"Bild" gegen Wulff Die Strukturen der Macht
06.01.2012, 12:23 Uhr
(Foto: dpa)
Das Unangenehme am Fall Wulff ist, dass der Beobachter gezwungen wird, sich zu entscheiden zwischen der "Bild"-Zeitung und einem Politiker, der sein Privatleben jahrelang auf dem Boulevard ausgebreitet hat. Und doch hat der Fall sein Gutes.
Der Kollege vom Sport bringt es auf den Punkt: "Klare Lose-lose-Situation für Wulff", sagt er, als am Donnerstag bekannt wird, dass "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann den Bundespräsidenten öffentlich um die Zustimmung zur Veröffentlichung des Wortlauts seiner Nachricht auf Diekmanns Mailbox bittet.
Diekmanns Brief ist ein klassischer Fall von Realsatire: "Um Missverständnisse auszuräumen, was tatsächlich Motiv und Inhalt Ihres Anrufes angeht, halten wir es ... für notwendig, den Wortlaut Ihrer Nachricht zu veröffentlichen. Wir möchten dies nicht ohne Ihre Zustimmung tun und bitten Sie deshalb im Sinne der von Ihnen angesprochenen Transparenz um Ihr Einverständnis zur Veröffentlichung." Ein echter Schenkelklopfer.
Denn es ist ja längst bekannt, was Wulff auf Diekmanns Mailbox hinterließ - vielleicht nicht der gesamte Text, doch immerhin so viel, dass - möglicherweise - eine Linie deutlich wird. Ob da Hacker am Werk waren, die ohne Wissen des "Bild"-Chefredakteurs sein Handy anzapften? Wir wissen es nicht, doch wir kennen die Zitate, die seit Anfang Januar kursieren. Unter anderem drohte Wulff mit dem endgültigen Bruch mit dem Springer-Verlag, wenn der Bericht über den Geerkens-Kredit erscheine. Weiter soll Wulff gesagt haben, wenn die "Bild"-Zeitung "Krieg führen" wolle, dann könne man darüber nach seiner Rückkehr sprechen - zum Zeitpunkt des Anrufes befand Wulff sich auf einer Reise durch vier Staaten der Golf-Region.
Verschieben oder unterbinden?
Nach seiner Rückkehr also wollte Wulff über den "Krieg" mit der "Bild"-Zeitung sprechen - Wulffs Darstellung, er habe mit seinem Anruf nur um Verschiebung des Berichts bitten wollen, klingt vor diesem Hintergrund nicht vollständig unplausibel. Wobei auch die Position der "Bild"-Zeitung nachvollziehbar sein mag: "den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern, das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen", sagte Vize-Chefredakteur Nikolaus Blome im Deutschlandfunk. Es sei "klar ... das Ziel dieses Anrufes" gewesen, "die Absicht und das Motiv, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses zu unterbinden".
Das ist ja genau das Unangenehme an der ganzen Affäre: Der Beobachter wird genötigt, sich zu entscheiden zwischen der "Bild"-Zeitung - und einem Politiker, der es an der nötigen Ehrlichkeit hat fehlen lassen. "In dem Moment, wo die 'Bild'-Zeitung glaubwürdiger ist als der Bundespräsident, hat dieses Land ein ernsthaftes Problem", schrieb ein Nutzer namens "Verwunderter" am Donnerstag in einem Kommentar auf n-tv.de. Da ist was dran. Auch die Lösung dieses Problems ist eine Lose-lose-Situation: Soll Wulff zurücktreten und der "Bild"-Zeitung so einen Sieg bescheren? Oder bleibt er trotz allem im Amt?
Doch das eigentliche Problem sind nicht Wulff oder die "Bild"-Zeitung, sondern die Strukturen, für die sie stehen. Als Bundespräsident war Wulff um ein Stück Distanz zur "Bild"-Zeitung bemüht, was allerdings auch umgekehrt gilt: Die "Bild"-Zeitung hatte, wie viele andere Medien auch, den Kandidaten Joachim Gauck vorgezogen, als Wulff ins Rennen um das höchste Amt im Staate ging. Nachdem Wulff ins Schloss Bellevue eingezogen war, sagte er ein paar Sätze über den Islam und auch über Thilo Sarrazin, die in der "Bild"-Zeitung kritisiert wurden.
All das - Wulffs Bemühen um Distanz, die Kritik der "Bild"-Zeitung - ist völlig legitim. Das Dumme ist nur, dass die inhaltliche Auseinandersetzung vor einer Folie stattfand und stattfindet, die in den Jahren zuvor aufgebaut worden war - auf einer Basis einer Vertrautheit, die das Private politisch nutzbar machen sollte.
Im Fahrstuhl mit der "Bild"-Zeitung
In diesen Tagen ist bereits häufiger an ein Zitat von Mathias Döpfner erinnert worden, dem Vorstandschef der Axel Springer AG. Der sagte 2006 bei einem Streitgespräch mit Günter Grass im "Spiegel", für die "Bild"-Zeitung gelte das Prinzip: "Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten. Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen."
Ein paar Sätze zuvor hatte Döpfner noch etwas anderes gesagt: "Größer als die Schlagzeilen der 'Bild'-Zeitung ist gelegentlich nur die Heuchelei mancher Prominenter, wenn sie sich als Opfer stilisieren. Erst wollen sie von der Plattform profitieren, und hinterher, wenn's mal unangenehm wird, kritisieren sie, dass 'Bild' immer noch da ist." Und weiter: "Wer Privates schützen will, kann das in der Regel auch."
Der Sport-Redakteur war übrigens nicht der einzige mit einem klugen Gedanken. Ein Kollege aus der Wirtschaft vergleicht heute den Einfluss, den die "Bild"-Zeitung unzweifelhaft hat, mit dem Einfluss der Ratingagenturen (wobei er, dies sei erwähnt, den Unterschied betont, dass die Bedeutung von Moody's und Co. vielfach institutionell verankert ist): Die Ratingagenturen sind auch deshalb so mächtig, weil alle an ihre Macht glauben - eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Spätestens mit der folgenlosen Herabstufung der USA habe dieses Ansehen allerdings gelitten, so der Kollege weiter. Das lässt hoffen. Wer den Einfluss der "Bild"-Zeitung auf die Politik verringern will, und wer verhindern will, dass Politiker sich von Medien abhängig machen, der muss über diese Strukturen sprechen. Wohl gemerkt: Die "Macht" der "Bild"-Zeitung ist so wenig "böse" wie die "Macht" der Ratingagenturen. Trotzdem lohnt es sich, über die Strukturen von Abhängigkeiten nachzudenken. Denn in einem haben Diekmann und Wulff Recht: Transparenz ist wichtig.
Quelle: ntv.de