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Monatelanges kleinkariertes Gewürge Das belgische Regierungsdrama

Diese Belgier wollen die Einheit ihres Landes bewahren.

Diese Belgier wollen die Einheit ihres Landes bewahren.

(Foto: picture alliance / dpa)

Europa reibt sich die Augen: In Belgien scheint nach mehr als 460 Tagen die Bildung einer neuen Regierung möglich zu sein. Der geschäftsführende Ministerpräsident Leterme sorgt mit seinem baldigen Weggang für den nötigen Druck. Die Einheit Belgiens ist damit aber nicht gesichert.

Aus dem Königreich Belgien erreichen uns unglaubliche Nachrichten. Sage und schreibe 15 Monate nach den Parlamentswahlen . Allerdings wäre Belgien nicht Belgien, wenn dies mit einer schnellen Regierungsbildung einhergehen würde. Beim ist dennoch scheinbar ein Ende in Sicht. Mit der anvisierten Spaltung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) scheint die große Kuh vom Eis zu sein.

Die Verhandlungen zwischen den Parteien haben schon Ähnlichkeiten mit dem "Dschungelcamp". Jedes Problem, das Flamen und Wallonen entzweit, wurde öffentlichkeitswirksam zerpflückt. Zum Schluss verloren sich die Akteure dieses unwürdigen Schauspiels in Klein-Klein. Und das Elend wäre wohl noch ewig so weitergegangen, hätte Langzeit-Interimsregierungschef nicht entnervt gerufen: "Ich will hier raus." Das schreckte dann den Moderator in Person von auf, der seine Nizza-Reise unterbrach und flugs nach Belgien zurückkehrte, um wieder so eine Art Grundordnung im Brüsseler Camp zu schaffen.

Yves Leterme regiert nun schon 15 Monate kommissarisch.

Yves Leterme regiert nun schon 15 Monate kommissarisch.

(Foto: REUTERS)

Ohne Zweifel hat Letermes Schritt - er will zur OECD wechseln - dazu beigetragen, dass die Streithähne halbwegs zur Räson gebracht wurden. Denn Belgien lief in Gefahr, nach mehr als 460 Tagen nun auch noch ohne politische Führung zu sein. Christdemokraten, Sozialisten, Liberale und Grüne jeweils aus Flandern und der Wallonie machten den Weg in Richtung Einigung frei. Der wallonische Sozialistenchef Elio Di Rupo - er ist der nunmehr x-te Vermittlungschef - sprach zuvor von "der letzten Chance". Aber das hatten seine vielen Vorgänger auch schon geäußert - ohne damit Erfolg zu haben.

Der Streit um BHV - daran zerbrach im vergangenen Jahr die Regierung Leterme - macht nur zu deutlich, wie schlecht es um Belgien als Ganzes bestellt ist. Der Wahlkreis fasst das zweisprachige Brüssel und das Umland zusammen, das in Flandern liegt. Dort tobt auf kleinstem Territorium ein heftiger Sprachenstreit. Nun sollen französischsprachige Bürger in sechs flämischen Gemeinden mit besonderem Status auch weiterhin ihre Stimmen auf frankophonen Wahllisten abgeben können. Die augenscheinliche Einigung darauf ist eine wirklich schwere Geburt.

Ein Flame durch und durch: Bart De Wever.

Ein Flame durch und durch: Bart De Wever.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ist Belgien damit endgültig gerettet? Die Frage muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. Die Flamen fühlen sich nach wie vor als die Zahlmeister, die die wirtschaftliche schwächere Wallonie durchfüttern. In der Wallonie setzt man aus eben diesen ökonomischen Gründen auf den belgischen Nationalstaat. Die Flamen wählten mehrheitlich Mitte-Rechts, die Wallonen Mitte-Links. Problematisch ist zudem, dass die stärkste Partei aus dem nördlichen Landesteil, die Neu-Flämische Allianz (N-VA) von , nicht in die Koalitionsgespräche mit eingebunden ist. De Wever - er will die Republik Flandern schaffen und damit Belgien den Todesstoß versetzen - ist damit weiterhin die lose Kanone, die das belgische Schiff jederzeit zum Kentern bringen kann. Bei etwaigen Neuwahlen hätte die Gefahr bestanden, dass die N-VA noch stärker wird. Die Furcht davor zwang die anderen flämischen Parteien offensichtlich dazu, auf ihre wallonischen Schwestern - vielleicht nennt man sie besser Stiefschwestern - zuzugehen.

Insgesamt hätten Neuwahlen auch nicht viel gebracht außer zusätzlichen Kosten. Und Belgien hat viel dringendere Probleme als diesen Sprachenstreit. So beträgt der Schuldenstand fast 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die haben das Land bereits im Visier. Sehr zeitnah ist auch hier verstärktes Sparen angesagt.

Der wallonische Sozialist Elio Di Rupo könnte der nächste Regierungschef werden.

Der wallonische Sozialist Elio Di Rupo könnte der nächste Regierungschef werden.

(Foto: REUTERS)

Die politische Gemengelage in Belgien wird im Falle seines Überlebens weiter äußerst kompliziert sein. Egal ob der nächste Ministerpräsident Di Rupo heißt oder anders, diese verzwickte Lage verlangt nach Politikern, die - wie der ehemalige Premier und jetzige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy - vermitteln und zusammenführen können. Aber nach diesen muss man zwischen Antwerpen und Bastogne mit der Lupe suchen.

Noch ist Belgien nicht verloren. Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein seitens der politischen Klasse sind nötig. Sonst geht es sehr schnell wieder ins Verhandlungscamp. Nur, dann rufen vielleicht die Belgier: "Wir wollen hier raus."

Quelle: ntv.de

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