaftlerin, ihr Schwerpunkt sind linksradikale Parteien und deren Verhältnis zu nationalistischen Positionen. Sie forscht als Assistant Professor an der Queen's University Belfast.

Sarah Wagner ist Politikwissenschaftlerin, ihr Schwerpunkt sind linksradikale Parteien und deren Verhältnis zu nationalistischen Positionen. Sie forscht als Assistant Professor an der Queen's University Belfast.

(Foto: privat)

Was ist denn links?

Darauf muss ich ein bisschen langweilig-politikwissenschaftlich antworten. Parteien müssen heute sehr viele verschiedene Themen abdecken. Einerseits gibt es die klassischen wirtschaftlichen Themen wie die Verteilung von Ressourcen, das Verhältnis von Staat und Markt und dergleichen. Solche Fragen haben jahrzehntelang definiert, ob eine Partei rechts oder links ist.

Das reicht heute nicht mehr?

Nein. Spätestens seit den 1990er-Jahren haben wir verstärkt Themen, die auf diese wirtschaftliche Achse nicht passen: Migration, Umweltschutz, Rechte für Minderheiten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das sind soziokulturelle Themen, die ebenfalls den politischen Standort einer Partei definieren. In den Politikwissenschaften arbeiten wir deshalb mit einem Koordinatensystem, in dem die wirtschaftlichen Themen die eine Achse bilden und die soziokulturellen Themen die andere.

Sie und zwei Kollegen haben ein solches Koordinatensystem auch für eine Studie über die künftige Wagenknecht-Partei benutzt.

Auf der wirtschaftlichen Achse stehen Parteien links, wenn sie beispielsweise für einen höheren Spitzensteuersatz für Wohlhabende eintreten oder mehr Unterstützung von Menschen in prekären Arbeitslagen fordern. Es gibt aber auch soziokulturelle Themen, die häufig als "links" empfunden werden: eine liberale Migrationspolitik etwa oder mehr Umweltschutz. Das ist eine Kombination, an die wir uns gewöhnt haben. Das bedeutet aber nicht, dass es die einzig mögliche Kombination ist.

Gibt es in anderen europäischen Ländern erfolgreiche Vorbilder für eine Wagenknecht-Partei?

Heute sind wirtschaftlich linke Parteien meist auch soziokulturell progressiv, aber es gibt auch weiterhin die andere Kombination. Zum Beispiel die griechischen Kommunisten, die KKE. 2015 stimmte die Partei gegen die Ehe für alle. Ein anderes Beispiel ist die Sozialistische Partei der Niederlande. Vor allem auf kommunaler Ebene setzt sich die SP dafür ein, dass weniger Flüchtlinge kommen und dass Migranten, die in den Niederlanden bleiben, sich möglichst stark assimilieren - beides Positionen, die man eher mit rechten Parteien assoziiert. Damit war die SP recht erfolgreich, noch vor einigen Jahren war sie die drittstärkste Kraft. Bei den Wahlen im November hat sie allerdings nur 3 Prozent erreicht. Ihre Wähler sind größtenteils zur PVV von Geert Wilders gewandert, der rechtsradikalen Partei, die die Wahl ja auch gewonnen hat. Etwas Ähnliches konnten wir auch in Deutschland sehen.

Sie meinen, dass Wähler von der Linken zur AfD gewandert sind?

Allein bei der Bundestagswahl 2017 hat die Linke 430.000 Wählerinnen und Wähler an die AfD verloren. Wenn man sich politische Positionen allein auf der Rechts-Links-Achse vorstellt, scheinen diese Wähler einen weiten Weg zurückgelegt zu haben. Aber in dem zweidimensionalen Koordinatensystem kann man leicht erkennen, dass der Weg für Wähler, die sich auf soziokulturelle Themen konzentrieren, nicht so weit ist.

Sie nennen eine künftige Wagenknecht-Partei in ihrer Studie "linksautoritär" und siedeln sie im "linksautoritären Quadranten" an. Was ist linksautoritär an Sahra Wagenknecht?

