Das leidige Betreuungsgeld Der "Assi"-Vorwurf ist ungehörig
28.07.2014, 13:32 Uhr
Junge Eltern heute erinnern sich in der Regel gerne an ihre behütete Kindheit. Trotzdem wollen sie vieles anders machen als ihre Eltern.
(Foto: REUTERS)
Wer das Betreuungsgeld abschaffen will, indem er dessen Bezieher verunglimpft, wird nicht weit kommen. Der entscheidende Punkt ist: Die Zahlung ist ein politisches Statement konservativer Kreise, das niemandem etwas bringt.
Die Betreuungsgeldgegner sehen sich durch eine neue Studie bestätigt, laut der die sogenannten " sozial schwachen" und "bildungsfernen" Eltern ihre Kinder nicht in Kitas schicken, weil sie lieber das Betreuungsgeld einstreichen. Für die Kritiker ist das der letzte Todesstoß für die ungeliebte "Herdprämie". Denn gerade diesen "Schwachen" sollte man so früh wie möglich ihre Kinder wenigstens stundenweise ent- und ordentlich erziehen - so sinngemäß die Argumentation von SPD und Grünen.
Darin steckt ein unerhörter Vorwurf, der tausende Eltern - zum Beispiel viele der 33.500 Bezieher von Betreuungsgeld allein in der heilen Welt von Bayern - sehr verärgern dürfte. Das Betreuungsgeld war die Gegenmaßnahme der Konservativen gegen den politisch gewollten und gesellschaftlich absolut notwendigen Ausbau der Kleinkinderbetreuung. Die CSU setzte sich besonders vehement für die Zahlung an Eltern ein, die ihre kleinen Kinder bis zu deren dritten Lebensjahr zu Hause betreuen.
Der "Assi"-Vorwurf ist ein schwerwiegender und die Begründung mit den "falschen Anreizen" von SPD und Grünen politisch falsch und ungehörig. Selbst wenn es Familien gibt, auf die die Diagnose zutrifft, die also ihren Kindern nichts beibringen, zu Hause hocken und jetzt auch noch Betreuungsgeld kassieren: Die gab es auch schon vor dem Betreuungsgeld und wird es immer geben. Schlimmer ist, dass bei dieser Debatte die eigentlichen Gründe untergehen, warum das aus einem reaktionären Gesellschaftsbild heraus geschaffene Betreuungsgeld abzulehnen ist.
150 Euro ersetzen nicht einmal einen Minijob
Die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder setzte die Maßnahme auf Druck der CSU mühsam durch und verteidigte die monatlichen 100 Euro (ab diesem 1. August sind es dann 150 Euro) als die Schaffung von mehr Wahlfreiheit für Eltern. Davon spricht heute kaum noch ein Politiker. Vielleicht ist ihnen aufgegangen, dass diese Wortwahl für viele Eltern eher eine Provokation als ein Versprechen bedeutet. Wahlfreiheit gibt es nicht und wird es nie geben, aber fast alle Paare können sich organisatorisch und finanziell irgendwie einrichten, sobald sie Kinder haben - manche besser, manche schlechter. Das hat vor allem damit zu tun, wie gut sie verdienen und welche Ansprüche sie haben.
Geld kann man als Familie natürlich immer gut gebrauchen. Das Betreuungsgeld aber war von Anfang an nicht mehr als ein politisches Statement konservativer Kreise, die um das klassische Familienmodell bangen. Nebenbei sollte eine Klagewelle verhindert werden, weil mit Beginn des Rechtsanspruches auf einen Kitaplatz vor einem Jahr bei Weitem nicht genug Betreuungsplätze zur Verfügung standen. Der Kampf um die vermeintlich richtige Betreuung von Kleinkindern ist ein Überbleibsel eines Wertekonfliktes, den sich heutige Eltern gar nicht mehr leisten können, weil sie ganz andere Probleme haben. Das mit 150 Euro mickrige Betreuungsgeld kann nicht einmal den Ausfall einer 450-Euro-Stelle ersetzen. Doch auch unter denen mit guten Jobs und Gehältern können dauerhaft nur die wenigsten mit einem Gehalt klarkommen. Auch hier hat es wenig mit Wahlfreiheit als vielmehr mit Notwendigkeiten zu tun, dass Väter und Mütter von ein- oder zweijährigen Kindern arbeiten gehen. Die Tatsache, dass viele das auch wollen, ist dabei nachrangig.
Wenn die Politiker, die das Betreuungsgeld vor einem Jahr eingeführt haben, behaupten, die "Leistung" der zu Hause betreuenden Eltern müsse "honoriert" werden - ja, dann sind 150 Euro geradezu eine Frechheit und verdienen den Namen "Herdprämie" voll und ganz. Darüber hinaus sollte es für alle Eltern eine Selbstverständlichkeit sein, sich gut um ihre Kinder zu kümmern - was gibt es daran zu honorieren? Auch berufstätige Eltern kümmern sich nach Dienstschluss um ihr Kind und versuchen die bestmögliche Kita oder Tagesmutter für ihren Sohn oder ihre Tochter zu ergattern. Die Zahlung von Betreuungsgeld ist zudem doppelt ungerecht, wenn man bedenkt, dass Kita-Eltern für die Betreuung ihrer Ein- und Zweijährigen nicht nur kein Geld bekommen, sondern welches bezahlen - je nach Stadt, Gebührensystem und Einrichtung kann der monatliche Beitrag in die hunderte Euro gehen.
Kein Fortschritt, nichts Neues
Junge Eltern heute haben rein strukturell heute dennoch sehr viel mehr Wahlfreiheit als ihre Eltern in den 1970er-und 1980er-Jahren. Die heute existierenden Möglichkeiten sind im Vergleich zu denen vor 30 Jahren eine Revolution. Es gibt gemessen an der Nachfrage annähernd genug Kitaplätze für Einjährige, es gibt diverse Fördermöglichkeiten, die Paare in Anspruch nehmen können, wenn sie gleichberechtigt die ersten Lebensjahre ihres Kindes organisieren. Frauen sind nicht mehr de facto dazu verdammt, mit der Geburt von Kindern ihre berufliche Laufbahn für lange Zeit ruhen zu lassen.
Die Kritiker dieser Entwicklung haben zumindest hiermit Recht: Die aktuelle deutsche Familienpolitik ist einseitig in ihrem Fokus auf Kleinkindbetreuung, wickelnde Väter und berufstätige Mütter. Sie muss hier aber einseitig sein, weil Deutschland hier so wahnsinnig viel aufzuholen hat. Die klassische Familie wird hierzulande trotzdem nicht aussterben. Deshalb hat das Betreuungsgeld in der Familienpolitik nichts zu suchen, denn es bringt nichts Neues, keinen Fortschritt und keinen Gewinn für niemanden.
Quelle: ntv.de