
Kanzler mit Helm: Scholz besuchte am Donnerstag in Dresden auch die Elbe Flugzeugwerke (EFW).
(Foto: IMAGO/HMB-Media)
Monate braucht der Kanzler, sein Nein zur Taurus-Lieferung zu erklären. Seine Aussagen sind nachvollziehbar. Aber Scholz agiert abgehoben. Er glaubt, allein den Überblick zu haben. Dabei hat er nicht verstanden: Wenn Putin einen großen Krieg will, wird er ihn anzetteln.
Eile bei Entscheidungen über Waffenlieferungen an die Ukraine ist noch nie die Spezialität der Bundesregierung gewesen. Da bittet man als Verteidigungsminister schon mal um Geduld, etwa wenn es um den Taurus geht. "Wenn das jetzt noch eine Woche oder zwei dauert, bis eine Entscheidung fällt, dann ist das so", sagte Boris Pistorius bei der ersten "Westfälischen Friedenskonferenz" in Münster, deren Name an das Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 erinnern soll. Als Zögern des für seine Unentschlossenheit bekannten Bundeskanzlers Olaf Scholz wollte der Minister seine Auskunft nicht verstanden wissen. Denn: "Wir reden hier nicht über die Programmierung einer Kaffeemaschine."
Das war am 15. September 2023. Seither hat es Scholz erfolgreich vermieden, den Taurus rauszurücken - und es nebenbei geschafft, seinen Mangel an Entschlossenheit, einem täglich terrorisierten Land zu helfen, als Besonnenheit zu kaschieren. Seit nunmehr zwei Jahren klafft eine Lücke zwischen den - richtigen - Warnungen vor Putin samt den weltweiten Folgen eines russischen Sieges über die Ukraine einerseits und den deutschen Waffenlieferungen andererseits. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass die Bundesrepublik der wichtigste europäische Unterstützer mit Militärtechnik für das angegriffene Land ist.
Nach der Münchner Sicherheitskonferenz sickerte die Prognose des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Oleksii Makeiev, durch. Der gab vor wenigen Teilnehmern zu verstehen, dass er auf die Hilfe- und Einigkeitsschwüre des Westens nichts mehr gibt, sein Heimatland alleingelassen wird, wie es sich seit vielen Wochen abzeichnet oder schon der Fall ist. Scholz lieferte einen Beweis. Das ist umso erstaunlicher, da er auf dem Münchner Treffen berechtigterweise fragte: "Tun wir genug, wo wir alle doch genau wissen, was ein russischer Sieg in der Ukraine bedeuten würde? Nämlich das Ende der Ukraine als freier, unabhängiger und demokratischer Staat, die Zerstörung unserer europäischen Friedensordnung, die schwerste Erschütterung der UN-Charta seit 1945 und nicht zuletzt die Ermutigung an alle Autokraten weltweit, bei der Lösung von Konflikten auf Gewalt zu setzen."
Superförderer und Friedenskanzler
Scholz, der monatelang von den Amerikanern und anderen NATO-Staaten getrieben worden war, mehr für die Ukraine zu tun, versucht, den Spieß umzudrehen und preist sich als Superförderer der Ukraine und forderte die Bündnispartner auf, es ihm gleichzutun. Zugleich lehnt er die Lieferung des Taurus kategorisch ab - und das mit einer Argumentation, die Experten als falsch zurückweisen und die in Großbritannien als Affront empfunden wird. Bei einem peinlichen Auftritt in Dresden inszenierte er sich als Friedenskanzler und skandierte "Diplomaten statt Granaten".
An der Taurus-Bundestagsdebatte hatte Scholz nicht mal teilgenommen. Es blieb dem armen Pistorius überlassen, der dann sich wie ein Aal winden musste, um keine Stellung zu beziehen, ob mit den "weitreichenden Waffensystemen" im Antrag der Ampelfraktionen der Taurus gemeint ist oder nicht. Als Scholz sich wenige Tage später dazu durchrang, seine Haltung doch öffentlich zu erläutern, war es nicht im Bundestag, sondern auf einer Chefredakteurskonferenz der Deutschen Presse-Agentur. Schon das mutet angesichts des wichtigen Themas befremdlich an und zeigt einmal mehr, dass Scholz und seine PR-Berater Schwächen in der politischen Kommunikation haben.
Noch trauriger als die Reaktionen von Experten und Briten darauf waren die Aussagen des Kanzlers, die einen nur staunend zurückließen. "Ich habe erklärt, warum das nicht infrage kommt - und dabei bleibt es." Nein, er hatte es eben nicht erklärt. Man muss annehmen, dass Scholz - wie bei seinen Cum-Ex-Angaben - den Rest der Bevölkerung für unwissend oder blöd hält. Wo und wem hatte er seine Position erklärt? Handelt es sich um die nächste Erinnerungslücke? Noch kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz hatte er die Gelegenheit ausgelassen, in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" auszuführen, "warum das nicht infrage kommt". Er beschränkte sich auf den Satz: "Deutschland liefert die Waffen, auf die es jetzt ankommt."
Scholz hält sich offenbar für den Einzigen, der nachdenkt
Der Kanzler lebt in einer Blase, in der nur seine engsten Berater zählen - sonst niemand. Selbst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte von einer öffentlichen Erklärung des Kanzlers, "warum das nicht infrage kommt", nichts mitbekommen. Er kündigte im jüngsten "Bericht aus Berlin" des ZDF in der für ihn typischen Kauderwelsch-Manier an: "Wenn der Bundeskanzler sehr bald darstellen wird, was ihn bisher und vielleicht auch zukünftig von der Lieferung von Taurus abgehalten hat, dann wird vielleicht der ein oder andere erkennen, dass die Wortmeldungen, die in den vergangenen Monaten und Jahren gewesen sind, offensichtlich auch keine Grundlage haben, zumindest kein politisches Verständnis."
Warum Scholz Monate brauchte, sein Nein zur Taurus-Lieferung vor Publikum konkret zu begründen, bleibt sein Geheimnis. Immerhin. Das Rätselraten hat ein Ende. Nun weiß die Bevölkerung also, was der Kanzler denkt: "Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein." Es folgte ein Satz, der für Scholzens Überheblichkeit spricht, als mache nur er, der große Denker, sich einen Kopf und überschaue die Lage: "Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun."
Seine Überlegung ist nachvollziehbar. Teilen muss man sie nicht. Tragisch für die Ukraine ist es in jedem Fall. Putin, vor dem Scholz warnt und warnt, darf sich bestätigt sehen: Der Westen ist uneins und schwächt die Ukraine, je länger der Krieg dauert. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über Bodentruppen nachdenkt, schlottern dem Kanzler die Knie, obwohl Putin keine einzige Drohung wahr gemacht hat, die er oder einer seiner Spießgesellen fallen ließ, sollte Deutschland diese oder jene Waffe der Ukraine überlassen. Was Scholz, der ach so kluge Kanzler, noch immer nicht verstanden hat: Wenn Putin einen großen Krieg will, wird er ihn anzetteln.
Quelle: ntv.de