Mittlerweile bereue ich ein bisschen, dass wir diesen Begriff gewählt haben. Für den oberen Abschnitt der senkrechten Achse des Koordinatensystems ist das der etablierte Begriff, den haben nicht wir erfunden. Das bedeutet nicht, dass die Parteien, die sich in diesen Quadranten befinden, zwangsläufig antidemokratisch sind. Meistens sind sie das nicht. Sie sind traditionell, konservativ, häufig nationalistisch, manchmal autoritär. Die bessere Bezeichnung für eine Wagenknecht-Partei wäre wahrscheinlich linkskonservativ - ein Begriff, den ja auch Sahra Wagenknecht benutzt.

Das Besondere an der Wagenknecht-Partei wäre, dass sie einen Quadranten ganz für sich hätte und damit eine Marktlücke besetzen würde.

Richtig. Hier gibt es eine riesige Repräsentationslücke - nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen Ländern. Es ist leicht vorstellbar, dass es viele Wählerinnen und Wähler gibt, die wirtschaftlich eher linke Vorstellungen haben, sich gleichzeitig aber soziokulturell konservativ verorten. Bislang mussten solche Wählerinnen und Wähler sich zwischen diesen beiden Grundüberzeugungen entscheiden: Sie konnten eine Partei wählen, die Migration skeptisch sieht oder ablehnt, oder eine Partei, die Reiche stärker besteuern will. Da soziokulturelle Themen in den vergangenen Jahren stärker in den Vordergrund getreten sind, ist diese Entscheidung immer häufiger zugunsten der AfD und zuungunsten der Linken ausgefallen.

Es gibt Umfragen, die einer Wagenknecht-Partei ein Potenzial von bis zu 27 Prozent zuschreiben. Was wäre Ihre Prognose? Und wie verlässlich sind solche Einschätzungen?

Bei den Umfrage-Prognosen war von "Sahra Wagenknecht wird die Wahl in Thüringen gewinnen" bis "eine Wagenknecht-Partei wird untergehen" alles dabei. Grundsätzlich sind Umfragen wichtig, aber wenn es um eine noch nicht existierende Partei geht, sind sie auch extrem unzuverlässig. Im Moment bildet die Vorstellung einer Wagenknecht-Partei einfach eine riesengroße Projektionsfläche. Deshalb halte ich es für unseriös, sich auf eine konkrete Zahl festzulegen. Interessanter als die Frage, wie viel Prozent eine Wagenknecht-Partei kriegen wird, finde ich, wie diese sich aufstellen wird.

Inwiefern?

In der Politikwissenschaft gibt es zwei verschiedene Arten von Parteien. Es gibt die sogenannten Koalitionsparteien, die regieren wollen. Und es gibt die "Blackmail-Parteien", auch wenn der Begriff ein bisschen fies ist.

"Blackmail" bedeutet so viel wie Erpressung.

Diese Parteien streben nicht in erster Linie an die Macht, sie wollen vor allem den Diskurs der anderen Parteien verändern. Darin war die AfD sehr erfolgreich. Mit Blick auf Sahra Wagenknecht wird spannend sein, ob sie nur den Diskurs verschieben oder tatsächlich mitregieren will.

Können Sie sagen, wie typische Wagenknecht-Anhänger aussehen, welche politischen Ansichten sie haben?

In unserer Studie haben wir deutlich gesehen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Zustimmung zu einer potenziellen Wagenknecht-Partei steigt, je unzufriedener die Leute mit der Demokratie sind. Das bedeutet nicht, dass diese Menschen alle antidemokratisch sind. Viele von ihnen fühlen sich wahrscheinlich nicht repräsentiert. Eine potenzielle Wagenknecht-Partei hat auch mehr Anhänger in Ostdeutschland, was einerseits nicht überraschend ist, andererseits für Wagenknecht sehr wichtig, weil im September in Ostdeutschland drei Landtagswahlen stattfinden. Dazu kommt noch die Europawahl im Sommer, bei der es keine Fünfprozenthürde gibt. Für eine neue Partei hätte Sahra Wagenknecht kaum einen besseren Zeitpunkt finden können.

Mit welcher Partei könnte eine Wagenknecht-Partei koalieren?

