Zwischenruf Attentat schürt Angst in Minsk
12.04.2011, 15:03 Uhr
Eine Weißrussin trauert in einer Kirche in Minsk.
(Foto: AP)
Auch wenn die Regierung in Weißrussland nun erste Fahndungserfolge verkündet: Noch ist völlig unklar, wer hinter der Bluttat von Minsk steht. Und viel spricht dafür, dass das Attentat wohl nie richtig aufgeklärt wird.
Nach dem blutigen in der Minsker U-Bahnstation "Oktjabrskaja" kommen die Bewohner der Hauptstadt von Belarus nicht zur Ruhe. Über Internet wurden unabhängigen russischen Medien zufolge Gerüchte über zwei weitere Attentate in einem Krankenhaus und an einem Busbahnhof gestreut. Das Mobilfunknetz von Minsk ist überlastet; Anwohner warnen einander davor auf die Straße zu gehen, Kinder wurden in den Schulen zurückgehalten. Drei Personen, die diese Gerüchte mutmaßlich verbreitet haben, wurden verhaftet, weitere Verdächtige sollen bekannt sein. Eines haben die Attentäter erreicht: Zumindest in der 1,8-Millionen-Metropole beginnt sich Panik auszubreiten.
Russland, dessen Beziehungen zum kleineren slawischen Bruderland nicht spannungsfrei sind, entsandte Fachleute des Inlandsgeheimdienstes FSB, die ihre weißrussischen Kollegen von dem noch unter dem sowjetischen Namen KGB firmierenden Dienst unterstützen. Präsident Aleksandr Lukaschenko ordnete an, "das Land auf den Kopf zu stellen", um die Täter dingfest zu machen.
Wer hinter den Bluttaten steht, ist völlig unklar. Mehrere . Über deren Identität liegen bislang keine Angaben vor. Ein Selbstmordattentat wird ausgeschlossen, die Bombe in der Metro wurde ferngezündet. Ein islamistischer Hintergrund ist r e i n t h e o r e t i s c h denkbar, aber wenig wahrscheinlich. Der muslimische Bevölkerungsanteil ist verschwindend gering. Allerdings berichtet die libysche Opposition, an der Seite von Muammar al-Gaddafi würden weißrussische Söldner kämpfen. Aber auch libysche Gaddafi-Gegner kommen als Urheber kaum in Frage: Es sind offensichtlich nur wenige Kämpfer aus Belarus in dem nordafrikanischen Land. Zudem soll es sich um Privatleute handeln.
Lukaschenko kann von Problemen ablenken
Der nationalkonservative Ex-Präsidentenkandidat Aleksandr Milinkewitsch hat auf den ersten Blick recht, wenn er meint, dass der Anschlag dem autoritären Staatschef nützt: Lukaschenko kann von innenpolitischen Problemen ablenken und sich als Ordnungshüter profilieren, dem die Sicherheit seiner Landsleute über alles geht. Andererseits ist eine Bluttat mit zwölf Toten und mehr als 20 Menschen, die in Lebensgefahr schweben, kein Zeugnis für Sicherheit und Ordnung in einem Staat, der vorgeblich rund um die Uhr unter Kontrolle des Geheimdienstes steht.
Ein ähnlicher Anschlag 2008 wurde von den Behörden der nationalistischen Untergrundorganisation "Weiße Legion" zugeschrieben; aufgeklärt wurde der Fall nie. Lukaschenko dürfte es ein Leichtes sein, Leute wie Milinkewitsch zumindest der geistigen Täterschaft zu bezichtigen: Der promovierte Physiker stammt aus dem an der Grenze zu Polen gelegenen Grodno (weißrussisch: Hradno), die für ihre indepedentistische, antirussische und propolnische Haltung bekannt ist.
Wer auch immer für die Toten von "Oktjabrskaja" verantwortlich ist: Eine zweifelsfreie Aufklärung ist wenig wahrscheinlich. Das Regime wird mit dem Finger auf die Opposition zeigen, die Lukaschenko-Gegner in die umgekehrte Richtung.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de