Schwarz-rote Schuldenpläne Der Bundestag muss diese doppelte Ursünde verhindern


Erlebt mal wieder einen historischen Tag: Das Reichstagsgebäude am Morgen der Sondersitzung.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Sondersitzung des alten Bundestages zum Beschluss tiefgreifender Grundgesetzänderungen ist doppelt falsch: in der Form und in der Sache. Weder gibt es die behauptete Dringlichkeit, die eine Übergehung des neu gewählten Bundestages rechtfertigt, noch sind die schwarz-roten Schuldenpläne eine gute Idee.
Vor der ersten von zwei historischen Sondersitzungen des Bundestages zeichnet sich eine Pleite für Union und SPD ab. Und das wäre auch gut so. Die koalitionswilligen Spitzen von SPD, CDU und CSU wollen gleich zwei Ursünden begehen, welche die übrigen Parteien im alten Bundestag möglichst verhindern müssen. Denn erstens ist die weitreichende Bindung des schon gewählten neuen Bundestags an eine Verschuldungspolitik gigantischen Ausmaßes durch den abgewählten Bundestag höchst problematisch. Zweitens ist dieser qua Grundgesetzänderungen angepeilte Verschuldungskurs sowohl politisch als auch ökonomisch fragwürdig, wenn nicht gefährlich.
Zum ersten Punkt: Legal ist nicht gleich legitim. Das Bundesverfassungsgericht dürfte nach Einschätzung von Verfassungsrechtlern Klagen gegen die Einberufung und Abstimmung des alten Bundestags abschmettern. Denn es gibt einen Präzedenzfall: 1998 stimmte der alte Bundestag für eine Bundeswehrbeteiligung am Nato-Kriegseinsatz im Kosovo. Juristisch mag der Fall nun ähnlich liegen, doch politisch hinkt der Vergleich.
Die scheidende Bundesregierung aus Union und FDP hatte sich 1998 mit der kommenden aus SPD und Grünen auf die Sondersitzung verständigt. Der damals neugewählte Bundestag war mit Ausnahme der PDS im Boot und es ging zudem um eine reversible Mehrheitsentscheidung. Diesmal aber soll der alte Bundestag der kommenden Regierung zu einer nicht mehr so leicht zu ändernden Grundgesetzänderung verhelfen - in einem Verfahren, das drei Oppositionsparteien falsch finden.
Wo ist das Problem?
Auch die von SPD und Union behauptete Dringlichkeit der Grundgesetzänderungen erschließt sich so nicht: Insbesondere Vertreter der Union verweisen auf die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch im Weißen Haus. Der Eklat habe alles verändert. Tatsächlich war seit dem Wahlsieg von US-Präsident Donald Trump am 6. November klar, dass sich weder die Ukraine noch die europäischen Nato-Staaten länger auf die USA verlassen können und dürfen. Doch selbst wenn es des Eklats im Oval Office bedurft hätte, damit auch der kommende Bundeskanzler Friedrich Merz den Ernst der Lage begreift: Für eine akute Steigerung des Etats für Bundeswehr und Ukraine-Hilfen bietet die geltende Schuldenbremse der kommenden Bundesregierung die Möglichkeit, per Notlage-Beschluss die Kreditlimits auszusetzen.
Die Dringlichkeit für das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Infrastruktur erklärt sich erst recht nicht aus den jüngsten Volten des US-Präsidenten. Das Ansinnen einer entsprechenden Grundgesetzänderung erklärt sich allein aus den Finanzierungsschwierigkeiten der schwarz-roten Regierungskoalition in spe einerseits und andererseits aus dem fehlenden Willen der Union, die Schuldenbremse grundsätzlich und mit den Stimmen der Linken zu reformieren. Und damit zum Zirkelschluss: Wenn die Union eine derartige Notlage gekommen sieht, dass ein abgewählter Bundestag dem kommenden eiligst seinen Stempel aufdrücken soll, müsste sie sich doch auch zu einer Anpassung der Schuldenbremse an die Herausforderungen der Zeit durchringen können. Tut sie aber nicht.
Schwarz-Rot muss zurück auf Los
Dabei würde eine solche strukturelle Reform auch den - politisch und ökonomisch fragwürdigen - angestrebten Blankoscheck für Verteidigungsausgaben in sinnvollere Bahnen lenken. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnt zu Recht vor steigenden Anschaffungskosten für Rüstungsgüter, weil die Hersteller um die neuen unbegrenzten Möglichkeiten des Bundes wissen. Zudem stiegen auch die Zinsen auf deutsche und andere europäische Staatsanleihen, wenn der Staat das Signal gigantischen Geldbedarfs an die Märkte sendete. Bei Grimms Warnungen vor einer Destabilisierung der europäischen Staaten durch steigende Zinslasten gehen andere Ökonomen nicht mit. Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass die wenigen konkreten Vereinbarungen zwischen CDU, CSU und SPD überwiegend Wahlgeschenke ohne Anschubeffekt für die darbende Wirtschaft sind.
Der Vorwurf von Grünen, FDP und anderen scheint daher berechtigt, wonach sich Union und Sozialdemokraten mit dem Infrastruktur-Sondervermögen lediglich eine kostspielige Einigungsgrundlage für ihre Koalitionsbildung erdacht haben. Der bisher schon angespannte Haushalt 2025 gewährt schließlich keinerlei Spielräume für eine Ausweitung der Mütterente oder Steuersenkungen für Lebensmittel, Agrardiesel und Gastro-Speisen. Entsprechende Spielräume würden erst durch zusätzliche dreistellige Milliardenkredite entstehen oder durch massive Einsparungen im Haushalt, die aber erst einmal vereinbart werden müssten in den beginnenden Koalitionsverhandlungen.
Das ist die doppelte Ursünde: Die Grundgesetzänderungen sind in der Form (Sondersitzung alter Bundestag) und in der Sache falsch. Der neue Bundestag ist zu einer Notlage-Erklärung für Verteidigungsausgaben und zu einer Reform der Schuldenbremse in der Lage. Voraussetzung ist natürlich, dass Union und SPD gleichermaßen willens sind zu einer Reform und sich dabei aufeinander verlassen können. Sollte dieses Vertrauen aber nicht gegeben sein, stellt sich erst recht die Frage: Warum sollte der alte Bundestag diesen Parteien die Regierungsbildung qua Grundgesetzänderung erleichtern? Eben! Das Beste wäre daher, der Bundestag schickte die schwarz-roten Verhandler zurück auf Los.
Quelle: ntv.de