Sahra Wagenknecht hat deutlich gemacht, dass sie die Grünen als Feindbild betrachtet, was für sie strategisch durchaus sinnvoll ist: Auf der soziokulturellen Achse sind die Grünen so weit weg von ihr, wie eine Partei nur sein kann. Und wir haben auch schon gehört, dass sie mit Positionen der CDU/CSU liebäugelt. Für sehr unwahrscheinlich halte ich, dass sie mit der AfD koalieren würde. Schon allein, weil das ihre Partei überflüssig machen könnte. In unserer Studie haben wir gesehen, dass eine Wählerwanderung von der AfD zu einer potenziellen Wagenknecht-Partei am wahrscheinlichsten ist - viel wahrscheinlicher als von den Linken. Die AfD hat zwar mittlerweile einige Stammwähler, wohl auch mehr, als wir uns das meist vorstellen. Aber es gibt doch auch einige AfD-Anhänger, die sich mit Personen wie Björn Höcke nicht wohlfühlen.

Als Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer vor einem Jahr zu einer Demonstration gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aufriefen, kamen auch Rechtsextreme - soweit erkennbar nur als Minderheit, aber sie waren da. Wagenknecht wurde damals vorgeworfen, einer "Querfront" von Links- und Rechtsextremen das Wort zu reden. Halten Sie das für eine realistische Beschreibung?

Das Risiko eines solchen Bündnisses besteht, aber ich glaube, dass Sahra Wagenknecht es selbst auch als potenzielles Problem ansieht. Nicht nur, weil sie Wähler der AfD für ihre Partei gewinnen will, sondern auch, weil es ihrer Partei ein unseriöses Image geben würde. Der Verein, der die Parteigründung vorbereitet, achtet schon jetzt darauf, nicht von irgendwelchen Figuren aus der Querfront-Bubble infiltriert zu werden. Wie erfolgreich das wird, werden wir allerdings in Zukunft erst sehen.

Der Verein nennt sich "Bündnis Sahra Wagenknecht". Die Partei soll nicht so heißen, aber wäre es eine gute Idee gewesen, sie so zu nennen?

Einerseits ist die Zuspitzung auf Sahra Wagenknecht für die Parteigründung sehr hilfreich. Sahra Wagenknecht sitzt seit Jahren in allen möglichen Talkshows, gibt Interviews und ist sehr präsent. Wählerinnen und Wähler wissen, wofür sie steht. Andere Politiker müssten viel mehr Ressourcen und Kraft aufwenden, um eine neue Partei bekannt zu machen und zu kommunizieren, wofür diese Partei steht. Diesen Kraftakt hat Sahra Wagenknecht schon hinter sich. Auf der anderen Seite wäre es keine strategisch kluge Langzeitstrategie. Parteien, die nur mit einer Person assoziiert sind, überleben meist nur wenige Legislaturperioden. Um das langfristige Bestehen einer Partei zu sichern, braucht man immer wieder neue Leute und innovative Ideen. Deswegen scheint es mir sinnvoll zu sein, den Verein nach Sahra Wagenknecht zu benennen, die Partei aber nicht.

Kann man die Sahra-Wagenknecht-Partei als Chance ansehen, um das Wachstum der AfD zu stoppen?

Ich finde es schwierig, Sahra Wagenknecht als Galionsfigur der Demokratie zu beschreiben. Es könnte passieren, dass die AfD deutlich kleiner wird, weil so viele Menschen von der AfD zu Sahra Wagenknecht wandern. Aber ebenso könnte es passieren, dass Positionen der AfD noch stärker in den Mainstream rutschen, weil es eine weitere Partei gibt, die sich für diese Themen einsetzt. Und die Existenz einer Wagenknecht-Partei könnte auch dazu führen, dass die AfD noch extremer wird.

Wie sehen Sie die Chancen für die weiter bestehende Linkspartei? Wird sie verschwinden?

Ich glaube, dass die Trennung von Sahra Wagenknecht sich langfristig positiv auf die Linkspartei auswirken wird. Kurzfristig ist der Verlust des Fraktionsstatus für die Partei natürlich schmerzhaft. Aber durch die Trennung kann die Linke sich neu positionieren. Der Zeitpunkt könnte auch für die Linke kaum besser sein: Aus unterschiedlichen Gründen sind viele Wählerinnen und Wähler von SPD und Grünen mit ihren bisherigen Parteien unzufrieden. Die Linke hat jetzt die Chance, sich als progressive Alternative darzustellen - ohne ständig vom Streit mit dem Wagenknecht-Flügel gelähmt zu werden.

Mit Sarah Wagner sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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