
Der sowjetische Dichter Jewgeni läuft Anfang Mai 1945 durchs zerstörte Berlin - mit Hitler-Büste unterm Arm.
(Foto: imago images/Everett Collection)
Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa jährt sich zum 75. Mal, doch nur Berlin würdigt den Nazi-Kollaps mit einem Feiertag. Das ist beschämend. Der Tag der Befreiung verdient dauerhaft mehr Bedeutung in ganz Deutschland.
Die Freude in Berlin ist groß, denn ausnahmsweise und bundesweit exklusiv haben die Menschen in der Hauptstadt heute frei. Der Grund liegt 75 Jahre zurück. Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 beendete den Zweiten Weltkrieg in Europa. Es ist bedauerlich, dass der heutige freie Tag in der Hauptstadt eine landesweite Ausnahme ist - denn der Tag der Befreiung sollte ein Feiertag in ganz Deutschland sein. Und das in jedem Jahr.
Es ist tragisch und eine Frechheit des Schicksals, dass das Jubiläum in diesem Jahr von der Coronavirus-Pandemie überschattet wird. Dass in der schnelllebigen Welt aus dem Blick zu geraten droht, was sich vor mehr als sieben Jahrzehnten zugetragen hat. Wer aber die Erinnerung an die deutsche Todsünde des Nationalsozialismus verdrängt, läuft Gefahr, die historischen Fehler zu wiederholen. Der 8. Mai als Feiertag wäre ein wirksames Instrument, dem entgegenzuwirken.
Niemals dürfen die Verbrechen des Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten - erst recht nicht in Zeiten, in denen Neonazis wieder in Deutschland morden und manche Politiker wieder ein bizarres Abwägen von lebenswertem und vermeintlich weniger lebenswertem Leben anregen. Wer zudem von einem "Tag der absoluten Niederlage" schwadroniert, betreibt nichts weniger als hochgefährliche Geschichtsverzerrung. Solange derlei Dinge geschehen, entbehren auch Gedankenspiele über eine Schlussstrichdebatte jeglicher Grundlage.
Der 8. Mai als Feiertag darf allerdings keinesfalls dazu dienen, die Mehrheit der Deutschen von damals pauschal freizusprechen. Schließlich war sie es, diese Mehrheit, die nationalsozialistische Verbrechen ermöglichte und beging. Kritiker nehmen die Bezeichnung der Befreiung gern zum Anlass, um Taten von Nazis und Sowjets im historischen Kontext gegeneinander aufzuwiegen. Doch darum geht es an diesem Jahrestag nicht. "Der 8. Mai 1945 hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", erinnerte Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede von 1985. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Der Tag der Befreiung ist ein wichtiger Tag für Deutschland. Er war ein Wendepunkt in einem mit Hass aufgewachsenen Jahrhundert. Umso irritierender ist es, dass ihm selbst am 75. Jubiläum nur so wenig Aufmerksamkeit zukommt. Mehr noch: Es ist beschämend. Einzig in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen ist er dauerhaft ein Gedenktag. Doch wie wirksam sind Gedenktage, wenn sie nur auf dem Kalenderblatt, nicht aber im realen Leben aller manifestiert sind?
Deshalb muss der 8. Mai zum bundesweiten und dauerhaften Feiertag erhoben werden. Der von Hitler-Deutschland ausgehende Zweite Weltkrieg hat veranschaulicht, wohin Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Fanatismus führen. Noch bieten sich einige wenige Gelegenheiten, das Jubiläum des Kriegsendes gemeinsam mit den Befreiten von damals zu feiern. Allein sie haben diesen Feiertag verdient.
Quelle: ntv.de