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Selbstbewusster Bundesparteitag Die SPD will Platzhirsch werden

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Jubel bei Klingbeil und Esken

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Ein neuer Vorsitzender, ein neuer Generalsekretär und ein neuer Vize-Chef: Die SPD setzt ihre personelle Erneuerung auch inmitten des Erfolgs fort. Darin liegt eine große Chance für die Sozialdemokraten.

Zum dritten Mal in ihrer langen Geschichte schlüpft die SPD ins Gewand der Kanzlerpartei. Dass ihr das gelungen ist, darüber herrscht Einigkeit auf dem Bundesparteitag in Berlin, ist das Ergebnis der aus den Krisenjahren gezogenen Lektionen. Zur Sicherheit zählt der am Samstag verabschiedete Vorsitzende Norbert Walter-Borjans diese Erfolgsgründe noch einmal auf: Geschlossenheit in der Spitze, enger Austausch mit der Basis und unermüdliche Programmarbeit. Nachdem das Ziel Kanzleramt erreicht ist, bieten die vergangenen Krisenjahre nur bedingt Orientierung für die neue Rolle. Mehr hilft da schon ein Blick auf die Jahre des letzten Regierungsbeginns, 1998 und folgende.

Damals war die ungeklärte Macht- und Richtungsfrage zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Parteichef Oskar Lafontaine binnen Monaten im Rücktritt Lafontaines vom Posten des Bundesfinanzministers eskaliert. Zugleich konnten die vielen Jungen in der Partei und auch im Bundestag zuschauen, wie die Großkopferten aus den langen Jahren der Opposition gegen Helmut Kohl die endlich erreichten Posten unter sich aufteilten. Unter diesen Zuschauern: ein erstmals in den Bundestag eingezogener, 40-jähriger Arbeitsrechtsanwalt aus Hamburg-Altona namens Olaf Scholz.

Aussicht auf Erfolg schließt Reihen

Im Winter 2021 sind in der SPD alle Macht- und beinahe alle Richtungsfragen geklärt. Auf vielen Posten herrscht zum Start der Ampelregierung Kontinuität, weil sich einige Männer und Frauen tatsächlich um die Partei verdient gemacht haben. Allen voran die Parteivorsitzende Saskia Esken und der Bundestagsfraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, die viele innerhalb und außerhalb der Partei anfangs noch als zu leicht befunden haben. Auch die Bundesminister Hubertus Heil, Christine Lambrecht und Svenja Schulze haben auf ihren Kabinettsposten - zumindest den neuen Kanzler - überzeugt.

Für Wandel stehen dagegen der neue Vorsitzende Lars Klingbeil, dessen Nachfolger als Generalsekretär, Kevin Kühnert, der neue Vize-Vorsitzende Thomas Kutschaty, die spannenden neuen Bundesminister Nancy Faeser und Karl Lauterbach und besonders die Staatssekretäre und -minister der SPD, die zu einem nicht geringen Teil jung, weiblich, bunt sind. Keine dieser Personen führt einen Feldzug gegen Scholz, jede hat seine Zustimmung. Dass Klingbeil sich ausdrücklich vorgenommen hat, noch mehr diverse Nachwuchskräfte in der SPD in Verantwortung zu bringen, passt in dieses Bild: Die Parteiführung denkt seit Ende September darüber nach, wie die SPD dauerhaft dominante Regierungspartei in Deutschland werden könnte.

Die Chancen stehen gut: Die Deutschen wählen ihre Kanzler nur ungern ab und mit CDU und CSU steckt die immer noch wichtigste Konkurrenz der SPD absehbar in einer Findungsphase. Gehen die meisten oder gar alle der vier Landtagswahlen im neuen Jahr an die SPD, avancieren die Sozialdemokraten zum politischen Platzhirsch mit lange nicht dagewesener Gestaltungsmacht. Auch diese Aussicht schließt derzeit die Reihen. War die Partei lange in der Spirale gefangen, in der ihr Verlierer-Image zu immer neuen Niederlagen führte, kann es absehbar auch gegenteilig laufen.

Konflikte sind angelegt

Ein Automatismus ist das nicht: Die Parteilinke ist mit Esken und Kühnert stark eingebunden, viele Punkte im Koalitionsvertrag sind auch ihre Erfolge. Doch in Fragen von Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Wohnen und Sozialstaat bleiben die Ampelvorhaben punktuell hinter den Vorstellungen etwa der Parlamentarischen Linken oder der Jusos zurück.

Scholz, der je nach Perspektive konservativer oder pragmatischer eingestellt ist, dürfte damit weniger Probleme haben. Dass Teile der Partei weit links von ihm stehen, birgt Potenzial für Enttäuschung und Konflikte. Es kommt ganz darauf an, ob Scholz auch in Zukunft Zeit und Mühe aufbringt, sich intensiv mit seiner Parteiführung auszutauschen und abzustimmen, auch mit Kevin Kühnert. Auch das neue Vorsitzendenduo Esken/Klingbeil muss sich erst einmal einpendeln: Der deutlich größere Zuspruch zu Klingbeil, in der Partei und in der Öffentlichkeit, macht ihn zum Ersten unter Gleichen, wenn er denn darauf pochen sollte.

Die SPD geht mit großer Gestaltungslust in die neue Regierung, erleichtert, die Jahre des Grauens hinter sich zu haben. Ob ihre Personalkonstellation auch unter der Last der Regierungsverantwortung trägt, weiß niemand seriös vorherzusagen. Es spricht aber bemerkenswert viel dafür, deutlich mehr jedenfalls als 1998.

Quelle: ntv.de

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