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Rot-grüne Minderheitsregierung in NRW Ein Experiment, das klappen kann

"Glück auf": Hannelore Kraft ist Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen.

"Glück auf": Hannelore Kraft ist Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen.

(Foto: APN)

Nordrhein-Westfalen wird zum politischen Experimentierfeld: Die neue Ministerpräsidentin Kraft muss ständig um ihre Mehrheit im Landtag zittern. Die Linke wird zur wichtigsten Stütze von Rot-Grün. Doch die Voraussetzungen für Krafts Minderheitsregierung sind optimal, was vor allem auch an der Opposition liegt.

Was als rot-grünes Wunschdenken begann ist nun politische Realität: SPD und Grüne schaffen den Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen, ist zur ersten Ministerpräsidentin des Landes gewählt. Zusammen mit den Grünen wagt die SPD-Landesvorsitzende das Experiment einer Minderheitsregierung. Das kann schiefgehen, muss es aber nicht. Zumal die Ausgangsbedingungen vielversprechend sind.

Frauen an die Macht: Kraft und Löhrmann führen die Landesregierung.

Frauen an die Macht: Kraft und Löhrmann führen die Landesregierung.

(Foto: dpa)

Das liegt zum einen an den knappen Mehrheitsverhältnissen im Düsseldorfer Landtag. Eine Stimme fehlt SPD und Grünen zur absoluten Mehrheit. Das heißt, wenn die rot-grünen Reihen geschlossen sind, muss sich nur ein einziger Parlamentarier von CDU, FDP oder Linkspartei finden, der für rot-grüne Gesetze stimmt. Der Vorteil dabei ist, dass Schwarz-Gelb und Dunkelrot außer den Plätzen auf den Oppositionsbänken keine Gemeinsamkeit eint. SPD und Grüne müssen also keine geschlossene Oppositionsfront aufbrechen, sondern können von Abstimmung zu Abstimmung um Mehrheiten werben.

Niemand will Neuwahlen

Der zweite Vorteil für Kraft liegt in der derzeitigen politischen Stimmung, in der keine der Oppositionsparteien Neuwahlen fordern wird. Die CDU muss sich nach dem Regierungsverlust und dem Abgang von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers erst wieder neu sortieren. Zudem müsste sie wegen der kriselnden schwarz-gelben Bundesregierung weitere Verluste fürchten. Noch schlimmer steht es um die FDP, die möglicherweise nicht einmal mehr in den Landtag einziehen würde. Das gleiche Schicksal könnte auch den Linken drohen, die ihren Einzug in das Düsseldorfer Parlament so bejubelt haben.

Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass die rot-grüne Landesregierung die zur Verabschiedung ihrer Gesetze nötigen Mehrheiten bekommt und etwa den Landeshaushalt durchbringen kann. Die CDU hat sich zwar bereits auf einen radikalen Oppositionskurs eingeschworen und auch die FDP will die Minderheitsregierung nicht stützen. Ob die Liberalen aber bei Themen wie Integration oder Kinderbetreuung wirklich geschlossen gegen SPD und Grüne stimmen werden, muss sich erst noch zeigen.

Die Linke wird helfen

Die wichtigste Stütze der Minderheitsregierung wird dennoch die Linke sein. Das hat schon die Wahl Krafts zur Ministerpräsidentin gezeigt, die nur durch die Enthaltung der Linken-Abgeordneten möglich war. Inhaltlich gibt es viele Überschneidungen zwischen Rot-Grün und Dunkelrot, ob bei Bildung oder in der Sozialpolitik.

Der Vorwurf von FDP und CDU, Rot-Grün bereite mit der Minderheitsregierung in NRW heimlich rot-rot-grüne Machtperspektiven auch für den Bund vor, ist trotzdem nicht ganz richtig. Kraft hat dafür gesorgt, dass die Linke eben nicht mit am Regierungstisch sitzt und die Politik der Landesregierung mitbestimmen kann. Die SPD-Landeschefin folgt damit dem Kurs ihrer Bundespartei, Distanz zur Linken zu suchen und sie inhaltlich zugleich zu locken. Wie hin- und hergerissen die Linkspartei in dieser Rolle ist, zeigte Fraktionschef Wolfgang Zimmermann unmittelbar vor der Wahl von Kraft: Jedes Vorhaben von Rot-Grün werde genau unter die Lupe genommen, betonte er. Allerdings sei sich seine Partei auch bewusst, dass hier und da Kompromisse nötig seien. Sozial- und Stellenabbau und die Privatisierung öffentlichen Eigentums werde es mit der Linken aber auf keinen Fall geben. Alles klar?

Neuer politischer Stil?

Kraft und ihre Grünen-Stellvertreterin Silvia Löhrmann wagen ein politisches Experiment, das die politische Kultur Deutschlands bereichern kann. Die Suche nach wechselnden Mehrheiten im Landtag bedeutet eine Aufwertung des Parlaments und seiner Abgeordneten. Abstimmungen im Düsseldorfer Landtag gewinnen an Bedeutung und können ziemlich spannend werden. Eine solche Ausgangslage erfordert einen anderen politischen Stil, ein Durchpeitschen von Gesetzen oder eine Basta-Politik kann es nicht geben.

Neu ist auch, dass erstmals zwei Frauen an der Spitze einer Regierung in Deutschland stehen. Das muss zwar nicht, kann aber zu Veränderungen in der politischen Auseinandersetzung führen. Der gemeinsame Wahlkampf und die Regierungssuche von Kraft und Löhrmann haben zumindest einen Vorgeschmack darauf gegeben.

Nun startet also das Experiment der Minderheitsregierung in NRW. Der Ausgang ist offen, vorzeitige Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Doch dass man auch mit ausreichenden Mehrheiten mehr schlecht als recht regieren kann, beweist ein Blick auf die derzeitige Bundesregierung.

Quelle: ntv.de

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