SPD bestätigt Kanzlerkandidaten Zurückhaltender Scholz entdeckt die "normalen Leute"


Scholz hat seine Partei erst einmal hinter sich - in herausfordernder Lage.
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Auf ihrem Bundesparteitag in Berlin machen die SPD-Delegierten Olaf Scholz noch einmal ganz offiziell zu ihrem Kanzlerkandidaten. Der hält eine unerwartet zurückhaltende Bewerbungsrede - hat aber dafür einen neuen Lieblingsbegriff für die Zielgruppe der SPD-Politik.
Olaf Scholz hat in seiner womöglich letzten Rede auf einem SPD-Bundesparteitag auf eine kämpferische Ansprache überraschend verzichtet. Weniger überraschend hoben die mehr als 600 Delegierten und Präsidiumsmitglieder im Saal der Berliner Messe dennoch ihren Arm, als sie den amtierenden Regierungschef als Bundeskanzlerkandidaten bestätigen sollten. Gerade einmal fünf Delegierte stimmten mit "Nein". Möglich, dass das Ergebnis in einer geheimen Wahl weniger eindeutig ausgefallen wäre. Doch der interne Streit, ob nicht Boris Pistorius der bessere Kandidat wäre, war an diesem Samstag gefühlt sehr lange her - ist es faktisch aber gerade einmal sieben Wochen.
Die breite Zustimmung zum von der Parteispitze vorgeschlagenen Scholz hatte sich so schon abgezeichnet, als die versammelten Sozialdemokraten mehr als sechs Minuten stehend ihrem Kanzler zu dessen Rede applaudierten. Nicht enthusiastisch, aber immerhin. Das von Scholz in rund 45 Minuten ausführlich referierte Wahlprogramm der SPD traf offenbar den Nerv der Delegierten - auch wenn dieser den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz kaum attackierte.
Scholz warnte vor den Plänen der CDU, die eine Lücke von 100 Milliarden in den Bundeshaushalt rissen: "Ich sage euch, die Zeche für solche Konzepte zahlen die ganz normalen Leute in unserem Land", sagte Scholz. Es drohten "bittere Einschnitte" bei Gesundheit und Pflege, bei Bildung, Renten und Kultur. "Eine gute Zukunft für Deutschland gewinnen wir nicht mit noch mehr Vergünstigungen für Millionäre und Milliardäre."
Merz fehle "Standfestigkeit und Besonnenheit"
Die Debatte über einen Wegfall der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag bezeichnete Scholz als "absurde Idee". Dahinter stecke "die Unterstellung, die Leute seien alle bloß faul, die Leute wollten bloß blaumachen". Im Zusammenhang mit der Ukraine-Politik sprach Scholz seinem Herausforderer von der Union "Standfestigkeit und Besonnenheit ab" und warf ihm Kapriolen vor. Merz werde der Verantwortung "nicht gerecht", die mit einer Kanzlerkandidatur einhergehe.
Zuvor hatte schon der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil einen auf Spaltung angelegten Wahlkampf der Union kritisiert. "Von Montag bis Mittwoch stellen sie politische Forderungen auf dem Rücken von Arbeitslosen auf und von Donnerstag bis Sonntag geht es um Migranten", sagte Klingbeil. Die Bundestagswahl drehe sich um die Frage "Scholz oder Merz, Brückenbauer oder Spalter?", sagte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig.
Friedensschluss mit den Jusos
Immer wieder beschwor Scholz in seiner Rede die "normalen Leute", handgezählte 18-mal fand sich die Formulierung in der Ansprache. Spontanen Applaus erntete Scholz an anderer Stelle, insbesondere als er über die Anfang November zerbrochene Ampelkoalition sagte: "Vielleicht hätte ich früher auf den Tisch hauen müssen, nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch öffentlich. Vielleicht hätte ich die Koalition auch früher beenden sollen, spätestens als sich im letzten Sommer abzeichnete, dass die FDP nicht mehr konstruktiv sein will."
Jubel gab es auch, als Scholz das Konzept der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos lobte, das eine Mietpreisbremse für WG-Zimmer von Studenten und Azubis bewirken soll. "So intelligente Konzepte brauchen wir noch mehr", sagte Scholz. Juso-Chef Philipp Türmer sicherte Scholz im Gegenzug die Unterstützung der jungen Sozialdemokraten zu, um einen Bundeskanzler Merz zu verhindern. Der CDU-Vorsitzende sei ein "ultra-kapitalistischer Dinosaurier", sagte Türmer. "Der Mann hat kein Kanzlerformat."
Scholz betonte in seiner Rede, das sei "eine verdammt ernste Zeit", in der "Rechtspopulisten und Nationalradikale in immer mehr Ländern in der Regierung sitzen". Einen Schwerpunkt legte Scholz auf die Entwicklungen in Österreich, wo der FPÖ-Chef Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hat. "Ein klipp und klar rechtsextremer Bundeskanzler in unserem Nachbarland: Das ist bedrückend, das können wir nicht einfach so zur Kenntnis nehmen", sagte Scholz. Er warnte zudem den kommenden US-Präsidenten Donald Trump: "Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land - egal, ob es im Osten von uns liegt oder im Westen." Trump hatte zuletzt mit einer Annexion von Kanada, des zu Dänemark gehörenden Grönlands und des Panamakanals kokettiert.
SPD will breit entlasten
Scholz bekräftigte die Absicht der SPD, die im Sommer auslaufende Garantie des Rentenniveaus von 48 Prozent zu verlängern, ebenso wie die Ende 2025 auslaufende Mietpreisbremse. Diese müsse noch erweitert werden, sagte Scholz mit Blick auf den Betrachtungszeitraum des zugrunde gelegten Mietspiegels und die immer öfter ausgenutzte Ausnahme für möblierte Wohnungen. Der Mindestlohn solle auf 15 Euro die Stunde erhöht werden und die reduzierte Mehrwertsteuer für Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent sinken. "Wir entlasten die ganz normalen Leute", bekräftigte Scholz, denn für viele Menschen machten auch 100 Euro mehr im Jahr im Portemonnaie einen Unterschied.
Auch die Strompreise sollen weiter sinken, nicht zuletzt für die Industrie. Scholz erinnerte zudem an den von der SPD geplanten Steuerbonus für Unternehmensinvestitionen in Deutschland. Zudem werde die SPD 95 Prozent der Einkommen entlasten und dafür die Spitzenverdiener stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Scholz sagte in Abgrenzung zur Union: "Die ganz normalen Leute, das sind die Leistungsträger in unserem Land, nicht die oberen Zehntausend."
Die wenig aggressive Rede betonte den Bundeskanzler Scholz, nicht den Wahlkämpfer. Noch bleiben ihm 43 Tage, um den - je nach Umfragen - 14 bis 16 Prozentpunkte großen Rückstand auf die Union aufzuholen. Wenn ihm das gelingt, war es auch nicht der letzte Auftritt auf der größten Bühne seiner Partei.
Quelle: ntv.de